Aktuelle Zeit: Do 28. Mär 2024, 09:22


Alkohol

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
  • Autor
  • Nachricht
Offline

glycosid

  • Beiträge: 78
  • Registriert: Sa 5. Mai 2012, 10:36

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 19:40

Angesichts der bereits erwähnten, recht freizügigen Regelungen zur Alkoholkennzeichung müsste man natürlich den Terminus "deutlich messbar" etwas genauer fassen.

Aber wie auch immer: Nicht zu bezweifeln, weil allenthalben deutlich schmeckbar, ist freilich, dass in Weinen bei deren Lagerung z.T. erhebliche stoffliche Änderungen vor sich gehen - sonst könnte man sich das Lagern ja gänzlich sparen. Der Alkoholgehalt und dessen etwaige Änderungen sind da für mich nur ein Teil des Interesses an diesen komplexen Vorgängen.

Das Problem ist, dass darüber in der Weinwelt im Wesentlichen bloß vage gezimmerte, fast immer unbelegte Vermutungen und "Gerüchte" kursieren, die nach langer Kolportage irgendwann zu "Fakten" mutieren.

"Fakt" - wenn auch ein subjektiver - ist jedenfalls, um auf die diese Diskussion auslösende Frage zurück zu kommen, dass auch alkoholstarke Bordeaux, wenn sie nebst dem Alkohol auch ansonsten genug Substanz mitbringen, nach der üblichen Standard-Mindest-Reife von etwa 10 Jahren in aller Regel nicht mehr "brandig" schmecken, wenn das denn je der Fall war. In die herzzerreißenden Klagelieder über die verloren gewähnte, ach so schöne Zeit, da es noch den "wahren Bordeaux" mit seinen 12 Vol% gab, mag ich jedenfalls nicht so recht einstimmen...
Offline
Benutzeravatar

Gerald

Administrator

  • Beiträge: 7485
  • Bilder: 32
  • Registriert: Do 24. Jun 2010, 07:45
  • Wohnort: Wien
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 19:48

"Fakt" - wenn auch ein subjektiver - ist jedenfalls, um auf die diese Diskussion auslösende Frage zurück zu kommen, dass auch alkoholstarke Bordeaux, wenn sie nebst dem Alkohol auch ansonsten genug Substanz mitbringen, nach der üblichen Standard-Mindest-Reife von etwa 10 Jahren in aller Regel nicht mehr "brandig" schmecken, wenn das denn je der Fall war.


klar, ein ähnlicher Effekt tritt aber auch z.B. bei Fruchtbränden auf, und hier ist ja anzunehmen, dass der Anteil anderer Substanzen als Alkohol und Wasser noch viel geringer als bei Wein ist. Ich tippe bei "brandig" weniger auf den absoluten Alkoholgehalt (gibt ja auch Weine mit 15%, die überhaupt nicht brandig schmecken), sondern eher um problematische Begleitstoffe in kleinen Mengen, die dafür verantwortlich zeichnen.

Grüße,
Gerald
Offline

stollinger

  • Beiträge: 1169
  • Bilder: 0
  • Registriert: Sa 10. Dez 2016, 09:22

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 20:04

Hi Gerald,

interessanter Artikel, wie hast du den denn so schnell aus dem Hut gezaubert...

Ich versuche das Pferd mal von hinten auf zu zäumen. Rein pragmatisch stelle ich mal die Behauptung auf, dass es bei ca. 15 - 20 g/L Trockenextrakt und sagen wir mal 80 g/L Ethanol wahrscheinlich genug reaktive Gruppen gibt um den Alkohol um 0.5 - 2 Vol% zu reduzieren. Zusätzlich noch flüchtige Bestandteile mit reaktiven Gruppen die nicht zum Trockenextrakt beitragen.

Selbst, wenn die Menge an Ester die im Gleichgewicht gebildet wird gering ist, so wird doch wahrscheinlich ein Teil im Depot aus dem Gleichgewicht entfernt.

Zusätzlich tragen (man möge mich korrigieren) auch Glycole und höhere Alkohole zum Alkoholwert bei. Diese könne aber eine erhöhte Reaktivität aufweisen. Bzw. haben dann extraktreiche Weine in der Regel einen höheren Alkohol gehalt selbst wenn das nicht umbedingt auf die Menge von Ethanol zutrifft.

Der Alkohol kann für mein Verständnis auch durch Sauerstoff oxidiert werden, den gebildeten Aldehyden und Säuren besitzen dann noch eine weitere, höhere Reaktivität.

