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Verschlussphasen

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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Judo

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Verschlussphasen

BeitragMo 29. Mai 2017, 21:47

Hallo liebe Foren-Mitglieder,

besonders im Bordeauxbereich ist die "Verschlussphase", die die "Primärfruchtphase" und die "jetzt schmeckts langsam richtig gut-Phase" von einander trennt, hinreichend bekannt. 2-3 Jahre nach der Arrivage, je nach Tanninstärke des Jahrgangs heißt es erst ein mal "Warten!". Für eine unbekannte Anzahl von Jahren... Gut, wer 12er-Kisten hat.

Aber wie sieht das in anderen Regionen aus? Gibt es dort ähnliche Beobachtungen? Ist die Verschlussphase am Ende eher Ausdruck der Vinifikation? Ein Industriewein geht z.b. direkt von der Frucht- in die "Soßenphase" ein. Je gewichtiger der Wein, und auf lange Haltbarkeit getrimmt, desto eher Verschluss?

Ich muss zugeben, dass ich wenig Erfahrung damit habe. Selten trinkt man Vertikalen eines Weines, und wenn man Einzelflaschen hat, kann vom Luftdruck über die Stimmung bis hin zur Mondphase wohl alles für ein schmecken oder nicht-schmecken verantwortlich sein. Letztlich lasse ich vermeintlich "große Weine" wie Riesling GGs, Bordeaux und auch andere Schwergewichte mind. 5Jahre abhängen. Vermeintlich einfache, fruchtbetonte Weine gibt es zeitig, wenn auch nicht immer sofort, sondern mit etwas Ruhezeit zur Beruhigung. Aktuell bei 20Grad nach 10Uhr z.B. ein 2016 Gelber Muskateller vom Zehnthof Luckert, der Sommerwein für mich schlechthin.

Aber kann man das so verallgemeinern? Gibt es griffige Regeln oder Empfehlungen zur Vermeidung von Enttäuschungen? Wieviele "schwache" Weine kann man letztlich auf dieses Phänomen der Verschlussphase zurückführen?

Ich hoffe auf zahlreiche Rückmeldungen - das Forum lebt ;)
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NoTrollingerPlease

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Re: Verschlussphasen

BeitragDi 30. Mai 2017, 06:55

Hallo Judo,

meine 2cents dazu:
Generell bin ich der Meinung, dass ein guter oder großer Wein immer gut und groß ist, nur in seiner Verschlussphase eben "verschlossen". D.h. er ist nicht schwach, sondern einfach nur "zu"/"vernagelt" oder sonst etwas, aber nicht schwach.
Eine generelle Aussage zu Verschlussphasen insbesondere von Rieslingen traue ich mir nicht zu. Ich denke, das hängt massiv vom Jahrgang, vom Winzer und der Lage ab. Bei großen GGs habe ich schon oft die Erfahrung gemacht, dass sie sich nach 10+ Jahren öffnen und dann eine lange Plateau Phase haben. Daher öffne ich viele große GGs erst nach 10+ Jahren und bin ziemlich auf der sicheren Seite. Bei Kabi's, Spätlesen und auch Auslesen kann das oft auch vollkommen anders sein. Zillikens Weine z.B. machen z.T. wellenförmige Phasen durch, d.h. es kann mehrere Verschlussphasen geben...

D.h. aus meiner Sicht gibt es leider keine generelle Empfehlung für Rieslinge. Hilfreich ist es aber immer, sich mit dem Winzer zu unterhalten, er hat schließlich die beste Erfahrung für seine Weine. Ansonsten hilft es auch sehr, die Verkostungsnotizen hier im Forum oder in anderen Quellen aufmerksam zu verfolgen.

VG
Dirk
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UlliB

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Re: Verschlussphasen

BeitragDi 30. Mai 2017, 08:13

Ich denke, hier muss erst einmal der Begriff "Verschlussphase" klar definiert werden.

Ein roter Bordeaux inmitten der Verschlussphase ist aromatisch völlig stumm - der riecht allenfalls leicht nach Alkohol und sonst nach gar nichts, und im Gaumen sind nur die Strukturkomponenten präsent (Alkohol, Säure, Tannin, sonstige Extraktbestandteile), sonst aber ebenfalls nichts. Ich erinnere mich lebhaft an einen 2001er Léoville Poyferré, den ich um 2006 / 2007 mitten in der Verschlussphase erwischt hatte - auch nach stundenlangem Belüften im weiten Dekanter war dem Wein nicht mehr zu entlocken als ein ganz, ganz zarter Duft nach gechlortem Schwimmbad (!), ansonsten war da schlicht und ergreifend: gar nichts, und auch im Gaumen war der Wein wie tot (mittlerweile ist er wieder voll da und ein klassischer St. Julien geworden). Solche Verschlussphasen sind bei rotem Bordeaux aus guten Jahrgängen üblich; die Dauer schwankt jedoch extrem - zwischen 2 bis 3 Jahren und deutlich über zwei Jahrzehnte (1986er) kommen vor, und auch nach über 30 Jahren Beschäftigung mit Bordeaux bin ich nicht in der Lage, eine einigermaßen zuverlässige Prognose über den Zeitpunkt des Eintritts und die Dauer abzugeben (aber auch Profis liegen da ziemlich regelmäßig daneben).

Derartige "echte" Verschlussphasen kenne ich aber eigentlich nur von rotem Bordeaux. Was ich bei anderen Weinen erlebe, bezeichne ich als Umbruchphase - Abbau bzw. Verschwinden der Primärfrucht, aber noch unentwickelte Reifetöne, oder aber Reste der Primärfrucht stehen unvermittelt und unharmonisch neben ersten Reifetönen. So z.B. bei weißem (trockenen) Bordeaux, bei roten Burgundern, und auch bei Rieslingen. Die schmecken in dieser Phase einfach nicht gut, es passt einfach nicht zusammen, aber als wirklich verschlossen erlebe ich sie meistens nicht - da ist aromatisch ja schon etwas da, nur wirkt es nicht gut oder nicht harmonisch. Den Begriff "Verschlussphase" halte ich deshalb hier für eher unangebracht.

Gruß
Ulli
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EThC

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Re: Verschlussphasen

BeitragDi 30. Mai 2017, 08:21

Aus meiner Erfahrung heraus hat nicht jeder Wein bzw. Riesling im speziellen eine Verschlußphase. Die tritt dann zutage, wenn die Früchte schon stark auf dem Rückzug, die Sekundäraromen aber noch nicht da sind. Bei vielen Weinen geht das auf hohem Niveau ineinander über. Viele sind auch vor der Primärfruchtphase erst mal ein paar Jahre "zu", bevor da was bemerkenswertes aufploppt. Bleibt nur try an error, unterstützt durch das Studium von Erfahrungsberichten anderer, soweit verfügbar. Oder im Weingut nachfragen, das hilft manchmal weiter, aber leider nicht immer, vor allem wenn man bei etwas größeren Häusern nicht mit dem Winzer / Kellermeister selbst reden kann, sondern auf das mehr oder minder fachkundige Verkaufs- und Marketingpersonal angewiesen ist...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
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sorgenbrecher

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Re: Verschlussphasen

BeitragDi 30. Mai 2017, 08:23

Ich stimme Ulli zu und möchte darüber hinaus anmerken, dass selbst (und gerade) die großen Weine in einer derartigen Verschlussphase nicht als groß zu erkennen sind. Zumindest für mich nicht. Habe in Blindproben schon einige Aha-Erlebnisse erlebt, da die Weine in der Verschlussphase zurecht völlig abgestraft wurden, obwohl es sich um zweifelsfrei großen Stoff gehandelt hat, der das Jahre später auch wieder gezeigt hat.
Insofern kann ich mit dem Spruch "Ein großer Wein ist immer groß !" nix anfangen.
Gruß, Marko.
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Ollie

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Re: Verschlussphasen

BeitragDi 30. Mai 2017, 08:46

Hmmm, zumindest bei einigen Rieslingen habe ich schon erlebt, dass die Weine voellig geschmack- und geruchslos waren. Insofern wuerde ich schon sagen, dass es so etwas auch gibt - die Regel ist es allerdings nicht, das stimmt schon.

Es gibt ja die Binse vom Riesling, den man im dritten Jahr nicht trinken soll. Wahrscheinlich haengt sie mit der Erfahrung zusammen, dass dann die von Ulli beschriebene Umbauphase stattfindet. Deshalb habe ich es mir angewoehnt, die Weine wirklich lange (10 Jahre) liegen zu lassen, bevor ich rangehe. Zu oft hatte ich voellig unharmonische Geschmackserlebnisse.

Rotweine aus der noerdlichen Rhone haben IMO auch eine "echte" Verschlussphase, in der sie wirklich nahezu untrinkbar sind.

