Aktuelle Zeit: Do 25. Apr 2024, 02:22


Historische Weinlagenkarten und ihre Aussagekraft

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
  • Autor
  • Nachricht
Offline
Benutzeravatar

octopussy

  • Beiträge: 4405
  • Bilder: 135
  • Registriert: Do 23. Dez 2010, 11:23
  • Wohnort: Hamburg
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Historische Weinlagenkarten und ihre Aussagekraft

BeitragDi 9. Aug 2011, 22:22

Hallo zusammen,

gestern wurde auf Jancis Robinsons Seite ein Artikel von Nicola Gutman mit dem Titel "Mapping German Heritage" veröffentlicht, der sich mit den alten Bewertungen von Weinlagen auf der Basis ihrer Besteuerung befasst. Leider ist dieser nicht frei einsehbar.

Nicola Gutman gibt mehrere Beispiele, wie Weingüter ihre Lagen auf der Basis dieser alten Karten klassifizieren. Sie gibt das Beispiel des Weinguts Bürklin-Wolf, das seine Einteilung in Grand Crus und Premier Crus auf der Basis der zu Zwecken der Besteuerung angefertigten Lagenkarte des Königreichs Bayern (zu dem die Pfalz um die Mittelhaardt Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte) von 1828 vorgenommen hat.

Die Preußen (zu denen die Weinbaugebiete Rheingau, Nahe, Rheinhessen und Mosel Saar Ruwer gehörten) haben bekanntermaßen ebenfalls Weinlagenkarten erstellt, die die Klassifikation anhand des Steueraufkommens aus den Verkaufserlösen (einschließlich aus Auktionen) vornahmen. Anhand dieser Klassifikationskarte (1868) hat z.B. das Weingut Dr. Loosen seine Einteilung als Erste Lage vorgenommen (siehe http://www.drloosen.de/vineyard_intro.htm). Einer der großen Verfechter der alten Einteilung ist auch Roman Niewodniczanski vom Weingut Van Volxem. Laut dem Artikel von Nicola Gutman hat er nach dem Erwerb des Weinguts Van Volxem gezielt entsprechend der Einteilung von 1868 weniger hoch bewertete Lagenparzellen verkauft und höher bewertete Lagenparzellen dazu gekauft.

Mit diesem Thema beschäftigt sich auch dieser Kurzbeitrag von Felix Eschenauer auf Captain Cork, anlässlich des Fundes der Besteuerungskarte für den Rheingau von 1867: http://www.captaincork.com/Weinwissen/A ... tung-heute. Daniel Deckers hat darüber auch einen interessanten Artikel im Fine Wine Magazin 1/2011 veröffentlicht, der sich aber mehr mit dem Fund der Karte beschäftigt.

Mich beschäftigt, inwieweit die Lagenkarten aus dem 19. Jahrhundert heute noch Aussagekraft haben. Nicola Gutman und Felix Eschenauer haben zurecht darauf hingewiesen, dass jede Lage natürlich nur so gut ist, wie sie von einem Winzer behandelt wird.

Ich denke, dass zwar die meisten Lagen ihre große Klasse über die Jahrzehnte gehalten haben. Es fällt aber schon auf, dass aus manchen ehemals nach Besteuerungskarten, Bodenpreisen und Marktpreisen hoch bewerteten Lagen heute zwar noch gute Weine kommen, aber kaum mehr solche, die Deutschland- oder sogar weltweit den gleichen Ruf haben wie seinerzeit. Beispiele sind der Bernkasteler Doctor, der Erbacher Marcobrunn der Steinberg in Hattenheim oder auch die besseren Niersteiner Lagen wie Pettenthal, Ölberg, Hipping und Orbel. Dass die Weine aus diesen Lagen heute nicht mehr ganz den Weltruf (und vielleicht auch nicht mehr die Qualität) haben, den sie damals hatten, mag an den Weingütern liegen, die in den Lagen Besitz haben. U.U. liegt es aber auch an veränderten Rahmenbedingungen, z.B. dem veränderten Klima, herannahender Wohn- oder Gewerbebebauung, Brücken, abgeholzten oder aufgeforsteten Wäldern. Ich kann die Frage leider mangels Detailkenntnissen nicht beantworten.

Wie seht ihr die Aussagekraft historischer Weinlagenkarten hinsichtlich der aktuellen Qualität bzw. des aktuellen Qualitätspotenzials?
Beste Grüße, Stephan
Offline
Benutzeravatar

Erdener Prälat

  • Beiträge: 758
  • Bilder: 0
  • Registriert: Di 7. Dez 2010, 00:24
  • Wohnort: Erfurt

Re: Historische Weinlagenkarten und ihre Aussagekraft

BeitragDi 9. Aug 2011, 22:47

octopussy hat geschrieben:...Beispiele sind der Bernkasteler Doctor, der Erbacher Marcobrunn der Steinberg in Hattenheim oder auch die besseren Niersteiner Lagen wie Pettenthal, Ölberg, Hipping und Orbel. Dass die Weine aus diesen Lagen heute nicht mehr ganz den Weltruf (und vielleicht auch nicht mehr die Qualität) haben, den sie damals hatten, mag an den Weingütern liegen, die in den Lagen Besitz haben.

Es liegt schon an den Besitzern der Lagen. Beim Doctor bin ich nicht ganz Deiner Meinung; Wwe. Thanisch Erben Thanisch macht (wieder) hervorragende Weine aus dieser Lage. Und auch aus aus Hipping und Orbel habe ich schon hervorragende Spät- und Auslesen von Betrieben wie Manz oder Schneider getrunken. Die waren aber restsüß und daher nicht im Fokus von was oder wem auch immer.
Offline
Benutzeravatar

Charlie

  • Beiträge: 1065
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 16:13
  • Wohnort: Berlin, Heidelberg
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Historische Weinlagenkarten und ihre Aussagekraft

BeitragMi 10. Aug 2011, 00:11

Ich denke, Eschenauer hat einen wesentlichen Kritikpunkt gebracht: huch, der Link tut gerade nicht, wollte ihn zitieren ... Ich hatte ihn so verstanden: es ist bedenklich (oder mindestens ein sehr weiches Argument), wenn heutige Winzer versuchen, ihre Weine dadurch aufzuwerten, dass im 19. Jh. preußische Finanzbeamte von bestimmten, nicht mal besonders genau eingegrenzten Lagen, mehr Steuer eintreiben wollten als von anderen. Das ist genau die kritische Technik die ich mag und die vor Nebulositäten schützt, aber wenn man z.Bsp. die ganzen EGs von Schloß Schönborn probiert und merkt wie der Marcobrunn hervorsticht und bei Müllen dann doch der Hühnerberg, dann denkt man "hm, hm, ganz so blöd ..."
Offline
Benutzeravatar

octopussy

  • Beiträge: 4405
  • Bilder: 135
  • Registriert: Do 23. Dez 2010, 11:23
  • Wohnort: Hamburg
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Historische Weinlagenkarten und ihre Aussagekraft

BeitragMi 10. Aug 2011, 09:00

Erdener Prälat hat geschrieben:Es liegt schon an den Besitzern der Lagen. Beim Doctor bin ich nicht ganz Deiner Meinung; Wwe. Thanisch Erben Thanisch macht (wieder) hervorragende Weine aus dieser Lage. Und auch aus aus Hipping und Orbel habe ich schon hervorragende Spät- und Auslesen von Betrieben wie Manz oder Schneider getrunken. Die waren aber restsüß und daher nicht im Fokus von was oder wem auch immer.

Hallo Jochen,

restsüß "zählt" natürlich genauso. Ich wollte übrigens nicht sagen, dass Rieslinge aus dem Doctor, Hipping und Orbel nicht mehr gut oder sogar nicht mehr hervorragend seien. Ich fragte mich nur, warum sie nicht mehr diesen strahlenden Weltruf haben, den sie einst hatten, warum sie nicht mehr zu den besten Weinen der Welt gezählt werden. Haben z.B. ehemals höchstbewertete Lagen wie der Niersteiner Ölberg (das war anscheinend im 19. Jahrhundert die am höchsten besteuerte Lage in Rheinhessen) oder auch der Niersteiner Bruderberg heute noch das Potenzial zu Rieslingen, die zu den besten 5 in Deutschland in ihrer Kategorie gehören (restsüß, edelsüß oder trocken ist dabei m.E. egal)?

Eine Gegenfrage, die man sich stellen könnte, wäre natürlich, ob diese Weine damals die hohen Preise neben der Qualität auch wegen guten Marketings erzielten? Wenn das so wäre, dann könnten die Besteuerungskarten natürlich auch nur bedingt als Ausgangspunkt dienen.
Beste Grüße, Stephan
Offline
Benutzeravatar

UlliB

  • Beiträge: 4538
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 19:27

Re: Historische Weinlagenkarten und ihre Aussagekraft

BeitragMi 10. Aug 2011, 11:52

octopussy hat geschrieben: Ich fragte mich nur, warum sie nicht mehr diesen strahlenden Weltruf haben, den sie einst hatten, warum sie nicht mehr zu den besten Weinen der Welt gezählt werden.


Gegenfrage: welche Deutschen Weine werden denn heute überhaupt zu den "besten der Welt" gezählt? - Wenn es nach Preis geht, vermutlich der Scharzhofberger - die Lage galt aber schon immer als erstklassig. Und sonst?

Gruß
Ulli
Offline
Benutzeravatar

octopussy

  • Beiträge: 4405
  • Bilder: 135
  • Registriert: Do 23. Dez 2010, 11:23
  • Wohnort: Hamburg
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Historische Weinlagenkarten und ihre Aussagekraft

BeitragMi 10. Aug 2011, 12:11

Gegenfrage: welche Deutschen Weine werden denn heute überhaupt zu den "besten der Welt" gezählt? - Wenn es nach Preis geht, vermutlich der Scharzhofberger - die Lage galt aber schon immer als erstklassig. Und sonst?


Spontan fallen mir ein:

Wehlener Sonnenuhr
Erdener Prälat
Forster Kirchenstück
Rüdesheimer Berg Schlossberg
Kiedricher Gräfenberg

Das sind jetzt Vorschläge für Weine, die im Inland und Ausland sehr hohe Preise erzielen und ein hohes Prestige haben. Das tut der Doctor natürlich auch, deshalb muss man ihn vielleicht dazuzählen.

Noch mehr als die Frage der aktuellen Lagen von Weltruf interessiert mich aber die eingangs gestellte Frage, ob Lagen in ihrer Qualität über Jahrhunderte gleich oder jedenfalls ähnlich bleiben, es also teilweise nur bessere Erzeuger bräuchte, um das großartige Potenzial zu heben. Oder ob die äußeren Rahmenbedingungen auch erhebliche Veränderungen in der Güte von Lagen hervorrufen können?
Beste Grüße, Stephan
Offline

C9dP

  • Beiträge: 801
  • Bilder: 3
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 19:10

Re: Historische Weinlagenkarten und ihre Aussagekraft

BeitragMi 10. Aug 2011, 12:19

Hallo Ulli,

woran willst du es den festgemacht haben???

Preise: z.B. G-Max bei trockenem Riesling und jede Menge edelsüße Weine (Weil, Johannisberg, Prüm....)

Punkte: Bei Parker räumen gerade Rieslinge rest- und edelsüß aus D regelmäßig sehr hohe Bewertungen ab, ohne das wir diese registrieren, da hier eher die Punkte aus dem GM zählen.

Bei mir geht es eher darum, wo können deutsche Weine die besten sein? Auf jeden Fall sind für mich die deutschen Rieslinge, egal ob trocken oder rest- und edelsüß, die besten Rieslinge der Welt. Die besten Weißweine gehen leider nicht, da hier eine Sortentypizität zu sehr ausgeblendet würde. Ein Chardonay lässt sich nunmal schwer mit einem Riesling vergleichen.
Die Qualität der deutschen Rieslinge wird übrigens im Ausland deutlich mehr geschätzt, als in Deutschland selber. Hierzu muss man nur mal sehen, wo die wichtigsten Kunden mancher Spitzenwinzer sitzen (z.B. Leitz). Da tauchen dann vor allem Länder wie GB, USA, Japan, Norwegen... auf.
Viele Grüße

Aloys
Offline
Benutzeravatar

Dilbert

  • Beiträge: 755
  • Bilder: 23
  • Registriert: Di 7. Dez 2010, 17:33

Re: Historische Weinlagenkarten und ihre Aussagekraft

BeitragMi 10. Aug 2011, 12:37

Nochmal zur Ausgangsfrage:

ich denke die alten Weinlagenkarten (z.B. Preußen für die Nahe) sind auch heute noch durchaus aussagekräftig.
Fragwürdig finde ich dann manchmal die gegenteilige Entwicklung: das nämlich plötzlich Lagen als sehr gut eingestuft werden, die in den alten Karten überhaupt keine Rolle spielen - heute aber im Besitz von VDP-Weingütern sind und sogar den GG-Status besitzen! Ein Narr wer ...?? :shock:

Habe glücklicherweise einen Abdruck der alten Weinlagenkarte Nahe und schaue dort sehr gerne rein!

Gruß,
Jochen
„Eine Magnum-Flasche? Genau die richtige Größe für einen schönen Abend. Vorausgesetzt, man beginnt mit einem Champagner, man endet das Menu mit einem Sauternes, und man ist allein daheim…“
(Anthony Barton)
Offline
Benutzeravatar

UlliB

  • Beiträge: 4538
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 19:27

Re: Historische Weinlagenkarten und ihre Aussagekraft

BeitragMi 10. Aug 2011, 13:25

Dilbert hat geschrieben:Fragwürdig finde ich dann manchmal die gegenteilige Entwicklung: das nämlich plötzlich Lagen als sehr gut eingestuft werden, die in den alten Karten überhaupt keine Rolle spielen - heute aber im Besitz von VDP-Weingütern sind und sogar den GG-Status besitzen! Ein Narr wer ...?? :shock:


Ja, kennst Du denn nicht die "Lex VDP"? Jeder VDP-Winzer darf mindestens ein GG erzeugen, und dafür braucht er halt mindestens eine Erste Lage... außerdem wäre er doch bestimmt nie nicht in den VDP gekommen, wenn er nicht auch eine Spitzenlage hätte... :D

C9dP hat geschrieben:Hallo Ulli,
woran willst du es den festgemacht haben???

Preise: z.B. G-Max bei trockenem Riesling und jede Menge edelsüße Weine (Weil, Johannisberg, Prüm....)


Ich hatte zugebenermaßen zunächst an die Preise gedacht. Und da stinkt ein G-Max (der im trockenen Bereich ja noch ein weitgehend singuläres Phänomen ist) immer noch gnadenlos gehen das ab, was für rote Spitzenbordeaux, Burgunder und manche Kalifornier bezahlt wird. Zumindest in der breiten Wahrnehmung heißt "zu den besten Weinen der Welt zählend" eigentlich immer: rot. Unabhängig von den Punkten. Aber ich versteh schon, wie's gemeint ist.

Gruß
Ulli
Offline

C9dP

  • Beiträge: 801
  • Bilder: 3
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 19:10

Re: Historische Weinlagenkarten und ihre Aussagekraft

BeitragMi 10. Aug 2011, 16:21

Hallo Ulli,

Ich hatte zugebenermaßen zunächst an die Preise gedacht. Und da stinkt ein G-Max (der im trockenen Bereich ja noch ein weitgehend singuläres Phänomen ist) immer noch gnadenlos gehen das ab, was für rote Spitzenbordeaux, Burgunder und manche Kalifornier bezahlt wird. Zumindest in der breiten Wahrnehmung heißt "zu den besten Weinen der Welt zählend" eigentlich immer: rot. Unabhängig von den Punkten. Aber ich versteh schon, wie's gemeint ist.



Sehe ich auch nicht großartig anders, jedoch empfinde ich schon, dass gerade im angloamerikanischen, skandinavischen und japanischen Bereich die deutschen Rieslinge, insbesondere aus dem Rheingau und von der Mosel, ein sehr hohes Ansehen genießen. Auch hier sind Spitzenerzeuger durch Parker ja bereits geadelt worden. Ich meine, dass Dönnhoff mit seinen Eisweinen in den Club der 100er gehört. Auch E-S und Weingüter wie Kerpen :!: sind bei ihm regelmäßig hoch bewertet.

Von den Preisen als Qualitätsmerkmal halte ich ziemlich wenig, da hier viele andere Faktoren eine Rolle spielen. Fiji und Voss sind schließlich auch nicht besser als normales Wasser von Steinsieker. Trotzdem kosten sich ein Vielfaches.

Ich denke schon, auch wenn der Vergleich aufgrund verschiedener Rebsorten total hinkt, dass deutsche Weißweine zu den weltweit besten Weinen gehören und in einer Liga mit den PGCC aus Bordeaux und den GC aus dem Burgund spielen. Allerdings haben wir als Verbraucher den Vorteil, dass Deutschland die günstigsten besten Weine der Welt produziert. Dadurch haben deutsche Spitzenweine ein PGV, welches alles andere (außer die Österreicher) völlig in den Schatten stellt. Wenn ich sehe, dass die weltbesten Rieslinge für 25 - 50 Euro zu haben sind, ist das doch und schmälert nicht die Qualität. Das Denken, dass man nur dann die besten Weine trinkt, wenn diese auch am teuersten sind, führt ja gerade zu den traurigen Entwicklungen im Bordelais.
Viele Grüße

Aloys
Nächste

Zurück zu Allgemeines Weinwissen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 15 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen