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Weinschaden durch Kälte?

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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amateur des vins

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Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 00:05

Ausgerechnet jetzt, wo es die auf absehbare Zeit niedrigsten Temperaturen gibt, wird mir (entgegen meinem ausdrücklichen Wunsch) Wein (weißer) quer durch's Land von einem Versandhändler geliefert. Übergabe an den Logistiker war heute, die Zustellung ist für morgen avisiert.

Falls der Wein durch zu niedrige Temperatur Schaden genommen hätte, woran würde ich das merken? Selbst zeitweiliges Anfrieren würde wohl den Korken etwas austreiben, das bekäme ich mit. Aber was ist mit geschmacklichen Veränderungen? Wie verhält es sich bei nicht ganz so niedrigen Temperaturen? Ich habe gelesen, daß die Flaschenchemie schon deutlich vor dem Frieren irreversibel gestört werden kann. Ist das plausibel? Was passiert da?
Besten Gruß, Karsten
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Cocodrillo

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 01:31

Tja, dasselbe Thema bereitet mir zur Zeit leider auch Bauchschmerzen, habe kurz nach Weihnachten 12 Große Gewächse von Emrich-Schönleber und Diel bestellt. Leider hängt die Lieferung seit 9 Tagen bei einem gelb-roten Logistiker fest, bei Temperaturen bis -5° kein Grund zur Freude. Wenn der Wein gefriert lässt sich das vermutlich noch feststellen (herausgedrückte Korken?), aber was passiert in der Nähe des Gefrierpunktes? Im Internet habe ich auf dieser Seite https://www.wein.de/de/deutsche-weine/weinkauf-pflege/eiswein-was-tun-wenn-die-weinlieferung-gefroren-ist/ etwas dazu gefunden. Inwieweit die Befürchtungen dort zutreffend sind, weiß ich leider auch nicht. Ich habe meine Bestellung allerdings heute storniert, schweren Herzens, denn das war ein gutes Angebot.

Beste Grüße
Reinhard
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mixalhs

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 10:33

Bestimmt wird es auch Leute geben, die sagen, dass Wein das verträgt. Dennoch: Wenn Zweifel bestehen, dann gibt es natürlich die Möglichkeit, vom Kauf zurückzutreten (14 Tage, sogar ohne Angabe von Gründen, wenn ich richtig informiert bin). Um zusätzliche Kosten zu vermeiden, sollte man die Annahme des Pakets verweigern, so dass es direkt zu Händler zurückgeht. Das halte ich besonders dann für angemessen, wenn der Händler sich beim Versanddatum offensichtlich über die Wünsche des Kunden hinweggesetzt hat.
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UlliB

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 10:53

Ein ziemlich kompliziertes Thema...

Von der chemischen Reaktionskinetik her betrachtet macht die niedrige Temperatur nichts - im Bezug auf chemische Alterungsprozesse gilt die Gleichung: je kälter, desto langsamer. Weine reifen und altern bei niedrigen Temperaturen langsamer als bei hohen, und da gibt es - theoretisch - keinen Bruchpunkt bei einer bestimmten Temperaturuntergrenze.

Der Blick auf die Physikochemie ist allerdings weniger positiv: Wein ist eine Lösung einer Vielzahl von Komponenten, und bei abnehmender Temperatur nimmt deren Löslichkeit im Allgemeinen ab - bis zu einem Punkt, wo die Sättigungsgrenze überschritten wird und Komponenten ausfallen (können).

Ein relativ mildes Verfahren zur Entsäuerung von Wein wurde früher von Winzern praktiziert und wird das vielleicht auch heute noch: man schaffte die Fässer bei tiefen Temperatur ins Freie, worauf die Weinsäure in Form von Weinstein (Kaliumhydrogentartrat) ausfällt. Dieses wird allerdings vor der Abfüllung entfernt, so dass es bei wieder ansteigenden Temperaturen nicht wieder in Lösung gehen kann, was es eigentlich müsste. Insofern sind in diesem Punkt die Verhältnisse mit Wein in der Flasche nicht ganz zu vergleichen.

Ganz schwierig wird es mit makromolekularen Komponenten, d.h. insbesondere mit Eiweißen und mit Polyphenolen. Wenn diese aggregieren, gehen sie anders als niedermolekulare Verbindungen wie Weinstein im Regelfall nicht wierder in Lösung, d.h. der Prozess ist hier irreversibel.

Friert der Wein tatsächlich (teilweise) ein, wird es ganz übel. Was nämlich im ersten Schritt ausfriert, ist nur reines Wasser, d.h. in der verbleibenden flüssigen Phase steigt die Konzentration der gelösten Komponenten drastisch an, was die skizzierten Probleme deutlich verschärft und jetzt auch tatsächlich zu einer Veränderung der chemischen Reaktionsgleichgewichte führen kann. Einfrieren sollte auf jeden Fall vermieden werden!

Generell würde ich davon abraten, Wein bei Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt liefern zu lassen. Ist das doch passiert, würde ich mir den Wein genau ansehen (was bei Weißwein leichter als bei Rotwein ist): ist der Wein klar und hat kein Depot abgesetzt, ist die Sache vermutlich gutgegangen.

Friert der Wein übrigens völlig duch, platzt die Flasche, da drückt nicht nur der Korken heraus. Schon mal beim Schnellkühlverfahren im Gefrierschrank beobachtet :oops:

Gruß
Ulli
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Philst

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 10:57

mixalhs hat geschrieben:Bestimmt wird es auch Leute geben, die sagen, dass Wein das verträgt. Dennoch: Wenn Zweifel bestehen, dann gibt es natürlich die Möglichkeit, vom Kauf zurückzutreten (14 Tage, sogar ohne Angabe von Gründen, wenn ich richtig informiert bin). Um zusätzliche Kosten zu vermeiden, sollte man die Annahme des Pakets verweigern, so dass es direkt zu Händler zurückgeht. Das halte ich besonders dann für angemessen, wenn der Händler sich beim Versanddatum offensichtlich über die Wünsche des Kunden hinweggesetzt hat.


Um hier im Nachhinein möglicherweise auftretenden Problemen vorzubeugen, sollte man besser den Widerruf erklären. Widerrufen kann man ohne Grund und auch ohne Angabe von Gründen. Ein Rücktritt im rechtlichen Sinne wiederum setzt unter anderem ein Rücktrittsrecht voraus.
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mixalhs

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 11:42

Danke für die Aufklärung! Als Nichtjurist verwechselt man diese Dinge leicht. Also besser ins Kleingedruckte der AGBen schauen und dort den passenden Begriff heraussuchen!
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amateur des vins

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 11:43

Vielen Dank, Ulli, für Deine differenzierten und wie immer hilfreichen Ausführungen! Die Physik ist mir geläufig, aber die Chemie nur in Grundzügen. Über die Irreversibilität ausfällender Eiweiß- und Polyphenolaggregate hatte ich gelesen (s.o.), war mir aber nicht sicher, ob (a) die Produkte immer sichtbar sind und (b) es möglicherweise weitere geschmacksverändernde Reaktionen gibt. Ich entnehme Deinem Post, daß die Problematik unmittelbar sichtbar würde. Sieht man nix, waren die Prozesse reversibel und unproblematisch. Kann man das so zusammenfassen?

Danke, Reinhard - über einen ähnlichen Text bin ich auch gestolpert.

Michael riet bereits zum Widerruf - ihr anderen auch? Kann ich eigentlich die Ware inspizieren (d.h. Karton öffnen, und nicht nur in der Tür bei der Annahme) und dennoch widerrufen? Ich zögere, weil der Wein exklusiv vertrieben wird und ich ihn schon gerne hätte, einschließlich des Rabattes. Das macht bei mittlerem zweistelligen Flaschenpreis schon etwas aus, selbst bei nur 6 Flaschen.
Besten Gruß, Karsten
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UlliB

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 11:54

amateur des vins hat geschrieben: Über die Irreversibilität ausfällender Eiweiß- und Polyphenolaggregate hatte ich gelesen (s.o.), war mir aber nicht sicher, ob (a) die Produkte immer sichtbar sind und (b) es möglicherweise weitere geschmacksverändernde Reaktionen gibt. Ich entnehme Deinem Post, daß die Problematik unmittelbar sichtbar würde. Sieht man nix, waren die Prozesse reversibel und unproblematisch. Kann man das so zusammenfassen?

Ja, das würde ich so zusammenfassen - auch wenn ein kleines Restrisiko bleibt, wenn der Wein tatsächlich partiell eingefroren war und einige Prozesse erst zeitversetzt ablaufen. Bei Weißwein sollten sich Trübungen mit bloßem Auge erkennen lassen. Bei dunklem Rotwein ist das in der geschlossenen Flasche natürlich sehr schwierig.

Gruß
Ulli
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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 12:03

Btw, Lobenberg informiert direkt auf der Startseite (bzw. selbst bei angesteuerten Deeplinks) per Layer, dass sie im Moment wegen der Temperaturen nicht ausliefern bzw. nur auf ausdrücklichen Kundenwunsch und dann auf dessen eigenes Risiko.

Viele Grüße
Guido
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Philst

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Re: Weinschaden durch Kälte?

BeitragFr 6. Jan 2017, 12:30

amateur des vins hat geschrieben:
Michael riet bereits zum Widerruf - ihr anderen auch? Kann ich eigentlich die Ware inspizieren (d.h. Karton öffnen, und nicht nur in der Tür bei der Annahme) und dennoch widerrufen? Ich zögere, weil der Wein exklusiv vertrieben wird und ich ihn schon gerne hätte, einschließlich des Rabattes. Das macht bei mittlerem zweistelligen Flaschenpreis schon etwas aus, selbst bei nur 6 Flaschen.


Ja, kannst du. Es ist gerade Sinn des Widerrufsrechts, dass du die Ware in Ruhe prüfen kannst. Dafür musst du den Karton natürlich auch öffnen.

Verträge, bei denen das Widerrufsrecht ausgeschlossen ist (wenn nichts anderes vereinbart ist), findest du in § 312 g Abs. 2 BGB. Naheliegend, dass man Hygieneartikel vielleicht nicht so ohne Weiteres zurücksenden kann. Da du aber keine Versiegelung im Sinne des Gesetzes öffnest, steht dies einer Kontrolle nicht entgegen.

Weiter könnte man an einen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312 g Abs. 2 Nr. 5 BGB denken. Der Unternehmer soll hierbei nicht das Spekulationsrisiko des Verbrauchers tragen müssen. Die Regelung lautet wie folgt:

"Verträge zur Lieferung alkoholischer Getränke, deren Preis bei Vertragsschluss vereinbart wurde, die aber frühestens 30 Tage nach Vertragsschluss geliefert werden können und deren aktueller Wert von Schwankungen auf dem Markt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat."

Ich kann mir nicht vorstellen, dass dein Wein darunter zu fassen ist. Gemeint ist eher eine Subskription, da der Wein mindestens 30 Tage später geliefert werden muss. Gerichtsentscheidungen dazu habe ich spontan nicht gefunden. Da in den AGB aber voraussichtlich eh ein Widerrufsrecht vereinbart ist, ist diese Frage wahrscheinlich eh hinfällig.

Spannender wäre in rechtlicher Hinsicht eher die Frage, ob du eine Flasche probieren kannst und dich dann trotzdem noch auf das Widerrufsrecht berufen kann. Da dieses Problem wohl rechtlich noch nicht geklärt ist, würde ich dies - wenn mir Rechtsberatung nicht verboten wäre - nicht empfehlen.

Aber vielleicht würde sich ein beim Transport gefrorener Wein bei Ebay als besonderer "Eis"-Wein verkaufen lassen?? :D
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