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Hefesterben in zu süßer Umbebung

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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RobertM

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Hefesterben in zu süßer Umbebung

BeitragFr 13. Apr 2018, 15:35

In sehr süßen Umgebungen (Eiswein, TBA, Essencia etc.) haben Hefen zum einen Schwierigkeiten die Gärung zu beginnen und sterben zum anderen bereits bei verhältnismäßig niedrigen Alkoholgehalten von ca. 7°Vol. und weniger bereits wieder ab. Ich habe dies etliche Male gelesen und auch verstanden. Die Frage, die ich hier jedoch stellen möchte ist die nach dem Warum?

Warum genau, sterben Hefen – die sich ja von Zucker ernähren – in einer zu süßen Umgebung ab? Was genau tötet sie?

Genau genommen sinkt der Zuckergehalt ja sogar während der Gärung, sodass sie eigentlich allmählich besser zurechtkommen müssen. Tun sie jedoch nicht. Möglicherweise ist es die Kombination von sehr viel Zucker PLUS Alkohol, doch auch das ist an sich noch keine Erklärung.

Kennt jemand die genauen Zusammenhänge?
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Desmirail

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Re: Hefesterben in zu süßer Umbebung

BeitragFr 13. Apr 2018, 16:58

Hier im Forum gibt es ja auch ein paar Winzer, vielleicht können die das besser beantworten. Aber bis dahin kann ich vielleicht mit rudimentärem und lückenhaftem Halbwissen aushelfen.

Bei wilden Hefen ist es so, dass diese gewöhnlich bei 2 - 5 % Alk mit der Gärung Schluss machen. Eine Ausnahme ist der wilde Hefestamm Apiculatus-Hefe, der bis 7% Alk kommt. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.

Darüber hinaus ist der Zucker selbst ein Hemmschuh, denn ab 100 - 250 g/l ist sie Suppe zu dick und die z.B. Backhefe bekommt die Stoffechselproduckte nicht anständig abgebaut was zur totalen Verlangsamung (der Wein würde Monate oder Jahre gären (es könnten sich Essigbakterien oder sonstwas dazu gesellen)) oder zum Tode führt. Über dieser Konzentration von Zucker wird die Zygosaccharomyces oder die Saccharocerevisiae Hefe tätig, die zu den Jochhefen oder Gärhefen bzw. Weinhefen gehört. Diese schafft auch mehr und kann natürlich auch gesteuert werden z.B. durch

a) Druck
b) Temperatur
c) SO2
d) entstehenden Alk
e) viele andere Faktoren wie welche Hefen sind es z.B., sind es Angärhefen, Kalthefen, Kahmhefen oder Klone, die Gesundheit der Hefen spielt eine große Rolle, andere Hefenährstoffe, Essigsäuren, ATP etc. pp


Ansonsten gibt es hier noch Infos:

http://www.weinkenner.de/weinschule/die-kellerwirtschaft/die-weinhefen/
http://www.weinkenner.de/weinlexikon/h/hefen/
http://docplayer.org/67210396-4-alkoholische-gaerung.html


Ich hoffe zur Verwirrung ausreichend beigetragen zu haben. Leider ist die Denke bei der Gärung nicht immer gradlinig, da die Einflussfaktoren sehr, sehr vielschichtig sind und ehr, bei Spontanvergärung, einer Chaostheorie entsprechen. In BDX gibt es dazu ein konkretes Lehrfach im Weinbaustudium an der dortigen Uni :o :shock: :roll:
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stollinger

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Re: Hefesterben in zu süßer Umbebung

BeitragFr 13. Apr 2018, 20:30

Hallo Robert,

vor einiger Zeit habe ich im Forum nach einem Lehrbuch gefragt.
viewtopic.php?f=32&t=5000
Die Mikrobiologie des Weines ist es geworden. An dieser Stelle noch mal Danke an Ollie, bin sehr zufrieden mit der Empfehlung.

Ich versuche nun mal die Antwort auf deine Frage, dem Buch entnommen, fehlerfrei wieder zu geben:

Der hohe Zuckergehalt des Mosts hat das Bestreben, sich durch Wasseraufnahme zu verdünnen. Durch den Osmotischen Druck entzieht nun der Most den Hefezellen das Wasser. Die Zellen verringern das Volumen und die Zellvermehrung wird gehemmt. Durch Zuckerstress kommt der Zellstoffwechsel zum Erliegen und die Zelle stirbt.
In weniger Süßen Mosten sterben die Hefezellen ja auch, aber in denen ist die Hefevermehrung groß genug, dass weiter vergoren wird. Es ist also im Wesentlichen die gehemmte Vermehrung der Grund, dass die Gärung bei niedrigen Alkoholkonzentrationen zum Erliegen kommt.

Hoffe ich habe keinen Blödsinn erzählt.

Sevus, Josef
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Blaufränkisch

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Re: Hefesterben in zu süßer Umbebung

BeitragSa 14. Apr 2018, 06:50

Josef hat dieses Phänomen richtig erklärt. Vereinfacht gesagt bindet der hohe Zuckergehalt in Prädikatsweinmosten das Wasser so stark an sich (und zieht es sogar aus den Hefezellen), dass ein Leben oder gar Vermehren für die Hefe sehr schwierig wird. Im Honig findet man das Phänomen noch ausgeprägter, weil der Zuckergehalt noch höher ist, aber TBAs sind da schon nahe dran.

Die Vermutung, dass es für die Hefe mit jedem mühsam vergorenen Gramm Zucker leichter werden müßte ist naheliegend, aber tatsächlich ist es dann oft die Kombination von noch immer hohem Zucker (mit entsprechend hohem osmotischen Druck) und Alkohol (der auch für die Hefe, die ihn produziert ein Gift ist), die zum frühen Gärende in solchen Fällen führt.

Gerade bei Botrytis-Mosten (BA, TBA) kommt dann auch noch ein Nährstoffmangel dazu, da der Pilz Vitamin A und Stickstoff verbraucht, was dann der Hefe fehlt. Wenn nicht von außen reguliert macht zusätzlich auch die durch die späte Lese bedingte niedrige Temperatur der Hefe zu schaffen.

Trotzdem gibt es immer wieder einzelne Gärungen, die 13, 14 oder gar 16 Prozent (und immer noch 100 oder mehr Gramm Restzucker) erreichen. Aber eben auch - häufiger - solche, wo nach monate- oder gar jahrelanger Gärung am Ende nur 6, 7 oder 8 Prozent stehen. Oder sogar weniger als 5,5%, dann gilt es (zumindest nach österreichischem Weingesetz) gar nicht als Wein, sondern nur als "teilweise angegorener Traubenmost". Essencia aus Tokaj ist auch so hoch konzentriert, dass sie kaum oder gar keinen Alkohol enthält.
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RobertM

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Re: Hefesterben in zu süßer Umbebung

BeitragSa 14. Apr 2018, 09:37

Super!! Das mit dem osmotischem Druck hatte ich schon einmal gehört, war aber nicht sicher, ob das stimmt. Erscheint aber plausibel. Vielen Dank!

Das mit dem Nährstoffmangel ist ebenfalls hochinteressant und ebenfalls nachvollziehbar. Danke!!

Der Ansatz mit den wilden Hefen, die bei 5% Schluss machen erscheint mir weniger nachvollziehbar, insbesondere da die Mehrzahl der Weine ja 5% Vol. locker überschreiten ... aber dennoch Dankeschön!

Ihr habt mir sehr geholfen!
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Blaufränkisch

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Re: Hefesterben in zu süßer Umbebung

BeitragSa 14. Apr 2018, 11:50

Hallo Robert,

Desmirail liegt nicht falsch mit seinen Aussagen, nur haben sie wenig mit deiner konkreten Frage zu tun. Der von ihm angesprochene Themenkomplex dreht sich eher um die Frage welche Mikroorganismen im Most, insbesondere bei Spontangärungen ohne Zugabe von Reinzuchthefe arbeiten.

Verschiedene sogenannte "wilde" Hefestämme dominieren am Anfang der Gärung, ehe sich die echte Weinhefe Saccharomyces durchsetzt, weil sie höhere Alkoholgehalte verträgt. Das kann sich positiv auf die Aromenvielfalt und die Mundfülle auswirken, kann aber auch zu Fehlentwicklungen führen, weil manche "wilde" Stämme höhere Gehalte an Essigsäure produzieren oder auch andere Weinfehler.

Grüße

Bernhard
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Muellimov

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Re: Hefesterben in zu süßer Umbebung

BeitragSa 14. Apr 2018, 12:38

Ich muss Bernhard noch dahingehend korrigieren, dass der Botrytis-Pilz nicht Vitamin A verbraucht hat, sondern hauptsächlich Thiamin (Vitamin B1) und in deutlich geringerem Maße Pyridoxin (Vitamin B6). Genau diese Stoffe brauchen Hefen aber zum Wachstum. Thiamin wird deshalb solchen Mosten bzw. dem gärenden Most im frühen Stadium separat zugegeben (plus Stickstoff bzw. andere stickstoffhaltige Mittel wie inaktive Hefe oder Zellrinde von Hefen). Ansonsten stimmt alles... ;)
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Muellimov

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Re: Hefesterben in zu süßer Umbebung

BeitragSa 14. Apr 2018, 12:51

Zur Vergärung solch hochgradiger Moste werden sehr oft speziell dafür geeignete Hefestämme in Form von Reinzuchthefen beigegeben, um insbesondere die Bildung flüchtiger Säure möglichst gering zu halten. Das sind übrigens sehr oft Hefen, wie sie auch in der Versektung eingesetzt werden, wie z.B. die N96 oder die EC 1118. Aufgrund des sehr hohen osmotischen Drucks reagieren die Hefen verstärkt mit der Bildung von Glyzerin, welches sie unempfindlicher gegen den osmotischen Stress macht. Allerdings gibt es eine prinzipielle Korrelation zwischen der Bildung von Glycerin und der Bildung flüchtiger Säure. Besonders geeignet sind also Hefestämme, die unter solchen Bedingungen möglichst wenig flüchtige Säure bilden, wie eben die oben genannten.

Wer das genauer nachlesen will:
Quelle: Erasmus, D. J., Cliff, M. & H. J. J. van Vuuren (2004): Impact of yeast strain on the production of acetic acid, glycerol, and the sensory attributes of Icewines. American Journal of Viticulture and Enology (Volume 55): 371-378.
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Muellimov

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Re: Hefesterben in zu süßer Umbebung

BeitragSa 14. Apr 2018, 13:14

Ein (letzter) Nachtrag noch: auch das bei der Gärung gebildete CO² ist für Hefen toxisch. Es ist also speziell bei Weinen oben genannten Typs anzuraten, die Ausgasung des CO² bestmöglich zu unterstützen. Dies kann bspw. durch Zugabe von etwas Kieselgur zum gärenden Most geschehen. Kieselgur wirkt dabei als Kondensationspunkte des CO², an denen dieses besser ausgasen kann.
Zuletzt geändert von Muellimov am Sa 14. Apr 2018, 15:27, insgesamt 1-mal geändert.
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Desmirail

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Re: Hefesterben in zu süßer Umbebung

BeitragSa 14. Apr 2018, 13:58

Blaufränkisch hat geschrieben:Desmirail liegt nicht falsch mit seinen Aussagen, nur haben sie wenig mit deiner konkreten Frage zu tun ...


Desmirail hat geschrieben:Aber bis dahin kann ich vielleicht mit rudimentärem und lückenhaftem Halbwissen aushelfen.

...

Ich hoffe zur Verwirrung ausreichend beigetragen zu haben.



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