Wie ist das eigentlich mit den Hefezellen? Da sterben ja genug während der Gährung und eventueller Feinhefelagerung ab. Dadurch können doch auch eine Menge Enzyme in den Wein gelangen und durchaus unerwartete Reaktionen katalysieren.

Und am wichtigsten, die schreiben ja, das die Menge an gebildeten Estern bei höheren Temperaturen steigt. In dem Beispiel bei 30°C. Einfach alkoholschwere Weine ein halbes Jahr hinter die Heizung klemmen, Problem erledigt.

Grüße, Josef
Offline
Benutzeravatar

Gerald

Administrator

  • Beiträge: 7485
  • Bilder: 32
  • Registriert: Do 24. Jun 2010, 07:45
  • Wohnort: Wien
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Alkohol

BeitragFr 22. Jun 2018, 06:20

Hallo Josef,

Rein pragmatisch stelle ich mal die Behauptung auf, dass es bei ca. 15 - 20 g/L Trockenextrakt und sagen wir mal 80 g/L Ethanol wahrscheinlich genug reaktive Gruppen gibt um den Alkohol um 0.5 - 2 Vol% zu reduzieren.

der zuckerfreie Extrakt besteht aber überwiegend aus Glyzerin und anorganischen Salzen, kommt alles als Reaktionspartner von Ethanol kaum in Frage.

Selbst, wenn die Menge an Ester die im Gleichgewicht gebildet wird gering ist, so wird doch wahrscheinlich ein Teil im Depot aus dem Gleichgewicht entfernt.

warum sollten sich Ester im Depot absetzen? Diese werden sich in der Wasser-Alkoholmischung recht gut lösen. Ganz sicher besser als die Ausgangsstoffe, falls es sich um höhermolekulare Carbonsäuren handelt.

Zusätzlich tragen (man möge mich korrigieren) auch Glycole und höhere Alkohole zum Alkoholwert bei.

Glycole kaum, da sie ja bei der Destillation nicht übergehen. Und höhere einwertige Alkohole alias Fuselöle sollten ohnehin nur in minimalen Mengen im Wein enthalten sein, andernfalls wäre er ungenießbar.

Der Alkohol kann für mein Verständnis auch durch Sauerstoff oxidiert werden, den gebildeten Aldehyden und Säuren besitzen dann noch eine weitere, höhere Reaktivität.

Tut er ohne enzymatische Unterstützung aber nicht (oder hat sich bei dir eine Flasche Vodka schon einmal selbst im Barschrank in Essig verwandelt?). Und die enzymatische Oxidation z.B. bei Acetobacter ist sehr komplex und geht sicher nicht so einfach extrazellulär.

Wie ist das eigentlich mit den Hefezellen? Da sterben ja genug während der Gährung und eventueller Feinhefelagerung ab. Dadurch können doch auch eine Menge Enzyme in den Wein gelangen und durchaus unerwartete Reaktionen katalysieren.

Im abgefüllten Wein sollten sich eigentlich keine Hefezellen mehr befinden - "hefetrübe" Weine sind mir eigentlich nur bei "Naturweinen" bekannt.

Und am wichtigsten, die schreiben ja, das die Menge an gebildeten Estern bei höheren Temperaturen steigt. In dem Beispiel bei 30°C. Einfach alkoholschwere Weine ein halbes Jahr hinter die Heizung klemmen, Problem erledigt.

Nicht die Menge steigt, sondern nur das Gleichgewicht stellt sich schneller ein (Kinetik).

Grüße,
Gerald
Offline

glycosid

  • Beiträge: 78
  • Registriert: Sa 5. Mai 2012, 10:36

Re: Alkohol

BeitragFr 22. Jun 2018, 13:29

Gerald hat geschrieben:
Und am wichtigsten, die schreiben ja, das die Menge an gebildeten Estern bei höheren Temperaturen steigt. In dem Beispiel bei 30°C. Einfach alkoholschwere Weine ein halbes Jahr hinter die Heizung klemmen, Problem erledigt.

Nicht die Menge steigt, sondern nur das Gleichgewicht stellt sich schneller ein (Kinetik).

Stimmt leider nicht ganz, denn die Lage des Gleichgewichtes ist temperaturabhängig (Thermodynamik). Was wichtige Wein-Reife-Konsequenzen hat und mit der Erfahrung korreliert, dass lange Lagerung bei niedriger Temperatur eben nicht die gleichen Ergebnisse zeitigt wie kürzere Lagerung hinter der Heizung...


