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Wieviel Erschütterung ist erlaubt

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UlliB

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Re: Wieviel Erschütterung ist erlaubt

BeitragFr 9. Dez 2016, 10:52

Vielleicht noch zur Ergänzung...

Mein Beitrag weiter oben bezog sich zunächst einmal auf die Forderung nach "erschütterungsfreier Lagerung", die m.E. jeder praktischen und theoretischen Grundlage entbehrt.

Was die Lagertemperatur betrifft, ist es aus meiner Sicht völlig unzweifelhaft, dass diese einen Einfluss auf Reifung und Alterung hat - dafür gibt es eine solide naturwissenschaftliche Grundlage (die thermische Reaktionskinetik) und auch eine Menge praktischer Evidenz. Und es gibt aus meiner Sicht auch keinen Zweifel daran, dass eine längerfristige Lagerung bei zu hoher Temperatur (oder auch eine kurzfristige Lagerung bei sehr hoher Temperatur) dem Wein schadet.

Es ist halt nur die Frage, was "zu hoch" oder "sehr hoch" nun genau bedeutet. Systematische Untersuchungen, die tatsächlich sehr aufwendig wären, gibt es dazu meines Wissens nach nicht, und so ist man auf Vermutungen angewiesen. Die von der Klimaschrank-Industrie und deren Fans aufgestellten Behauptungen, dass eine Lagerung bei 10° oder 12° (oder welcher Temperatur auch immer) optimal ist und jedes Grad mehr schadet, entbehrt jedenfalls einer belastbaren Grundlage. Dass darüber hinaus in den Werbeaussagen exponentielle Zusammenhänge linear dargestellt werden, zeigt, dass die Schrankhersteller wohl nicht einmal die theoretischen Grundlagen der Weinalterung verstanden haben.

Ich verfüge seit knapp 20 Jahren über einen Keller, der auch im Hochsommer nicht über 17°C kommt und insofern sicher ziemlich gut ist. Vorher hatte ich aber über ebenfalls 20 Jahre Weine in normalen Neubaukellern gelagert, die im Sommer schon mal auf 21° oder 22° gekommen sind, und hatte auch dort keine wirklichen Probleme.

Aber klar: wer tatsächlich gar keinen Keller hat und die Weine in einer Dachgeschoßwohnung o.ä. warmen Räumen längere Zeit lagern möchte, braucht dafür eine technische Lösung. Die muss aber nicht in einem sündhaft teuren Weinklimaschrank bestehen. Ein Billigkühlschrank aus dem Baumarkt, in irgendeine Ecke gestellt und betrieben auf niedrigster Stufe, dürfte den Zweck gleich gut erfüllen.

Gruß
Ulli
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amateur des vins

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Re: Wieviel Erschütterung ist erlaubt

BeitragFr 9. Dez 2016, 12:17

@Ulli, tut mir leid, da war ich unklar: Mein Einwand bezog sich nur auf EThC und Bernd und die Absolutheit bzgl. der Unsinnigkeit von Klimaschränken.

edit: Was den Billigkühlschrank angeht: Technisch dürfte der in der Tat wenig anders machen, Lavastein, Aktivkohlefilter etc. mal als Blabla abgetan. Wenn man aber keine Ecke hat, um ihn zu verstecken, darf's auch ruhig etwas weniger häßlich und mehr Möbel sein. Deshalb habe ich mich trotz Umweltbedenken (schlechtere Isolation) für ein Modell mit Rauchglasscheibe entschieden.

@EThC, danke für die Präzisierungen, so bin ich d'accord. :)
Die Einschränkung habe ich wohl gelesen. Deine Formulierung lässt sich aber meiner Meinung nach nur so verstehen, dass die Einschränkung sich lediglich auf allgemeine Extreme bezieht, wohingegen der darauf folgende Abschnitt, sich explizit auf Klimaschränke beziehend, garnicht relativiert, sondern sich im Gegenteil extrem liest (Hervorhebungen von mir):
EThC hat geschrieben:Klimaschrank [...] nur gut dafür [...] für die langjährige Lagerung [...] nichts bringt, sondern nur kostet [...] das teure Ego-Spielzeug [...] wunderbar [...] angeben [...] völlig zweckfrei
Nochmal zu den Erschütterungen:
Ich könnte mir vorstellen, dass jemand in der Marketingabteilung erzählt bekam, aufgewirbeltes Depot sei schlecht. Dass sich das höchstens auf das Trinken, nicht aber auf die Lagerung bezieht, und spätestens beim Entnehmen und Aufrichten der Flasche eh einiges aufgewirbelt wird, hat sich vermutlich weder diesem virtuellen Werbetexter noch einer Mehrzahl der Kunden erschlossen, sonst hätte sich das nicht zu ebendieser Urban Legend entwickelt. Und die Mitbewerber ziehen einfach unreflektiert nach. /Spekulation
Besten Gruß, Karsten
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Bernd Schulz

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Re: Wieviel Erschütterung ist erlaubt

BeitragFr 9. Dez 2016, 13:06

amateur des vins hat geschrieben:....Mein Einwand bezog sich nur auf EThC und Bernd und die Absolutheit bzgl. der Unsinnigkeit von Klimaschränken...


So absolut war das natürlich auch von mir nicht gemeint! Selbstverständlich gibt es Wohnsituationen, in denen man um das Betreiben eines Kühlgeräts nicht herumkommt, wenn man Weinflaschen etliche Jahre lagern will. Aber in solch extremen Situationen befinden sich viele Klimaschrankbesitzer nach meinen Erfahrungen nicht....

UlliB hat geschrieben:...Vorher hatte ich aber über ebenfalls 20 Jahre Weine in normalen Neubaukellern gelagert, die im Sommer schon mal auf 21° oder 22° gekommen sind, und hatte auch dort keine wirklichen Probleme...


Mein Keller kommt im Sommer auf über 20 Grad, aber auch bei seit 15 Jahren dort gelagerten 2001ern konnte ich bislang keine Probleme feststellen.

amateur des vins hat geschrieben:Nochmal zu den Erschütterungen:
Ich könnte mir vorstellen, dass jemand in der Marketingabteilung erzählt bekam, aufgewirbeltes Depot sei schlecht. Dass sich das höchstens auf das Trinken, nicht aber auf die Lagerung bezieht, und spätestens beim Entnehmen und Aufrichten der Flasche eh einiges aufgewirbelt wird, hat sich vermutlich weder diesem virtuellen Werbetexter noch einer Mehrzahl der Kunden erschlossen, sonst hätte sich das nicht zu ebendieser Urban Legend entwickelt.


Ein mit mir befreundeter Winzer ist der Meinung, dass stärkere Vibrationen in Kühlgeräten schon geöffneten (!) Weißweinen schaden. Laut seiner Aussage entweicht dadurch mehr Kohlensäure, und die Weine (seine Weißweine kann man sehr lange in der offenen Flasche verwahren!) wirken dann irgendwann weniger frisch. Inwieweit das stichhaltig ist, kann ich aber im Gegensatz zu unseren Naturwissenschaftlern nicht beurteilen.

Herzliche Grüße

Bernd
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EThC

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Re: Wieviel Erschütterung ist erlaubt

BeitragFr 9. Dez 2016, 14:34

amateur des vins hat geschrieben:@EThC, danke für die Präzisierungen, so bin ich d'accord. :)


...gut, daß wir darüber gesprochen haben... :)
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
DAS EWIG GESTRIGE
was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

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UlliB

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Re: Wieviel Erschütterung ist erlaubt

BeitragSo 11. Dez 2016, 17:17

amateur des vins hat geschrieben:Ich könnte mir vorstellen, dass jemand in der Marketingabteilung erzählt bekam, aufgewirbeltes Depot sei schlecht. Dass sich das höchstens auf das Trinken, nicht aber auf die Lagerung bezieht, und spätestens beim Entnehmen und Aufrichten der Flasche eh einiges aufgewirbelt wird, hat sich vermutlich weder diesem virtuellen Werbetexter noch einer Mehrzahl der Kunden erschlossen, sonst hätte sich das nicht zu ebendieser Urban Legend entwickelt. Und die Mitbewerber ziehen einfach unreflektiert nach. /Spekulation

Nette Spekulation, aber leider nicht zutreffend.

Als ich vor über 40 Jahren angefangen hatte, mich ernsthaft mit Wein zu beschäftigen, habe ich zunächst so ziemlich alles an Weinliteratur gelesen, was ich damals in die Hände bekommen konnte. Und schon in dieser "Vor-Weinklimaschrank-Zeit" war als optimale Lagerbedingung alles definiert, was heute die Klimaschrank-Industrie fleißig bedient.

Wein sollte demanch folgendermaßen gelagert werden:
- liegend
- dunkel
- kühl
- mit möglichst wenig Temperaturschwankungen
- bei hoher, aber nicht zu hoher Luftfeuchtigkeit
- geräuschlos und erschütterungsfrei
- in einem Raum ohne Fremdgerüche.

Je nach Autor waren die Forderungen dann mehr oder minder rigoros ausgelegt. Über die optimale Temperatur bestand schon damals keine Einigkeit; die lag irgendwo zwischen 8° und 14°. Die Forderung "ohne Fremdgerüche" wurde z.T. extrem ausgelegt, so vertraten manche Autoren die Meinung, dass die gemeinsame Lagerung von Kartoffeln und Wein in einem Keller den Wein zwangsläufig ruiniert (wobei: so lange Kartoffeln nicht verwesen, stinken die ja nicht).

Wo die Forderungen herkamen, wurde niemals und nirgendwo erläutert, vermutlich waren sie schon damals lange historisch überliefert und sind einfach unkritisch übernommen worden. Manches ist ja auch durchaus sinnvoll, bei anderen Kriterien (wie der Erschütterungsfreiheit) fragt man sich aber, wie diese entstanden sind (die übliche Verwechselung von Korrelation mit Kausalität, denke ich).

Aber einerlei, die Marketingleute der Klimaschrankhersteller mussten jedenfalls keine eigenen Ideen entwickeln. Die können sich auf historische Quellen berufen ;)

Gruß
Ulli
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weingeist

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Re: Wieviel Erschütterung ist erlaubt

BeitragSo 11. Dez 2016, 20:44

Hallo Ulli!
UlliB hat geschrieben:...so vertraten manche Autoren die Meinung, dass die gemeinsame Lagerung von Kartoffeln und Wein in einem Keller den Wein zwangsläufig ruiniert (wobei: so lange Kartoffeln nicht verwesen, stinken die ja nicht).
Also ich kenne (jedenfalls auch aus "den guten alten Zeiten") keinen Bauern (Landwirtschaft und Wein waren ja früher eng miteinander verbunden) der Wein und Kartoffeln (oder sonstige Produkte der Landwirtschaft) gemeinsam in einem Keller lagerte. Meist gab es den Kartoffelkeller extra. Und, dass Wein für Fremdgerüche empfindlich ist, wirst auch Du zugeben, oder?
Liebe Grüße
weingeist
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Gerald

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Re: Wieviel Erschütterung ist erlaubt

BeitragMo 12. Dez 2016, 07:57

Hallo Herbert,

Und, dass Wein für Fremdgerüche empfindlich ist, wirst auch Du zugeben, oder?


ich weiß nicht, wie das Ulli sieht, aber ich persönlich halte das auch für eine "urban legend". Wenn z.B. ein Naturkork die Diffusion der (sehr kleinen) Sauerstoffmoleküle so stark zurückhalten kann, dass der Wein jahrelang ohne Oxidation im Keller hält, dann werden die viel größeren Moleküle der meisten Fremdgerüche es noch entsprechend schwerer haben.

In meinem (sehr feuchten) Naturkeller riecht es öfters mehr oder wenig muffig, es wäre mir aber noch nie aufgefallen, dass sich das in den Wein übertragen hätte.

Grüße,
Gerald
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weingeist

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Re: Wieviel Erschütterung ist erlaubt

BeitragMo 12. Dez 2016, 08:09

Hallo Gerald!
Gerald hat geschrieben:In meinem (sehr feuchten) Naturkeller riecht es öfters mehr oder wenig muffig, es wäre mir aber noch nie aufgefallen, dass sich das in den Wein übertragen hätte.
O. K. - da gebe ich Dir recht, wobei z. B. bei mir im Keller die ganz leichte "Durchlüftung" funktionieren dürfte. Muffige Gerüche habe ich noch nie festgestellt. In manchen besuchten Weinkellern sehr wohl.

Nur warum wurden dann z. B. gerade Kartoffeln immer in eigenen, kleineren Kellern gelagert (fällt mir jedenfalls im Wagram bei den alten landw. Mischbetrieben, auch bei meinen Nachbarn in der Kellergasse auf)? Warum vermeiden Produzenten tunlichst die Lagerung von Spritzmitteln, ect. in Kellern (ich rede jetzt nicht von den modernen "Hightech-Kellereien" mit ihren riesigen, glänzenden Stahltanks)?

Aber vielleicht habt Ihr auch recht, und es ist nur eine "urban legend". Meine Hände würde ich dafür (dass Wein tatsächlich Gerüche aufnimmt) jedenfalls nicht ins Feuer legen... ;)
Liebe Grüße
weingeist
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Gerald

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Re: Wieviel Erschütterung ist erlaubt

BeitragMo 12. Dez 2016, 08:14

Nur warum wurden dann z. B. gerade Kartoffeln immer in eigenen, kleineren Kellern gelagert


vielleicht hat man Keller mit höherer Luftfeuchtigkeit ausgewählt, da das für die Kartoffeln ideal ist (ich lese gerade im Web, dass es über 90% sein sollten, was bei Weinflaschen mit Etiketten ja wohl eher zu viel ist)? Oder es wurde einfach von Generation von Generation weitergegeben, ohne es zu hinterfragen. Schaden wird die getrennte Lagerung ja auch weder Wein noch Kartoffeln ...

Grüße,
Gerald
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amateur des vins

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Re: Wieviel Erschütterung ist erlaubt

BeitragMo 12. Dez 2016, 11:08

UlliB hat geschrieben:Nette Spekulation, aber leider nicht zutreffend.
Schade, ich hab' mir so viel Mühe gegeben. :mrgreen:
UlliB hat geschrieben:Wo die Forderungen herkamen, wurde niemals und nirgendwo erläutert, vermutlich waren sie schon damals lange historisch überliefert und sind einfach unkritisch übernommen worden. Manches ist ja auch durchaus sinnvoll, bei anderen Kriterien (wie der Erschütterungsfreiheit) fragt man sich aber, wie diese entstanden sind (die übliche Verwechselung von Korrelation mit Kausalität, denke ich).
...und selbst die Korrelation kann ich bisher nicht erkennen. Immerhin ist die Behauptung "Erschütterung schadet dem Wein" prinzipiell falsifizierbar. Ich werd's aber nicht überprüfen. ;)
UlliB hat geschrieben:Aber einerlei, die Marketingleute der Klimaschrankhersteller mussten jedenfalls keine eigenen Ideen entwickeln. Die können sich auf historische Quellen berufen ;)
Nicht mal das Fünkchen Kreativität lässt Du denen. :twisted:
Besten Gruß, Karsten
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