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Sammelsurium historischer Jahrgänge

Berichte von Verkostungen mit Weinen aus mehreren Ländern/Regionen (sonst bitte im Länderforum einstellen)
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Ostbelgier

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Sammelsurium historischer Jahrgänge

BeitragFr 25. Feb 2011, 20:15

Hallo zusammen,

dank Torsten's Aufmunterung nehme ich ein altes Projekt wieder in Angriff, das vor Jahren in erheblichem Umfang bei taw bestand. Seit ich mich mit Wein befasse, interessieren mich vor allem reife Jahrgänge und wie man optimalerweise mit ihnen umgeht, um das Beste aus ihnen herauszukitzeln.
Was ist historisch ? Ich denke, der 67er Montrose, der gerade besprochen wurde, auf jeden Fall. Bei Bordeaux beginnt die "neue Zeitrechnung" ja im Grunde mit dem Jahrgang 1982, aber ich würde so etwas nicht dogmatisch sehen wollen. Das hier habe ich seit jeher als Sammelbecken gedacht für Flaschen jeglicher Herkunft, bei denen man nicht extra einen neuen Thread eröffen möchte.

Da Weinopa mich zuerst auf die Idee gebracht hat, möchte ich das Thema heute mit einem Burgunder eröffnen. Paul Ardent: Bourgogne-Reserve des Comtes 1964, also mutmaßlich die Händlerabfüllung eines ganz simplen Bourgogne, aus einem sehr heißen Jahrgang. 1964 war Ludwig Erhard Bundeskanzler, die Beatles setzten zum ultimativen Höhepunkt an, in der Popmusik war der Aufnahmestandard Mono, ein Opel Kadett fuhr 120 km/h Spitze, und an den Grenzen in Europa brauchte man noch Pässe. 5 Kilometer von meinem Häuschen entfernt erschoß der deutsche Zoll noch 1964 einen Menschen, weil er 10 Pfund Kaffee schmuggeln wollte. In diese Zeit beamt der Wein also den geneigten Verkoster.

Wie ist der Wein ? Der Korken zerbricht in 2 Zeile, sehr hell fließt der Wein in einen schmalen, hohen Dekanter, den ich extra für mutmaßlich fragile Tropfen einsetze. Dann geschieht das Wunder: Der Wein dunkelt deutlich nach, im Glas präsentiert er sich ziegelrot mit dezent dunklerem Kern. In der Nase zunächst muffig, wie so oft bei alten Burgundern. Später dann starke Noten nach Rote Bete, ganz leicht Sauerkirsche, der Rest sind Tertiäraromen. Am Gaumen leicht-elegant, ich bilde mir aber ein, die Hitze des Jahrgangs in einem Hauch von Karamell im Nachhall zu erahnen. Erstaunlich viel Tannin, das allerdings sehr fein abgeschliffen ist. Mit der Zeit wird die Nase immer reintöniger, auch in diesem Fall wird der Wein nicht in der Karaffe wegsterben, sondern besser. Dieser hier sollte allerdings wirklich getrunken werden, besser wird er nicht mehr. Die Flasche wird in jedem Fall heute leer, was heißt, dass die Punktzahl mehr als ausreichend ist :D .

Viele Grüße

Markus
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Weinopa

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Re: Sammelsurium historischer Jahrgänge

BeitragSa 26. Feb 2011, 07:46

Ostbelgier hat geschrieben:Hallo zusammen,

Seit ich mich mit Wein befasse, interessieren mich vor allem reife Jahrgänge und wie man optimalerweise mit ihnen umgeht, um das Beste aus ihnen herauszukitzeln.


Besser hätte ich es nicht schreiben können!
Reife Weine üben auch auf mich eine besondere Faszination aus, allerdings bedeutet reif nicht gleich alt. 1990 ist in meinen Augen ein Jahrgang, in dem einige Weine bereits rund und weich sind, im Gegensatz zu '89 oder gar '88. 1934 im Burgund ist jetzt perfekt zu trinken, wobei einiges aus den 80er schon am Abbauen ist.
Die Grenze zur neuen Zeitrechnung sehe ich irgendwo in den End- 50er Jahren; einem Jahrzehnt, das besonders für Altwein-Entdecker wohl das nützlichste überhaupt ist.
Mit 1950,'52,'53,'55 und '59 ('57 hat auch schöne Weine hervor gebracht, keine Frage) hat die Natur Weine erschaffen, die relativ problem- und bedenkenlos gekauft und getrunken weden können, da noch relativ frisch im Geschmack. Ein 1950er La Mission Haut Brion (mein bislang bester Wein des Guts) war noch taufrisch und mit unzähligen weiteren Lebensjahren gesegnet.

Ich freue mich darauf, hier gerne ein Paar Gedanken und Notizen niederschreiben zu können!
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Ostbelgier

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Re: Sammelsurium historischer Jahrgänge

BeitragMi 2. Mär 2011, 22:16

Hallo zusammen,

ist der im Glas befindliche Wein historisch ? Im Kontext schon, finde ich. Immerhin ist der Eitelsbacher Karthäuserhofberg Riesling Kabinett trocken 1991 ein 20jähriger, trockener und prädikatstechnisch kleiner Wein. Aber er stammt von der Ruwer und dazu von einem Könner. Als Christoph Tyrell das Gut 1986 übernahm, war es nicht sehr gut um das so traditionsreiche Gut bestellt, aber die Geschichte muss ich ja nicht zum hundertsten Male erzählen. Der Korken war vollkommen durchfeuchtet, kam aber am Stück aus der Flasche. Tief werdendes Gelb. In der Nase eine unglaublich eindringliche Schiefermineralität, gepaart mit den so ruwertypischen Kräuternoten. Am Gaumen leichtfüßig und gleichzeitig von enormer geschmacklicher Tiefe. Einfach enorm kraftvoll im Geschmack, säurefrisch und extraktreich. Interessanterweise bei gerade einmal 10,0 Vol.% Alkohol, so dass diese Flasche guten Gewissens geleert werden kann. Passt also auch als Beispiel in den Alko-Bomben-Thread. Ein herrlicher Wein, der freilich nach 20 Jahren allmählich ausgetrunken werden sollte.

Viele Grüße

Markus
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Weinopa

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Vandermeulen Abfüllungen mit Korkbrand

BeitragFr 4. Mär 2011, 12:27

Der Korkbrand ist bei alten Weinen häufig die einzige Informationsquelle, die zur authentifizierung herangezogen werden kann. Wenn ein Etikett vorhanden ist, kann die darauf zu findende Information, mit der des Korkens verglichen werden.
Allerdings beinhalten diese nicht immer den Namen und / oder den Jahrgang des Weins, insbesondere Händlerabfüllungen verzichteten hierauf meist.

Immer wieder wird auf die schwierig zu klärende Frage der Authentizität von Van der Meulen Abfüllungen hingewiesen.
Von Korkbrand habe ich bislang in diesem Zusammenhang noch nichts gelesen.
Insbesondere bei Rotwein kann der Korkbrand mit der Zeit nur noch sehr schwer zu lesen sein, vor allem dann, wenn nicht darauf geachtet wird weil man keinen erwartet...

Aktuell habe ich jedoch drei Flaschen geöffnet (davon zwei mal Weißwein) und konnte auf jeden Korken einen eindeutigen Korkbrand feststellen. Name und Jahrgang sind zwar nicht vermerkt, allerdings kann man sich zumindest des Abfüllers sicher sein.
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Ostbelgier

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Re: Sammelsurium historischer Jahrgänge

BeitragSa 5. Mär 2011, 20:47

Weinopa hat mich auch diesmal zu meinem Wein des Abends inspiriert. Ich habe so gut wie keine Händlerabfüllungen, und wollte heute eine probieren. Chateau Gloria 1970, abgefüllt von Stodart & Taylor Ltd., London. Der Korken (deutlich kürzer als alte, originale Chateau-Korken) kam fast vollständig aus der Flasche mit upper-shoulder-Niveau. Und siehe da: Keinerlei Korkbrand ! Stodart& Taylor scheinen hier aber ganz vernünftig gearbeitet zu haben. Ziegelrot mit noch kleinem dunkleren Kern steht der Wein im Glas. Am Anfang abschreckende Dung- und Stallmistnoten, typisch für so manchen Gloria aus alten Jahren. Dieser "Duft" wird etwas geringer, bleibt aber immer vorhanden. Kraftvolle Säure und starkes Tannin dominieren den Wein, Leder und ein Hauch von Brombeeren und Sauerkirsche. Ein sehr klassischer Bordeaux der alten Machart, gefällt mir sehr gut. Da bin ich mal gespannt, wie sich im Vergleich dazu die verbliebene Chateau-Abfüllung des gleichen Weines präsentieren wird...

Viele Grüße

Markus
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Weinopa

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Re: Sammelsurium historischer Jahrgänge

BeitragSa 5. Mär 2011, 21:40

Hallo Markus,
einen alten Gloria hatte ich noch nie :o
Besonders interessant wäre tatsächlich eine Probenserie mit Chateau- abgefüllten Weinen und ihren Pendants als Händlerabfüllung.
Die (ggf. unterschiedliche) Lagerung spielt hier natürlich wieder einmal eine zentrale Rolle...
Ich schreib mir das mal in die Agenda für dieses Jahr.

Persönlich schrecken mich Händlerabfüllungen überhaupt nicht ab, eher im Gegenteil. Barrière, VDM, Van den Bussche, Eschenauer, Thienpont, alles super :D

Gruss,
Michael
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Erdener Prälat

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Re: Sammelsurium historischer Jahrgänge

BeitragDi 10. Mai 2011, 23:33

Anläßlich Martins Besuch gab es zwei alte Schätzchen, die sich auch als solche erwiesen:
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Bernd Schulz

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Re: Sammelsurium historischer Jahrgänge

BeitragDo 9. Jun 2011, 20:18

Von diesem trockenen Mosel-Riesling aus den schwierigen 80ern habe ich mir kaum noch etwas erwartet. Er präsentierte sich aber gerade noch unerwartet erfreulich:

Bild

Der Wein stammt aus einem bei Ebay sehr günstig geschossenen Sixpack mit verschiedenen trockenen Rieslingen, die alle schon einige Jährchen auf dem Buckel hatten. Und sämtliche Flaschen waren so versifft, als ob sie irgendwann mal tief im Schlamm gelegen hätten; auch die Korken zeigten heftige Krusten. Aber enttäuscht hat mich bislang noch kein einziges Exemplar aus dem Paket!
Übrig ist jetzt noch eine trockene 90er Spätlese vom Karthäuserhof. Aber die öffne ich mal, wenn noch andere Altweinfreaks mit von der Partie sind.

Beste Grüße

Bernd
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Bernd Schulz

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Re: Sammelsurium historischer Jahrgänge

BeitragSo 19. Jun 2011, 12:13

Unter anderen Bordohs gab es gestern in Ostbelgistan auch das folgende, schon etwas betagtere Exemplar:

Bild

Jung wird das wohl ein richtig ruppiger Bursche gewesen sein.

Beste Grüße

Bernd
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Ostbelgier

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Re: Sammelsurium historischer Jahrgänge

BeitragSa 30. Jul 2011, 21:45

Hallo zusammen,

gerade habe ich eine schön restaurierte Version von Fritz Lang's Meisterwerk "M" mit dem unvergleichlichen Otto Wernicke gesehen, und dazu einen Wein genossen, der in seiner Machart ebenso altmodisch ist wie genannter Film, aber eben auch so zeitlos und hochqualitativ erscheint.
Es handelt sich um Chateau Phelan Segur 1975 aus St. Estephe. 1975- das Jahr des Tannins, bei St. Estephe denkt man dann automatisch an einen schlanken "harten Knochen". Weit gefehlt ! Seit meiner ersten Begegnung mit dem Wein, die schon einige Jahre her ist, bleibt dieser Tropfen auf seinem, ganz erstaunlichen, Niveau. Sehr dunkler Kern mit nur dezenten Aufhellungen zum Rand hin, herrlicher Duft nach Leder und Sauerkirsche, und nach kurzem Dekantieren fühlt sich dieser Wein sehr wohl, wenn man ihn aus dem bauchigen Burgunderglas geniesst. Sehr elegant und feingliedrig, natürlich mit starkem Tannin, welches aber herrlich weich und integriert ist, eine opulente Frucht sollte man in dem Alter nicht mehr erwarten, aber eben mit einer fast grazilen Feingliedrigkeit gesegnet, wenn man den Jahrgangskontext in Betracht zieht. Dieses Chateau scheint früher einen ganz eigenen Stil gefahren zu sein, denn ein 66er, genossen vor 2 oder 3 Jahren, war ähnlich gestrickt, von fast burgundischer Weichheit. Wundervoll.

Viele Grüße

Markus
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