Insgesamt zeigt sich, dass dieser Disput mit "Ich glaube, dass..." oder "Ich glaube nicht, dass..." oder "Ich halte es für ein Gerücht, dass..." gewisslich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag fortgeführt werden könnte. Solange aber in dieser Sache keine nachprüfbaren, auf wissenschatzlichem Wege erlangten analytischen Daten vorliegen, ist das bloß Herumstochern im Trüben. Brauchbare Erkenntnisse werden so leider keine produziert.

Es bleibt der bereits erwähnte, nachschmeckbare "Fakt", dass die meisten hochwertigen Weine (ich jedenfalls kenne gar keine Ausnahmen) mit hohen Alkoholgraden, nach längerer Flaschenreife keinerlei "brandigen" oder sonstwie überalkoholisierten Geschmack präsentieren, selbst wenn sie in Ihrer Jugend einen solchen gehabt haben sollten.

Neben der Vermutung, dass ein kleiner Teil des Ethanols abreagiert haben könnte, kann freilich auch diese Variante diskutiert werden:
Gerald hat geschrieben:Ich tippe bei "brandig" weniger auf den absoluten Alkoholgehalt (gibt ja auch Weine mit 15%, die überhaupt nicht brandig schmecken), sondern eher um problematische Begleitstoffe in kleinen Mengen, die dafür verantwortlich zeichnen.

Auch dies ist zwar nur eine bislang nicht erwiesene Vermutung. Sollte sie aber zutreffen, könnte man sich von den zahllosen Alkoholgradations-Besorgnis-Debatten fröhlich verabschieden... 8-)

PS: Hat vielleicht jemand eine Flasche 1947er Cheval Blanc bei der Hand, die er einem Analyse-Labor überantworten kann, um jetzt endlich mal zu erfahren, ob da noch 14,4% drin sind?
Offline

amateur des vins

  • Beiträge: 4271
  • Bilder: 10
  • Registriert: Sa 10. Mär 2012, 21:47
  • Wohnort: Berlin

Re: Alkohol

BeitragFr 22. Jun 2018, 13:40

glycosid hat geschrieben:PS: Hat vielleicht jemand eine Flasche 1947er Cheval Blanc bei der Hand, die er einem Analyse-Labor überantworten kann, um jetzt endlich mal zu erfahren, ob da noch 14,4% drin sind?
Soll ich Dir die mit 15,2% oder die mit 13,6% Ausgangswert geben? (Ich kenne Deine Antwort: "beide".) :lol:
Besten Gruß, Karsten
Offline

glycosid

  • Beiträge: 78
  • Registriert: Sa 5. Mai 2012, 10:36

Re: Alkohol

BeitragFr 22. Jun 2018, 13:44

Man ist doch wirklich immer viel durchschaubarer als man meint. :shock:
Offline

stollinger

  • Beiträge: 1169
  • Bilder: 0
  • Registriert: Sa 10. Dez 2016, 09:22

Re: Alkohol

BeitragFr 22. Jun 2018, 16:39

Hallo Gerald,

ich will noch nicht von meiner Einschätzung abrücken. Es würde mich sehr wunder, wenn es dazu keine wissenschaftlichen Untersuchungen gibt, nur leider scheint sie keiner von uns zu kennen. Ein paar Kommentare von mir.
Selbst, wenn die Menge an Ester die im Gleichgewicht gebildet wird gering ist, so wird doch wahrscheinlich ein Teil im Depot aus dem Gleichgewicht entfernt.

warum sollten sich Ester im Depot absetzen? Diese werden sich in der Wasser-Alkoholmischung recht gut lösen. Ganz sicher besser als die Ausgangsstoffe, falls es sich um höhermolekulare Carbonsäuren handelt.

In einer wässrigen Lösung ist die Löslichkeit der Säure höher als der korresondierende Ethylester.

Zusätzlich tragen (man möge mich korrigieren) auch Glycole und höhere Alkohole zum Alkoholwert bei.

Glycole kaum, da sie ja bei der Destillation nicht übergehen. Und höhere einwertige Alkohole alias Fuselöle sollten ohnehin nur in minimalen Mengen im Wein enthalten sein, andernfalls wäre er ungenießbar.

Vielleicht täusche ich mich, aber der Alkoholgehlt wird aber doch volumetrisch bestimmt, da wird doch in der Praxis nichts destilliert. Muss ich beim nächsten Winzerbesuch mal nachfragen. Hatte mich eh schon interessiert, ob es nicht bei stark zuckerhaltigen Süßweinen zu großen Abweichungen zwischen den durch die Vol% suggerierten und der tatsächlichen Alkoholmenge gibt.

Der Alkohol kann für mein Verständnis auch durch Sauerstoff oxidiert werden, den gebildeten Aldehyden und Säuren besitzen dann noch eine weitere, höhere Reaktivität.

Tut er ohne enzymatische Unterstützung aber nicht (oder hat sich bei dir eine Flasche Vodka schon einmal selbst im Barschrank in Essig verwandelt?). Und die enzymatische Oxidation z.B. bei Acetobacter ist sehr komplex und geht sicher nicht so einfach extrazellulär.

Naja, erstmal zu Acetaldehyd. Und den und Ethylacetat habe ich sehr wohl schon oft an reinem Alkohol gerochen.

Wie ist das eigentlich mit den Hefezellen? Da sterben ja genug während der Gährung und eventueller Feinhefelagerung ab. Dadurch können doch auch eine Menge Enzyme in den Wein gelangen und durchaus unerwartete Reaktionen katalysieren.

Im abgefüllten Wein sollten sich eigentlich keine Hefezellen mehr befinden - "hefetrübe" Weine sind mir eigentlich nur bei "Naturweinen" bekannt.

Das habe ich missverständlich ausgedrückt. Bei toten Hefezellen bauen Enzyme im Zellplasma die Hochpolymeren Bestandteile ab, die Zellwand wird durchlässig. Ich bin mir aber nicht sicher, ob hier dann Enzyme aus den toten Zellen in den Wein austreten oder ob sie bei der Filtration mit den autolysierten Zellen abfiltriert werden.

Und am wichtigsten, die schreiben ja, das die Menge an gebildeten Estern bei höheren Temperaturen steigt. In dem Beispiel bei 30°C. Einfach alkoholschwere Weine ein halbes Jahr hinter die Heizung klemmen, Problem erledigt.

Nicht die Menge steigt, sondern nur das Gleichgewicht stellt sich schneller ein (Kinetik).


Nein, die Gleichgewichtskonstante ist Temperaturabhängig (siehe z.B. Prinzip von Le Chatelier und van't Hoffsche Reaktionsisobare).

Gruß Josef
Offline
Benutzeravatar

Gerald

Administrator

  • Beiträge: 7485
  • Bilder: 32
  • Registriert: Do 24. Jun 2010, 07:45
  • Wohnort: Wien
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Alkohol

BeitragFr 22. Jun 2018, 17:05

Hallo Josef,

a) höhermolekulare Carbonsäuren sind bei Bedingungen wie im Wein (niedriger pH, daher praktisch undissoziiert) genauso wie ihre Ester ziemlich apolar und daher in beiden Fällen schlecht wasserlöslich. Bezüglich Depot kann man aber festhalten, dass solche Säuren bei Zimmertemperatur meist Feststoffe sind, die Ester aber oft noch flüssig.

b) dass Ethanol an der Luft zu Acetaldehyd von selbst oxidiert, wäre mir auch neu ...

c) die Gleichgewichtskonstante ist natürlich - wie alles in der Thermodynamik - auch temperaturabhängig, aber bei weitem geringer als die Kinetik selbst, wo man oft als Faustregel von einer Verdopplung der Reaktionsgeschwindigkeit je 10 ° Temperatuerhöhung spricht.

Grüße,
Gerald
Offline
Benutzeravatar

innauen

  • Beiträge: 3503
  • Bilder: 8
  • Registriert: Mi 3. Nov 2010, 11:33
  • Wohnort: Berlin

Re: Alkohol

BeitragFr 22. Jun 2018, 17:17

Hallo,

jetzt mal für Leute, die das letzte Mal vor 30 Jahren Chemie hatten. Wieviel Volumenprozent Alkohol ist noch in einer Flasche mit 15% nach zehn und zwanzig Jahren? Was schätzt ihr?

Grüße,

Wolf
„Es war viel mehr.“

Johnny Depp dementiert, 30.000 Dollar im Monat für Alkohol ausgegeben zu haben. (Quelle: „B.Z.“)
VorherigeNächste

Zurück zu Allgemeines Weinwissen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen