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Weinschaden durch Kälte?

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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Blaufränkisch

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 12:37

Ich würde Karstens Zusammenfassung von Ulli unterschreiben...

Sieht man nix, waren die Prozesse reversibel und unproblematisch. Kann man das so zusammenfassen?


...mich aber weniger vor (partiellem) Gefrieren fürchten. Alkohol, Restzucker und die anderen Inhaltsstoffe verschieben den Gefrierpunkt von Wein ja deutlich unter null Grad. Dazu kommt dann noch die stark isolierende Wirkung der Verpackung (Wellpappe ist diesbezüglich ziemlich gut), sodass es wohl länger als einen Tag dauert, bis der Wein in der Flasche auch nur annähernd die Außentemperatur erreicht. Nicht zuletzt deshalb versende ich auch im Hochsommer oder Tiefwinter, allerdings tunlichst so, dass der Wein nicht über Feiertage oder Wochenenden irgendwo auf der Strecke herumsteht.

Was Ullis theoretischem Hintergrund betrifft, so muss ich aus der Praxis doch etwas korrigieren:

Ein relativ mildes Verfahren zur Entsäuerung von Wein wurde früher von Winzern praktiziert und wird das vielleicht auch heute noch: man schaffte die Fässer bei tiefen Temperatur ins Freie, worauf die Weinsäure in Form von Weinstein (Kaliumhydrogentartrat) ausfällt. Dieses wird allerdings vor der Abfüllung entfernt, so dass es bei wieder ansteigenden Temperaturen nicht wieder in Lösung gehen kann, was es eigentlich müsste. Insofern sind in diesem Punkt die Verhältnisse mit Wein in der Flasche nicht ganz zu vergleichen.

Ganz schwierig wird es mit makromolekularen Komponenten, d.h. insbesondere mit Eiweißen und mit Polyphenolen. Wenn diese aggregieren, gehen sie anders als niedermolekulare Verbindungen wie Weinstein im Regelfall nicht wierder in Lösung, d.h. der Prozess ist hier irreversibel.


Wein in die Kälte zu stellen (wie bei mir z.B. aktuell eine Süße Auslese bei Außen-Nacht-Temperaturen von deutlich unter dem Gefrierpunkt übrigens) ist KEIN Entsäuerungsverfahren. Es dient lediglich der Stabilisierung, d.h. dem Ausfällen von bereits gebildeten, aber noch in Lösung befindlichen Weinsteinkristallen. Geschmacklich ändert das nichts, denn auch wenn der Weinstein noch in Lösung ist, wird er - da die Weinsäure bereits mit Kalium neutralisiert ist - nicht als sauer wahrgenommen. Davon abgesehen fällt der allergrößte Teil des Weinsteins während der Gärung aus, weil sich das Lösungsmittel (Most=wässrig, Wein=alkoholisch) dramatisch verändert. Die Ausfällung der restlichen Weinsteinmoleküle durch Kälte soll lediglich Kristalle in der Flasche verhindern.

Diese Ausfällung ist übrigens irreversibel. Einmal auskristallisierter Weinstein geht NICHT mehr im Wein in Lösung. Sonst könnte man ja z.B. Fässer mit (kaum vermeidbaren) Weinsteinkrusten zur Säureanreicherung verwenden, wenn man einmal einen säurearmen Jahrgang dort einfüllt und der Wein nimmt dann die Säure aus dem Weinstein auf.

Mein Keller ist um diese Jahreszeit relativ kalt (d.h. zwischen 3 und 5°C), und aus Erfahrung wissen wir, dass das zur Weinsteinstabilsierung genügt, wenn wir die Weine frühestens nach den Feiertagen, d.h. in der Praxis Mitte oder Ende Jänner abfüllen. Im ersten Winter so von alleine stabil geworden werden die Roten, die z.B. teilweise erst nach zwei Jahren abgefüllt werden nicht wieder instabil, auch wenn sie in den gleichen Fässern mit dem ausgeschiedenen Weinstein liegen bleiben. Bei Prädikatsweinen dauert der Weinsteinausfall wegen der höheren Dichte und Konsistenz der Weine länger, da reicht der Keller, bei Hochprädikaten aber auch die Kälte im Hof nicht aus. Zudem sind da oft auch Kalzium und andere Säuren (Schleimsäure, Glucon-, Galakturonsäure,...) im Spiel, die ein anderes, verlangsamtes Kristallisierungsprofil zeigen als normaler Weinstein aus Kalium und Weinsäure.

Herzliche Grüße

Bernhard
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amateur des vins

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 13:08

Ich habe eben nochmals Kontakt zum Händler (renommiert, bin Stammkunde) aufgenommen. Dass es trotz meiner Bitte um Rückfrage zum Versand bei knackigem Frost kam, halte ich weiterhin für unglücklich, kann ich aber als Versehen im Nach-Inventur-Streß durchgehen lassen. Zusammengefasst:
  • Ich wurde auf die Möglichkeit der Nichtannahme hingewiesen
  • Im Fall erneuten Versands würde darauf geachtet nicht dieselben Flaschen zu versenden
  • Ich kann zunächst die Flaschen "auf Sicht" prüfen und dann ggf. widerrufen
  • Ich kann eine Flasche antrinken und ggf. den Rest widerrufen!
    edit: ...bzw. wäre es dann eher eine Reklamation
Dem Händler ist die Problematik bekannt. Es wurden im Selbstversuch Lieferung(en) mit dem Logistiker an sich selbst veranlasst (Temperatur während des Versuchs ist mir nicht bekannt). Dabei wurden Temperaturänderungen von lediglich 1-2° festgestellt. Dass dennoch auch bei diesem Händler heute eine Frostwarnung auf der Homepage erscheint, wurde mit dem nahenden Wochenende erklärt: Während ein Tag unproblematisch sei, seien es zwei bis drei Tage nicht.

Ich halte diesen Umgang mit der Problematik im allgemeinen und meiner Rückfrage im besonderen für vorbildlich.
Zuletzt geändert von amateur des vins am Fr 6. Jan 2017, 15:38, insgesamt 1-mal geändert.
Besten Gruß, Karsten
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amateur des vins

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BeitragFr 6. Jan 2017, 14:48

Update:

Der Wein wurde soeben zugestellt. Ich habe ihn angenommen, weil nach der zitierten Auskunft für mich kein Risiko besteht.

Die Flaschen sind schweinekalt (sicher deutlich unterhalb Trinktemperatur; habe gerade kein geeignetes Thermometer zur Hand), aber intakt. Die Korken sind alle dort, wo ich sie erwarte. In allen Flaschen finden sich weder Schlieren noch deutlich erkennbare Festkörper, aber kleine Reflexe, die sich reproduzierbar der Schwerkraft entgegen bewegen. :lol: Da es 2015er sind, würde ich erstmal davon ausgehen, daß es sich nur um CO₂ handelt und der Wein keinen Kälteschaden genommen hat.

Danke Euch allen für die Unterstützung!
Zuletzt geändert von amateur des vins am Fr 6. Jan 2017, 15:40, insgesamt 2-mal geändert.
Besten Gruß, Karsten
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UlliB

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 14:59

Blaufränkisch hat geschrieben:...mich aber weniger vor (partiellem) Gefrieren fürchten. Alkohol, Restzucker und die anderen Inhaltsstoffe verschieben den Gefrierpunkt von Wein ja deutlich unter null Grad. Dazu kommt dann noch die stark isolierende Wirkung der Verpackung (Wellpappe ist diesbezüglich ziemlich gut), sodass es wohl länger als einen Tag dauert, bis der Wein in der Flasche auch nur annähernd die Außentemperatur erreicht.

Wie im oben verlinkten Artikel beschrieben: bei einem Wein mit 12% Alkohol und durchschnittlichem Extraktgehalt liegt der Gefrierpunkt bei -4,7°C. Hier war es heute Nacht aber deutlich unter -10°C. Sofern der gesamte Transport innerhalb von zwei Tagen abgeschlossen ist, mag das alles wie beschrieben gut gehen. Liegt der Wein aber länger im Fahrzeug (hier z.B. ist heute Feiertag), kann er dann doch teilweise einfrieren.

Wein in die Kälte zu stellen (wie bei mir z.B. aktuell eine Süße Auslese bei Außen-Nacht-Temperaturen von deutlich unter dem Gefrierpunkt übrigens) ist KEIN Entsäuerungsverfahren. Es dient lediglich der Stabilisierung, d.h. dem Ausfällen von bereits gebildeten, aber noch in Lösung befindlichen Weinsteinkristallen. Geschmacklich ändert das nichts, denn auch wenn der Weinstein noch in Lösung ist, wird er - da die Weinsäure bereits mit Kalium neutralisiert ist - nicht als sauer wahrgenommen.

Ich kenne diese Argumentation, widerspreche ihr aber. Was ausfällt, ist Kaliumhydrogentartrat, d.h. es enthält ein durchaus aktives Proton. Der pKs2 von Weinsäure liegt bei 4,3; d.h. Weinstein in Lösung reagiert sauer - und das durchaus im pH-Bereich vieler Weine. Ich bin überzeugt davon, dass gelöster Weinstein (und das auch, wenn die Lösunng temperaturbezogen tatsächlich übersättigt ist, das spielt für den Geschmackseindruck nämlich überhaupt keine Rolle) zum Geschmackseindruck wesentlich beiträgt - ob nun positiv oder negativ.

Dass man das Ausfallen des Weinsteins analytisch nicht erfasst, liegt lediglich daran, dass auf pKs1 titriert wird. Würde man potentiometrisch erfasst komplett und nicht nur bis zum ersten Äquivalenzpunkt (und damit im Ergebnis richtig) titrieren, würde man das auch sehen.

Gruß
Ulli
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Blaufränkisch

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 15:54

Danke für die Ergänzungen, Ulli.

Ich denke trotzdem, dass sich die sensorischen Auswirkungen von Weinsteinausfall in der Flasche in sehr engen Grenzen halten. Einerseits, weil allerhöchstens wenige Zehntelgramm Weinsäure betroffen sein können, was von der Größenordnung her hart an der Unterscheidbarkeitsschwelle liegt. Dabei gehe ich von "ausgereiften" Weinen aus, also solchen, die nicht wenige Tage nach Gärende mit Metaweinsäure- oder CMC-Stabilisierung in die Flasche gefüllt wurden, sondern ohne Entsäuerungsmaßnahmen und mit wenigstens ein paar Monaten Faßreife bis zur Abfüllung liegen dürfen. Bei denen erfolgt der Weinsteinausfall auch ohne Kühlung zum Großteil vor der Füllung. Was dann noch an instabilem Weinstein übrig bleibt ist sehr wenig.

Andererseits wirkt gelöster Weinstein zwar wie du schreibst sauer, allerdings ist in diesem Fall das Kalium auch noch jenseits der reinen (Teil-)Neutralisiation sensorisch im Spiel. Will heißen: Mit Weinstein in Lösung ist der Säuregehalt in der Flasche vielleicht ein, zwei Zehntel Gramm höher, dank des dadurch aber ebenfalls noch sensorisch wirksamen Kaliums ist auch das Mouthfeel, das diese Säure puffert etwas höher.
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Gerald

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 16:28

Ich wollte die Sache mit der Weinsteinausfällung jetzt einmal spaßhalber nachrechnen (habe so etwas zuletzt auf der Uni gerechnet, das ist aber schon einige Zeit her ;) ). Bringt aber wahrscheinlich nicht viel, da ja hier nicht nur Weinsäure und Kalium, sondern diverse andere Säuren sowie anorganische Ionen (Natrium, Calcium, Magnesium, Sulfat, Phosphat etc.) in relevanten Konzentrationen vorkommen und eine Formel nur für Kalium und Weinsäure daher nicht aussagekräftig wäre. Und mit allen vorkommenden Säuren und anorganischen Ionen bekommt man ein (nichtlineares) Gleichungssystem mit ziemlich vielen Gleichungen, das "zu Fuß" wahrscheinlich nicht mehr ganz einfach zu lösen ist.

Allerdings darf ich darauf hinweisen, dass der pH-Wert der meisten Weine im Bereich liegt, wo Weinsäure oft als Puffer verwendet wird und damit sich der pH-Wert nur wenig ändern wird, wenn Weinstein ausfällt. Dazu kommt noch, dass der pH-Wert alleine ja überhaupt kein Maßstab für den sensorischen Eindruck von "sauer" ist (Schwefelsäure schmeckt bei pH 2 beispielsweise viel weniger sauer als Weinsäure).

Ich würde daher am ehesten den oft geäußerten Angaben aus der Praxis vertrauen, dass Weinsteinausfällung nur wenig Einfluss auf den Geschmack des Weins hat.

Grüße,
Gerald
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SaschaT

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragDi 17. Jan 2017, 23:29

Hallo,

hatte jetzt etwas Zeit durch Urlaub und Krankheit und bin wieder mal dem rausch des Konsums erliegen , Lobenberg verschickt sowie Pinard nicht Weinzeche hatte ich angeschrieben , aber der Rest hat geliefert Aux Fin, Kölner Weinkeller, Silkes Weinkeller, Weinpalais etc, alle Weine sind gut angekommen. Weinpalais war zwei Tage unterwegs und ich habe nach eintreffen eine Flasche geöffnet und gemessen 8 Grad also alles im grünen Bereich wenn mir auch ein wenig mulmig war.

Tschau


Sascha
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innauen

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragDi 17. Jan 2017, 23:50

Gerald hat geschrieben:Ich würde daher am ehesten den oft geäußerten Angaben aus der Praxis vertrauen, dass Weinsteinausfällung nur wenig Einfluss auf den Geschmack des Weins hat.

Grüße,
Gerald


Stimmt alles, solange der Wein nicht durchfriert - jedenfalls habe ich einmal unfreiwillig das Experiment gemacht. Einmal habe ich eine geschlossene Flasche im Winter auf dem Balkon vergessen, sie zu Testzwecken wieder aufgetaut und das Ergebnis war untrinkbar.

Grüße,

wolf
„Es war viel mehr.“

Johnny Depp dementiert, 30.000 Dollar im Monat für Alkohol ausgegeben zu haben. (Quelle: „B.Z.“)
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weingeist

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragMi 18. Jan 2017, 16:08

innauen hat geschrieben:Stimmt alles, solange der Wein nicht durchfriert - jedenfalls habe ich einmal unfreiwillig das Experiment gemacht. Einmal habe ich eine geschlossene Flasche im Winter auf dem Balkon vergessen, sie zu Testzwecken wieder aufgetaut und das Ergebnis war untrinkbar. Grüße, wolf

Hallo Wolf, diese Aussage kann ich (leider durch einen fast identen Selbsttest, bei mir war es die Terrasse) nur bestätigen. Der Wein, vollkommen durchgefrohren, der Korken fast zur Gänze herausgedrückt, wurde langsam wieder aufegtaut, um ihn nicht als Eislutscher zu probieren. Trotzdem (und ich habe auch schon andere Behauptungen gehört) war er nicht mehr trinkbar.
Liebe Grüße
weingeist
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toff

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragDo 19. Jan 2017, 13:08

Hallo zusammen,

ich habe zumindest einmal die gegenteilige Erfahrung gemacht. Ich hatte vor vielen Jahren eine Flasche Niersteiner Riesling im Auto vergessen, der dann durchgefroren ist. Den Korken hat es etwas herausgedrückt, die Flasche blieb heil. Der war nach dem Auftauen noch durchaus gut trinkbar.
Ich will damit nicht behaupten, dass der Wein unbeinträchtigt war, interessant wäre natürlich eine nichtgefrorene Kontrollflasche gewesen, aber er hatte zumindest keinen offensichtlichen Fehlton.
Vielleicht lag das einfach an der Unzerstörbarkeit rheinhessischer Rieslinge :lol: .

Beste Grüße

Christopher
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