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Wahrnehmung von Säure

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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octopussy

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Re: Wahrnehmung von Säure

BeitragSa 1. Aug 2015, 14:47

Ollie hat geschrieben:...denn Frucht ist fuer Anfaenger. Entsprechend werden Weine, die diesem Geschmacksbild nicht entsprechen, gerne als "Fruchtkorb", "fuer Anfaenger" usw. denunziert, waehrend "Steinweine" mit "fuer fortgeschrittene Kenner" tituliert (und auch so wahrgenommen) werden.

Im Ernst: Da waechst eine Winzergeneration heran, die alles tut, um die "Mineraelitaet" im Wein zu forcieren (faktisch also die Frucht zu unterdruecken, soweit die Kellerwirtschaft nur eben traegt). Dass ich selber gerne wirklich trockene Weine trinke, haelt mich nicht davon ab, diese Mode - und den ganzen "Kalkkult", von dem dieser Drang zur Unfrucht ruehrt - unglaublich laecherlich zu finden.

Bei Rotweinen ist es uebrigens auch so, dass neuerdings kein Wein "karg" und "mineralisch" genug sein kann, wenn man die Beschreibungen liest und in die Jubelarien reinhoert. Boooooring.

+ 1.000

Diese Überhöhung des eigenen Geschmacks als "für Fortgeschrittene", "intellektuell", "nichts für Gelbfruchttrinker", etc. geht mir auch sowas von auf den Sack. Und Säure als Qualitätsmerkmal per se halte ich für vollständig verfehlt. In letzter Zeit ist es häufiger vorgekommen, dass in größerer Runde einzelne Leute (vor allem Hardcore-Rieslingtrinker) sagten, ihnen fehle die Säure und deshalb sei der Wein nix. Und das bei Weinen, die sich gar nicht durch eine hohe Säure auszeichnen sollen (z.B. Pinot Gris, Gewürztraminer). Boshaft könnte man sagen, dass Säure genauso ein "Tick the Box" Faktor für bestimmte Weintrinker ist wie gelbe Frucht im "Riesling für Anfänger". Ich bin echt froh, wenn diese "Battery Acid / Brut Nature / Weißwein-Austeritätspolitik" bald wieder abebbt.
Beste Grüße, Stephan
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Gaston

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Re: Wahrnehmung von Säure

BeitragSa 1. Aug 2015, 20:51

octopussy hat geschrieben:
Ollie hat geschrieben:...denn Frucht ist fuer Anfaenger. Entsprechend werden Weine, die diesem Geschmacksbild nicht entsprechen, gerne als "Fruchtkorb", "fuer Anfaenger" usw. denunziert, waehrend "Steinweine" mit "fuer fortgeschrittene Kenner" tituliert (und auch so wahrgenommen) werden.

Im Ernst: Da waechst eine Winzergeneration heran, die alles tut, um die "Mineraelitaet" im Wein zu forcieren (faktisch also die Frucht zu unterdruecken, soweit die Kellerwirtschaft nur eben traegt). Dass ich selber gerne wirklich trockene Weine trinke, haelt mich nicht davon ab, diese Mode - und den ganzen "Kalkkult", von dem dieser Drang zur Unfrucht ruehrt - unglaublich laecherlich zu finden.

Bei Rotweinen ist es uebrigens auch so, dass neuerdings kein Wein "karg" und "mineralisch" genug sein kann, wenn man die Beschreibungen liest und in die Jubelarien reinhoert. Boooooring.

+ 1.000

Diese Überhöhung des eigenen Geschmacks als "für Fortgeschrittene", "intellektuell", "nichts für Gelbfruchttrinker", etc. geht mir auch sowas von auf den Sack. Und Säure als Qualitätsmerkmal per se halte ich für vollständig verfehlt. In letzter Zeit ist es häufiger vorgekommen, dass in größerer Runde einzelne Leute (vor allem Hardcore-Rieslingtrinker) sagten, ihnen fehle die Säure und deshalb sei der Wein nix. Und das bei Weinen, die sich gar nicht durch eine hohe Säure auszeichnen sollen (z.B. Pinot Gris, Gewürztraminer). Boshaft könnte man sagen, dass Säure genauso ein "Tick the Box" Faktor für bestimmte Weintrinker ist wie gelbe Frucht im "Riesling für Anfänger". Ich bin echt froh, wenn diese "Battery Acid / Brut Nature / Weißwein-Austeritätspolitik" bald wieder abebbt.

Jetzt aber bitte nicht den Spieß einfach umdrehen, und all diejenigen bashen, die eine Vorliebe für den säurebetonteren, schlanken Stil hegen. Ich halte das ganz einfach für eine Geschmackspräferenz. Und deshalb trinke ich kaum Grauburgunder oder Gewürztraminer, die haben mir oft wirklich zu wenig Säure. Aber ihr habt in dem Punkt Recht, dass diese gelegentliche Attitüde "Fruchtrinker" = uncool, "Steinlutscher" = Hipster komplett albern ist. Aber ist das wirklich eine Mode?
Beste Grüße
Gaston
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MichaelWagner

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Re: Wahrnehmung von Säure

BeitragSa 1. Aug 2015, 20:56

Dieser Trend braucht endlich mal einen Namen. Ich schlage "Reflux-Weine" vor.

Zu jeder guten Weinprobe gehört dann selbstverständlich ne Magnum-Packung Bullrich-Salz...
wenns läuft, dann läufts. Aber bis es läuft, dauerts...
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octopussy

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Re: Wahrnehmung von Säure

BeitragSa 1. Aug 2015, 22:00

Gaston hat geschrieben:Jetzt aber bitte nicht den Spieß einfach umdrehen, und all diejenigen bashen, die eine Vorliebe für den säurebetonteren, schlanken Stil hegen. Ich halte das ganz einfach für eine Geschmackspräferenz. Und deshalb trinke ich kaum Grauburgunder oder Gewürztraminer, die haben mir oft wirklich zu wenig Säure. Aber ihr habt in dem Punkt Recht, dass diese gelegentliche Attitüde "Fruchtrinker" = uncool, "Steinlutscher" = Hipster komplett albern ist. Aber ist das wirklich eine Mode?

Das wollte ich damit auch gar nicht sagen. Ich persönlich ziehe auch in 60-70% aller Fälle eher einen säurebetonten Weißwein vor. Es geht mir nur um das tendenziöse Überhöhen eines bestimmten Geschmacks - wie du schon sagst: Fruchttrinker = einfältig (weil: Frucht, Süße, Reife = leicht verständlich / offensichtlich), Steinlutscher oder Orangewinetrinker = Feuilleton / für Insider / nur was für die, die sowas auch verstehen. Wenn ich Sätze lese wie "nur für Eleganztrinker" oder "wer braucht schon Dosage im Champagner?" muss ich echt mit den Augen rollen. Es geht doch um Genuss und nicht um Abgrenzung.
Beste Grüße, Stephan
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Gaston

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Re: Wahrnehmung von Säure

BeitragSa 1. Aug 2015, 22:33

octopussy hat geschrieben: Wenn ich Sätze lese wie "nur für Eleganztrinker" oder "wer braucht schon Dosage im Champagner?" muss ich echt mit den Augen rollen. Es geht doch um Genuss und nicht um Abgrenzung.

Nun, darum sollte es gehen. Ich bin aber überzeugt, dass es beim Thema Wein bei vielen Menschen auch um Distinktion geht. Da wird sozusagen die Vorliebe/das Verstehen/der Konsum von kargen Weinen, Orangeweinen, was-auch-immer-Weinen als kulturelles Kapital im Sinne Bourdieus begriffen. Das ist Abgrenzung par excellence.
Beste Grüße
Gaston
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Michl

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Re: Wahrnehmung von Säure

BeitragSa 1. Aug 2015, 22:49

Stephan, sorry, ich fühle mich gerade abgesprochen, weil ich Sätze wie "nur für Eleganztrinker" oder "intellektueller Wein" durchaus benutze, aber NUR um die Weine wertneutral zu charakterisieren. Ich schreibe VKNs, um Tipps zu geben, weil auch ich hier zahlreiche wertvolle Empfehlungen bekomme, und keinesfalls um mich von irgendjemandem abzuheben. Es gibt fur mich keine elitären und laienhaften Trinker und verstehe auch nicht, warum hier Fronten aufgemacht bzw. reproduziert werden.
Viele Grüße

Michl
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thiloV

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Re: Wahrnehmung von Säure

BeitragSo 2. Aug 2015, 09:13

Hallo,

für mich ist die Diskussion insofern interessant, als dass ich Schlagworte in den VKNs, die ich vorher nicht mit Säure in Verbindung gebracht habe, jetzt mit Säure in Verbindung bringe.

Ich glaube übrigens nach allem was ich hier gelesen habe, dass ich "gute" Säure im Rotwein einfach noch nicht erkenne und meine Toleranz für Säure einfach nicht sehr hoch ist. Was mir bleibt ist (außer weiter probieren) ist Winzer zu suchen, denen der Steinwein-Trend egal ist und die einen ähnlichen Geschmack haben wie ich.

Eine letzte Frage: Wie groß ist denn wirklich der Einfluss des Jahrgangs auf den Säuregeschmack eines Weins? Lohnt es sich beim Einkauf auf säurereiche Jahrgänge zu verzichten?

Viele Grüße, Thilo
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Philst

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Re: Wahrnehmung von Säure

BeitragSo 2. Aug 2015, 11:23

Hallo Thilo,

bei mir ist das mit der Säure auch immer ein bißchen wechselhaft. Einmal war mir ein Spätburgunder *** 2008 von R&C Schneider aus Endingen zu sauer, beim nächsten Mal wieder nicht. Vielleicht lag es an der Flasche, vielleicht am Essen vorher, der allgemeinen Stimmung.

Aber wenn du mit der Säure empfindlich bist, dann ist das ja vollkommen ok. Dafür bietet dir die Weinwelt ja eine Fülle von Möglichkeiten und es dürfte jeder den für seinen Geschmack passenden Wein finden.

Noch kurz zu deiner Frage mit den Jahrgängen. Ich habe zB in 2013 fast gar keinen Wein gekauft. Auch wenn es sicher gute Weine aus dem Jahrgang gibt, hab ich drauf verzichtet, auch im Hinblick auf die hohen Säurewerte.

Ich wünsche Dir jedenfalls noch viel Spaß beim Probieren.

Philipp
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Ollie

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Re: Wahrnehmung von Säure

BeitragSo 2. Aug 2015, 13:06

Alle,

oha, hab' ich etwas Leben in die Bude gebracht? Ist ja auch Saure-Weine-Zeit. ;)

Nochmal zur Praezisierung: Gaston, ein schlanker, deutlich suesser und mit schoener Frucht ausgestatteter Moselkabinett ist zwar bestimmt schlank und saeurebetont, wird aber ueblicherweise nicht als "Steinwein" bezeichnet. Mit geht es um trockene Weine, die betont unfruchtig (bisweilen sogar betont unaromatisch) sind und die quasi nur mit mouthfeel operieren. Dieser Drang zur Unfrucht wird aufs Allerschoenste durch die aktuelle Silvaner-Mode illustriert.

Erreicht wird dieses Weinprofil durch viel Maischestandzeit, unscharfe Mostklaerung und verlaengertem Lager auf der (Voll)Hefe. Da das nur bei reifem (aber nicht ueberreifem) und gesundem Lesegut problemlos funktioniert, ist ein hoher Aufwand im Weinberg noetig. Das erklaert, wieso es diese Weine erst seit einigen Jahren gibt und warum sie "von oben" eingefuehrt wurden - Stichwort GG und der damit eingehende Distinktionsdruck auf Seiten sowohl der Erzeuger als auch der Konsumenten. Wobei ich mich wiederhole, wenn ich darauf hinweise, dass es eine Generation von Jungwinzern (juenger als 25) gibt, die diesen Weinstil geradezu verherrlicht, ursaechlich weil er etwas Anderes ist. Ja, fuer mich hat das etwas von Mode.

Weil die Winzer meinen, sie muessten sich gegenueber Gott und der Welt und ihren Vorvaetern und ihren Konsumenten und Haendlern worteich erklaeren, wird aus diesem ganzen Gerede, wo viel mit "Terroir" und anderen Badewannenphilosophien argumentiert wird, truggeschlossen, es seien "intellektuelle" Weine, die eines "tieferen", eines "fortgeschritteneren" Weinverstaendnisses beduerften.

Dass wir uns nicht falsch verstehen: Ich mag solche Weine und finde sie sehr interessant und befriedigend, aber auf den ganzen Ueberbau kann ich getrost verzichten.

Cheers,
Ollie
Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.
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octopussy

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Re: Wahrnehmung von Säure

BeitragSo 2. Aug 2015, 18:11

Michl, sorry, vielleicht etwas zu scharf geschossen. Dennoch halte ich Aussagen wie "nichts für Anfänger", "nur für Eleganztrinker", "nichts für Fruchtbombenliebhaber", usw. für etwas despektierlich, da sie gewisse Weintrinker von vorne herein ausschließen bzw. abstempeln (die Anfänger, die Fruchtbombenliebhaber, diejenigen, die Primärfrucht durchaus attraktiv finden). Das ist auch nicht auf dich gemünzt, sondern man begegnet diesen Aussagen an jeder Ecke, auch bei vielen Weinhändlern, die damit ihren Kunden das Gefühl geben wollen, sie gehörten zu einem erlesenen Kreis auserwählter Kenner. Meine Erfahrung ist, dass für mich ziemlich krass schmeckende Weine zum Teil von unbedarften Mittrinkern (Frau octo zum Beispiel) als durchaus ansprechend beurteilt werden. Mit manchen Weinen wie z.B. Sherry, oxidativen Jura-Weinen, u.ä. kann man noch anecken. Ansonsten glaube ich, dass die Gleichung "Primärfruchtige, säurearme Weißweine mit Zuckerschwanz und Rhônebomber für Anfänger, Pinot Noir und steinige Rieslinge für die Kenner" einfach nicht (mehr) funktioniert.
Beste Grüße, Stephan
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