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„fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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Prost!

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„fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“

BeitragMi 14. Jun 2017, 17:15

Hallo zusammen

Ich entschuldige mich schon mal im Voraus dafür, dass es wohl ein längerer Text werden wird…

Zwei tolle Erfahrungen mit ca. 30 Jahre alten süßen bzw. nicht trockenen Weißweinen (ich möchte keine Namen nennen, da ich gleich zu meinem eigentlichen Thema komme, nämlich der Weinpanscherei und ich möchte hier keine Winzernamen mit solchen --- auch nur theoretisch in einen Kontext setzen) haben mich ermutigt, weitere solche Weine zu suchen, aber noch deutlich älter, um zu sehen, wie sich solche Weine präsentieren, wenn sie wirklich mal „ernsthaft“ alt sind. Auch eine Verkostung möchte ich zu diesem Thema durchführen.
Ein paar solcher Weine liegen nun bei mir im Keller, eine erste Kostprobe hinterließ schon mal einen sehr positiven Eindruck
Und jetzt bin ich in meiner Euphorie etwas ausgebremst, denn ich habe kürzlich ein bisschen Lesestoff über den Glykolskandal gesucht und in diesem Zusammenhang noch einiges über illegale Aufzuckerungsorgien zu „vergangenen“ (hoff ich doch mal stark) Zeiten gefunden.
Letztere werden in einem 1985 erschienenen Zeit-Artikel mit dem Titel „Saure Trauben, süße Sünden“ beschrieben. Ich muss aber dazu sagen dass mir dieser Artikel schon ziemlich reißerisch vorkommt…

http://www.zeit.de/1985/32/saure-traube ... ettansicht

In dem Artikel fallen Zitate wie

„Nicht immer reicht der Eigenbauwein aus. Dann rollen Tankzüge mit ausländischem Billigwein – vornehmlich aus Italien über die Bundesgrenzen…. In den großen Abfüllbetrieben wird er dann, getreu einer fränkischen Winzer-Devise, „fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“, „germanisiert““

„Von 1974 bis 1978 wurde etwa im Anbaugebiet Mosel-Saar-Ruwer um 13 Prozent und in Rheinhessen um zehn Prozent mehr Prädikatswein amtlich geprüft, als überhaupt geerntet worden war“

„Im bislang größten deutschen Weinpanscher-Prozeß gegen den Wein-Kommissionär Heinzgünther Schmitt aus Longuich an der Mosel…verriet im März dieses Jahres der Vorsitzende Richter Pahl das traditionelle Rezept der Mosel-Winzer, das er „fast wie ein ungeschriebenes Kochbuch“ empfand: Man nehme 1000 Liter Wein und einen 50-Liter-Kanister Flüssigzucker“

Ich hoffe/denke zwar das speziell „fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“ und „Man nehme 1000 Liter Wein und einen 50-Liter-Kanister Flüssigzucker“ in die Kategorie „ wir nehmen jetzt mal den aktuellen Skandal und heizen das Thema noch zusätzlich ordentlich auf“ fällt, aber eins macht mich doch ziemlich unrund:
Ich hab grad mal Weine von 5 Betrieben zusammengetragen und schon hab ich einen Anhaltspunkt (ich kenne das Ergebnis der in dem Artikel erwähnten Ermittlungen gegen den Winzer nicht), dass ich einen Treffer im Sinne von „1000 Liter Wein/50-Liter Flüssigzucker“ gelandet haben könnte…
Statistisch ziemlich unwahrscheinlich, wenn das damals nur Ausnahmen gewesen wären…

Deshalb meine Fragen:
- Haben die das damals wirklich so flächendeckend betrieben mit „1000 Liter Wein/50-Liter Flüssigzucker“ usw., wie es in dem Artikel nahegelegt wird?
- Die Weine, die ich bis jetzt habe, sind zwischen 31 und 66 Jahre alt. Würde man eventuelle --- wenigstens erkennen, weil sie einfach entweder grauslich schmecken oder ganz trivial schon hinüber wären (weil nur mit Zucker versetzte „fausthoch Wein, kniehoch Wasser“-Brühen aus nicht richtig ausgereiften Traubenmaterial einfach kein gescheites Reifepotential haben (?) Es sind ja schließlich nicht nur die RZ-Gehalte, die einem Wein Lagerpotential verleihen)
- Ist inzwischen genug bekannt darüber, wie lange diese Glykol-/Glyzerin-Sauereien schon betrieben wurden, bevor die „Winzer“ aufgeflogen sind? 70er, 60er, 50er Jahre, wie schaut`s da aus? Dito bzgl. der „nur“ aufgezuckerten Weine?
- Sind damals auch deutsche Produzenten bzgl. eigener Glykolaktivitäten aufgeflogen oder hat sich das im Großen und Ganzen darauf beschränkt, dass die, ohne es zu wissen, ihre minderwertigen Brühen mit den noch unappetitlicheren österreichischen Plörren aufgehübscht haben?
- Hat jemand einen Buch/Internettip mit Focus „Weinbau in Deutschland im 20. Jh.)“ (unabhängig von diesem Thema, nur eigenes Interesse)?
- Wenn das der längte Eingangspost des Forums ist, kriege ich dann einen Preis?

Uff, jetzt bin ich durch. Bin jetzt unterwegs Richtung Alm und kann erst wieder Fr/Sa antworten. So lange habt Ihr vor meinen Romanen Ruhe. Ich freue mich auf eure erhellenden Antworten:-)

Danke für eure Geduld und viele Grüße
Rainer
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Bernd Schulz

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Re: „fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“

BeitragMi 14. Jun 2017, 19:51

Hallo Rainer,

über die von dir angeschnittene Thematik könnte man sicher eine Doktorarbeit schreiben. Und gleichzeitig ist es schwierig, überhaupt etwas Stichhaltiges dazu zu sagen, wenn man sich nicht sehr intensiv mit der Angelegenheit beschäftigt hat....

Fakt ist, dass der deutsche Weinbau 1985, als der Zeit-Artikel herauskam, einen vorläufigen Tiefpunkt erreicht hatte. Die klimatischen Verhältnisse der späten 70er/frühen 80er Jahre waren meistensteils ungünstig (ich erinnere mich noch gut an diverse extrem kühle und verregnete Sommer), und die Moral der Winzer war dementsprechend kaum besser. Es ist davon auszugehen, dass in dem Jahrzehnt zwischen 1977 und 1987 auf breiter Front ziemlich viel Murks gemacht wurde. Wie viele Kellereien/Winzerbetriebe seinerzeit auf welche Art und Weise herumgepfuscht haben, wird dir aber hier kaum jemand genauer erklären können.

Tatsache ist aber auch, dass trotz eines im technischen Sinne höheren Gesamtniveaus auch heute noch sehr viele Weingüter an der Mosel Produkte erzeugen, die ich niemals erwerben würde. Im Anbaugebiet existieren laut Internet 3600 Winzerbetriebe - wie viele davon machen wirklich guten oder auch nur wirklich ordentlichen Wein? 20 Prozent? 30 Prozent? Insofern muss man sich vielleicht gar nicht so sehr über die Vergangenheit echauffieren....damals wie heute war und ist das Qualitätsstreben des einzelnen Erzeugers entscheidend! Man kann nun mal nicht blind kaufen - das betrifft die Weine aus den 70er Jahren ebenso wie die 2015er!

Prost! hat geschrieben:- Ist inzwischen genug bekannt darüber, wie lange diese Glykol-/Glyzerin-Sauereien schon betrieben wurden, bevor die „Winzer“ aufgeflogen sind? 70er, 60er, 50er Jahre, wie schaut`s da aus? Dito bzgl. der „nur“ aufgezuckerten Weine?


Zur Historie der Glykolverwendung kann ich dir nichts Genaueres sagen; andere hier (Ulli?) wissen vielleicht mehr darüber. Die Nasszuckerung war in Deutschland bis 1971 bei bestimmten Qualitäten erlaubt - dementsprechend wird sie bis dahin auch häufiger zur Anwendung gekommen sein! Ich sehe darin auch nichts so arg Erschreckendes. Schließlich ist Zucker kein Gift (heute wird er noch vielen Weinen weltweit in fester Form zugefügt), und wenn er vor der Verwendung in Wasser gelöst wurde, wurde der Wein halt etwas verwässert...ja nun...

Was sogenannte "Süßreserve" im Sinne des deutschen Weingesetzes ist, ist dir bekannt, oder?

Herzliche Grüße

Bernd
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UlliB

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Re: „fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“

BeitragMi 14. Jun 2017, 21:09

Bernd Schulz hat geschrieben:Zur Historie der Glykolverwendung kann ich dir nichts Genaueres sagen; andere hier (Ulli?) wissen vielleicht mehr darüber.

Oha. Der Glykolskandal ist jetzt auch schon wieder 32 Jahre her, da müsste ich mich in die Details wieder einlesen. Ich erinnere mich allerdings noch ganz gut daran, dass Deutscher Wein nur dadurch betroffen war, dass einige Kellereien in Rheinland-Pfalz ihre Prädikatsweine (illegalerweise) mit österreichischen Weinen gepimpt hatten, dies aber offensichtlich ohne das Wissen geschah, dass diese ihrerseits mit Glykol "verbessert" worden waren. Ein direkter Glykolzusatz zu Wein konnte in Deutschland trotz damals ziemlich flächendeckender Untersuchungen nicht nachgewiesen werden (der Fairness halber muss man sagen, dass auch in Österreich nur eine Handvoll Betriebe mit Glykol gearbeitet und das quasi als "Betriebsgeheimnis" gehandhabt haben).
Die Nasszuckerung war in Deutschland bis 1971 bei bestimmten Qualitäten erlaubt - dementsprechend wird sie bis dahin auch häufiger zur Anwendung gekommen sein!

Das ist richtig. An der Mosel wurde das Verfahren aber nach glaubhaften Berichten auch nach 1971 noch von etlichen Betrieben verwendet, und das wurde offensichtlich durch die Behörden stillschweigend geduldet - wirklich durchgesetzt wurde das Verbot wohl erst in den 80ern.

[...] heute wird er [Zucker] noch vielen Weinen weltweit in fester Form zugefügt [...]

Im Prinzip richtig. Aber nur im Prinzip... seit der Zulassung von RTK zur Chaptalisierung (das ist auch in Deutschland erlaubt) hat die Flüssigzuckerung gewissermaßen fröhliche Urständ gefeiert, denn RTK ist flüssig und enthält Wasser (wenn auch zugegebenermaßen nur sehr wenig).

Und auf Grund des dankenswerten Handelns des VDP (was hieß nochmal das P im Namen??) darf heute im trockenen Segment auch in Deutschland alles bis hoch zum GG chaptalisiert werden - die trockenen Weine sind beim VDP und den diversen VDP-Apologeten weinrechtlich alles nur noch Qualitätsweine (ohne Prädikat), und die dürfen aufgebessert werden. Insofern ist heute alles viel besser geworden, denn Besch***en muss man nicht mehr, es ist alles ganz legal gemacht geworden... :lol:

Gruß
Ulli
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Bernd Schulz

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Re: „fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“

BeitragMi 14. Jun 2017, 21:39

UlliB hat geschrieben:Das ist richtig. An der Mosel wurde das Verfahren aber nach glaubhaften Berichten auch nach 1971 noch von etlichen Betrieben verwendet, und das wurde offensichtlich durch die Behörden stillschweigend geduldet - wirklich durchgesetzt wurde das Verbot wohl erst in den 80ern.


Wie ich gerade irgendwo im Netz gelesen habe, gab es wohl bis 1975 eine "Übergangsregelung". Sprich: Trotz des Verbots im 71er Weingesetz war die Nasszuckerung de facto bis 1975 legal.

UlliB hat geschrieben:Und auf Grund des dankenswerten Handelns des VDP (was hieß nochmal das P im Namen??)


Tja, wofür stand das P ?......"Pinscherzüchter"?..... :twisted:

Herzliche Grüße

Bernd
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Prost!

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Re: „fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“

BeitragSa 17. Jun 2017, 16:10

Danke für eure Antworten!

Dass auch GGs chaptalisiert werden dürfen, ist mir bekannt. Habe ich keine besondere Freude mit, mir wäre es lieber, wenn die Weine mehr Jahrgangstypizität zeigen würden (die meisten Topproduzenten werden das hoffentlich eh nicht machen), aber ein Fass mach ich deswegen auch nicht auf. Wie Bernd schon schrieb, Zucker ist ja kein Gift.
Wenn jedoch ein Wein, der von den ursprünglichen Gradationen her noch nicht mal als Spätlese etikettiert werden dürfte, zu einer TBA hochgezuckert würde, wäre das aber schon ne Sauerei für mich.

Hier mochte ich gerne eine Frage aus meinem EP wiederholen:
Die Weine, die ich bis jetzt habe, sind zwischen 31 und 66 Jahre alt. Wie schätzt ihr das Alterungspotential von brachial aufgezuckerten Weinen ein? Wären die nach so langen Zeit nicht ganz einfach hinüber, weil nur mit Zucker versetzte „fausthoch Wein, kniehoch Wasser“-Brühen aus nicht richtig ausgereiften Traubenmaterial einfach kein gescheites Reifepotential haben (?) Es sind ja schließlich nicht nur die RZ-Gehalte, die einem Wein Lagerpotential verleihen. Würde mich über eine Einschätzung von euch freuen.

Bernd, „Süßreserve“ kenne ich von einem befreundeten Winzer in der Form, dass er eine kleine Menge Saft (aus seinen eigenen Trauben) unvergoren zurückhält, um ihn bei Bedarf später dem Wein zuzugeben. Finde ich absolut OK, allerdings ist für mich das Experiment leider sensorisch nicht so ganz geglückt, ich fand diesen Wein davor besser. Er hat das 2015 zum ersten Mal gemacht und ich hoffe, dass er das in Zukunft wieder sein lässt. 2016 hatte er gar keine Gelegenheit dazu, denn durch einen Aprilfrost betrug seine Jahresernte damals 200 Liter Saft (nein, da fehlen keine Nullen). Ein recht junger Betrieb, überall noch Investitionen abzubezahlen…
Ich hätte nicht die Nerven für den Job…

Was das Glykolthema angeht, so schätze ich nach Ullis Beitrag das Damoklesschwert, das sich Glykolwein in meine Probe verirren könnte, als nicht mehr so groß/scharfkantig ein, danke Ulli!
War es damals In D nicht eh so, dass diese Glykol-TBAs zum Großteil zu „Geiz ist Geil“-Preisen in den Supermärkten verramscht wurden? So was hab ich eh nicht…

Grüße
Rainer
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UlliB

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Re: „fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“

BeitragSa 17. Jun 2017, 16:40

Prost! hat geschrieben:Hier mochte ich gerne eine Frage aus meinem EP wiederholen:
Die Weine, die ich bis jetzt habe, sind zwischen 31 und 66 Jahre alt. Wie schätzt ihr das Alterungspotential von brachial aufgezuckerten Weinen ein? Wären die nach so langen Zeit nicht ganz einfach hinüber, weil nur mit Zucker versetzte „fausthoch Wein, kniehoch Wasser“-Brühen aus nicht richtig ausgereiften Traubenmaterial einfach kein gescheites Reifepotential haben (?) Es sind ja schließlich nicht nur die RZ-Gehalte, die einem Wein Lagerpotential verleihen. Würde mich über eine Einschätzung von euch freuen.

Ich glaube nicht, dass diese Frage von irgendjemand wirklich beantwortet werden kann. Dazu müsste man ja wissen, was von dem, was man irgend wann mal erworben hat, tstsächlich "brutal aufgezuckert" worden ist.

Darüber hinaus: Weine im Alter von "31 bis 66 Jahren" sind halt alle schon sehr alt, und wie jemand mal sagte: in dem Alter gibt es keine guten Weine mehr, sondern nur noch gute Flaschen. Fragen wie die individuelle Korkpermeabilität oder die Lagerbedingungen rücken da vor der grundsätzlichen Fähigkeit eines Weines, so lange halten zu können, schon mal in den Vordergrund.

Und was die grundsätzliche Haltbarkeit von restsüßen Weinen betrifft: ja, restsüße Rieslinge können durchaus lange reifen. Es kommt aber immer auf den individuellen Wein an: 30 Jahre sind durchaus schon ambitioniert, 40 Jahre sehr ambitioniert, und alles darüber scheint mir reine Glücksfrage zu sein. Ich hatte schon über 60 Jahre alte Auslesen in hervorragendem Zustand im Glas, aber man muss schon ganz ehrlich sein: das meiste in dem Alter hat seine besten Tage gesehen, und das ist dann schon lange her. Auch bei absolut seriösen Produzenten.

War es damals In D nicht eh so, dass diese Glykol-TBAs zum Großteil zu „Geiz ist Geil“-Preisen in den Supermärkten verramscht wurden?

Ja, das war so. Kellereiware, ich erinnere mich an Preise so um 5 bis 6 DM / Flasche.

Gruß
Ulli
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Prost!

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Re: „fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“

BeitragSa 17. Jun 2017, 18:37

Hallo Ulli

Danke für deine Antwort.
Wenn ich es richtig verstehe, siehst du eher das Problem, dass man, wenn ein Wein bei der Probe schon hinüber ist, dann nicht mehr sagen kann, was der Grund dafür war. Könnte so eine Aufzuckerbombe gewesen sein, aber auch ein redlich gemachter Wein, der einfach nicht das Potenzial hatte bzw. keine optimale Flasche. OK, danke, hatte ich nicht bedacht.

Ansonsten bin ich jetzt etwas erstaunt über deine ausgeprägte Skepsis bzgl. der allgemeinen Lagerfähigkeit meiner süßen Schätzchen.
Klar, bei trockenen Rieslingen wird’s nach 30 Jahren schon ziemlich eng. Aber auch die können noch gut sein. Ich denke hier an einen 83er Kabinett vom Bründlmayer, den ich vor ein paar Monaten geöffnet hatte und auch an insgesamt 5 86er Morsteine von Wittman, die ich so in den letzten 2-3 Jahren getrunken hatte: fürchterlich durchfeuchtete Korken, außerdem hatte sich da der VK (nach dem Kauf) verplappert und es war dann klar, dass die Flaschen wohl noch nicht einmal optimal gelagert worden waren. Da war es dann auch so, dass ich Flaschenvarianzen hatte. Zwei habe ich wegschütten müssen, die anderen drei haben mir durchaus noch Spaß bereitet. Aber ich bin bei dir: Die Fl. früher zu trinken, wäre wohl schon geschickter gewesen.
Aber bei den Süßen wundere ich mich über deine Einschätzungen. Die beiden 86er (1x Kabi, 1x Spätlese), die in meiner Probe geöffnet werden, konnte ich schon probieren (hab von beiden zum Glück noch ein paar Flaschen)  deutlich gereift, aber absolut top.
Bei einem der 1976er, die da kommen werden, fühle ich mich vom Erzeuger her auf der sicheren Seite. Der hat sogar ne Liste von (geschätzt) > 100 Altweinen, die er immer noch regulär verkauft. Das sind im Übrigen auch meist trockene Kabinette, ich hab halt ne TBA. Ich denke mal, dass der seine Weine in seinem eigenen Interesse regelmäßig nachverkostet, das sind ja Werte…
Bei einer 64er Feinen Auslese habe ich eine optimistische Rückmeldung vom Erzeuger bzgl. Haltbarkeit bekommen (eh ein Topbetrieb, dummerweise aber der, der im verlinkten Artikel aus meinem EP erwähnt wird, seufz…).
Und der älteste (59er), den ich bislang in meinem Leben getrunken habe, war auch noch absolut top und wird das meiner Meinung nach auch noch über Jahre sein, s. hierzu auch meinen Parallelthread. Die Weine dieses Erzeugers wurden aber auch erst kürzlich „en gros“ von meinem VK direkt aus dem Weingut rausgekauft. D. h. für mich optimale Lagerbedingungen, Weine wurden regelmäßig nachverkostet und in einem ca. 20 Jahre-Rhythmus neu verkorkt.
Altersmäßig hab ich also eigentlich bislang nur gute Erfahrungen gemacht (du wirst aber wohl schon mehr Erfahrung haben als ich, denke ich mal).
2 Weine (83 und 76) werden nicht in meine Verkostung kommen. Die haben aber kein Alterungsproblem, die sind mir nur nicht gut genug für meine Probe.

Grüße
Rainer
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Bernd Schulz

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Re: „fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“

BeitragSa 17. Jun 2017, 21:21

UlliB hat geschrieben:Darüber hinaus: Weine im Alter von "31 bis 66 Jahren" sind halt alle schon sehr alt, und wie jemand mal sagte: in dem Alter gibt es keine guten Weine mehr, sondern nur noch gute Flaschen. Fragen wie die individuelle Korkpermeabilität oder die Lagerbedingungen rücken da vor der grundsätzlichen Fähigkeit eines Weines, so lange halten zu können, schon mal in den Vordergrund.


Grundsätzlich unterschreibe ich Ullis Statement. ABER: Wenn ich auf meine Erfahrungen in der Praxis zurückblicke, muss ich schon sagen, dass sich die Anzahl der wirklich bereits kaputten ollen Rieslinge unter den im letzten Jahrzehnt erlebten Exemplaren aus den 1960er/70er Jahren (und so ganz wenige Weine waren das nicht) in erstaunlich engen Grenzen hielt. Grob geschätzt handelte es sich vielleicht um 10 bis 20 Prozent und nicht mehr!

UlliB hat geschrieben:Und was die grundsätzliche Haltbarkeit von restsüßen Weinen betrifft: ja, restsüße Rieslinge können durchaus lange reifen. Es kommt aber immer auf den individuellen Wein an: 30 Jahre sind durchaus schon ambitioniert, 40 Jahre sehr ambitioniert...


Natürlich kommt es immer auf den individuellen Wein an. Aber bei den restsüßen Produkten der damals besseren Erzeuger sehe ich auch nach 40 Jahren eher wenig Grundsatzprobleme - selbst 73er oder 75er Kabinette von den Rheingauer Staatsweingütern oder von Langwerth von Simmern machen heute immer noch keine schlechte Figur, und die über 40 Jahre alten Spätlesen und Auslesen von Weingütern, die damals einen richtig guten Ruf genossen haben, könnte man fast schon als eine sichere Bank bezeichnen, wenn es die Verschlussproblematik (!) nicht geben würde. Etliche Korken sind halt noch einigermaßen intakt, andere sind hinüber. Ich sage es ja wieder und wieder: Hinwech mit der ollen Baumrinde!

Herzliche Grüße

Bernd
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Prost!

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Re: „fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“

BeitragSo 18. Jun 2017, 16:04

Hallo Bernd

ich beneide dich, Ulli und viele andere in diesem Forum um eure Erfahrungen mit gereiften Weinen. Im trockenen Bereich konnte ich im Lauf der Zeit durchaus meine Erfahrungen sammeln, aber bei den nicht trockenen Tröpfchen sieht es bei mir aktuell leider noch relativ düster aus. Aber ich bin ja grad dabei, dies zu ändern:-).

Es freut mich, dass du die Sache mit den Lagerfähigkeiten etwas optimistischer als Ulli siehst, dies entspricht auch eher meinen bisherigen Erfahrungen.

Meine ältesten Süßen stammen ja aus Beständen, die erst vor kurzem von meinem VK direkt von den Weingütern bezogen und dort auch in regelmäßigen Intervallen (ca. alle 20 Jahre) neu verkorkt wurden. Damit sollte sich das Risiko bzgl. Korken, die schon "hinüber" sind, ja absenken oder hab ich da einen Denkfehler?
Gibt es auch Bedenken gegen das Umkorken (Luftkontakt, oder höheres TCA-Risiko würden mir da spontan einfallen)?

Ich bevorzuge inzwischen auch Flaschen mit Schraub- oder Glasverschluss, die schönste Art um einen Wein zu öffnen, bleibt halt trotzdem immer noch das Entkorken...

Grüße
Rainer
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UlliB

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Re: „fausthoch Wein, kniehoch Wasser und reichlich Zucker“

BeitragSo 18. Jun 2017, 16:48

Prost! hat geschrieben:Meine ältesten Süßen stammen ja aus Beständen, die erst vor kurzem von meinem VK direkt von den Weingütern bezogen und dort auch in regelmäßigen Intervallen (ca. alle 20 Jahre) neu verkorkt wurden. Damit sollte sich das Risiko bzgl. Korken, die schon "hinüber" sind, ja absenken oder hab ich da einen Denkfehler?

Nein, stimmt schon, kein Denkfehler. Und wenn das Neuverkorken sachgerecht gemacht wird, sollte der kurze Luftkontakt kein größeres Problem darstellen. "Sachgerecht" heißt übrigens auch, dass Schwund ausgeglichen wird.

Das TCA-Risiko erhöht sich naturgemäß etwas, da der Wein ja im Laufe seines Lebens mit mehr als einem Korken in Kontakt kommt und jeder Korken ein individuelles Risiko der Kontamination hat. Das muss man wohl in Kauf nehmen, die Alternative (gar nicht neu Verkorken) ist vermutlich riskanter.

Gruß
Ulli
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