Cheers,
Ollie
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hendrik

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Re: Verschlussphasen

BeitragDi 30. Mai 2017, 08:55

Ulli hat geschrieben: Derartige "echte" Verschlussphasen kenne ich aber eigentlich nur von rotem Bordeaux...
Nicht gans einverstanden darmit. Meine erfahrung ist dass fast alle Rothwein in das erste Jahr sich sehr gut presentiert. Darnach sol man Bordeaux, Priorat, und in extremis Mas Daumas Gassac in ruhe lassen. Ins besonderes
old school Bordeaux. Seit ungef. 1985 hat man die receptuur geanderd :mrgreen:
Zuletzt geändert von hendrik am Di 30. Mai 2017, 13:52, insgesamt 2-mal geändert.
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la-vita

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Re: Verschlussphasen

BeitragDi 30. Mai 2017, 08:57

Es gibt ja die Binse vom Riesling, den man im dritten Jahr nicht trinken soll.


Kann man das so verallgemeinern? Ich meine, gilt das vom Literriesling bis zum GG? Vom Mittelrhein bis zur Pfalz?
Ich meine festgestellt zu haben, dass die kleinen Rieslinge nach einer Ruhephase von einigen Monaten, dann in einem Zeitraum von bis zu 2 Jahren am besten schmecken. Die Ortsrieslingen so ab 10,-€ aufwärts werden meist erst so ab 2-3 Jahre richtig harmonisch.

Gruß
Detlef
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amateur des vins

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Re: Verschlussphasen

BeitragDi 30. Mai 2017, 09:33

Ich stelle Ullis Unterscheidung zwischen Verschluß und Umbruch keineswegs infrage; im Gegenteil ist mir das, wie so oft, eine höchst willkommene Präzisierung - danke, Ulli! Ich mag aber nicht glauben, daß in Weinen unterschiedlicher Regionen eine grundsätzlich andere Chemie stattfindet (edit: hat er auch nicht geschrieben). Ich suche daher woanders:

Ich frage mich, ob es eine Korrelation mit der Reifegeschwindigkeit am Stock gibt? @Ulli, beobachtest Du "kompletten Verschluß" eher linksufrig, oder ist das gleichverteilt? Cabernet und auch Syrah (Ollie - Nordrhône) sind ja beide eher spätreifend; Riesling übrigens auch.

Und noch etwas ist mir aufgefallen, statistisch überhaupt nicht abgesichert und möglicherweise autosuggestiv verfälscht: "Bio"-Weine scheinen mir über die gesamte Lebensdauer, speziell aber in ihrer Jugend, zugänglicher zu sein als ihre konventionell(er)en Nachbarn. Habt ihr soetwas auch beobachtet? @Ulli: Wie ist das z.B. bei jüngeren Pontets seit der "Erneuerung"? Die letzten VKN hier scheinen mir in diese Richtung zu deuten.
Besten Gruß, Karsten
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UlliB

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Re: Verschlussphasen

BeitragDi 30. Mai 2017, 09:48

amateur des vins hat geschrieben: @Ulli, beobachtest Du "kompletten Verschluß" eher linksufrig, oder ist das gleichverteilt?

Ich habe auch schon völlig vernagelte Pomerol mit >90 % Merlot erlebt. Eine generelle Präferenz für das linke Ufer kann ich nicht erkennen. Übrigens kann man nicht pauschal sagen, dass der Merlot (rechts) schneller reift als der Cabernet links, das ist stark vom Jahrgang abhängig.

Und noch etwas ist mir aufgefallen, statistisch überhaupt nicht abgesichert und möglicherweise autosuggestiv verfälscht: "Bio"-Weine scheinen mir über die gesamte Lebensdauer, speziell aber in ihrer Jugend, zugänglicher zu sein als ihre konventionell(er)en Nachbarn. Habt ihr soetwas auch beobachtet? @Ulli: Wie ist das z.B. bei jüngeren Pontet nach der "Erneuerung"?

Ich hatte neuere Pontets immer nur in der Fruchtphase im Glas, und da waren sie halt offen. Der mkarkante Unterschied liegt in der Stilistik, nicht im Maß der Zugänglichkeit - Bordeaux in der Fruchtphase ist meistens sehr zugänglich. Ob und wann die Pontets sich verschließen: keine Ahnung.

Bio ist in Bordeaux ja immer noch eher die Ausnahme. Auf Basis der Erfahrung mit Bioweinen aus anderen Gebieten würde ich aber nicht sagen, dass die ein grundlegend anderes Reifverhalten haben als ihre konventionell erzeugten Pendants (Ausnahmen: ungeschwefelte "Naturweine", Orange Wines etc.).

Gruß
Ulli
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