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Jahrhundertweinprobe in Würzburg

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weinaffe

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Jahrhundertweinprobe in Würzburg

BeitragMo 3. Dez 2018, 18:55

Hallo zusammen,

das Jahr geht zu Ende und wie immer lud Christian am letzten Samstag zu seiner kultigen "Jahrhundertprobe" ein, bei der sich die "üblichen Verdächtigen" im Restaurant Würtzburg im Hotel Strauss einfanden, um gereifte Weine- immer einer mit 100 Jahren auf dem Buckel - im Rahmen eines 3-Gänge-Menues zu genießen.

Zunächst gab es als Aperitif den
1996er "Riserva del Fondatore" Trento Brut von Ferrari, der sich in bester Reife präsentierte und in dieser Form auch mit Top-Champagnern konkurrieren kann.

Zur sehr leckeren Trilogie vom Lachs gab es einen Blanc de Noir mit eigenem Künstleretikett, den
Vintage XP Salmon Guy (ausgebaut vom Weingut Laufer), der mit seinem teilweisen Holzeinsatz sehr gut mit dem Lachs harmonierte.

Dann ging es weiter mit einem deutschen Riesling-Klassiker:
2012er Kallstadter Saumagen Riesling Auslese trocken (Koehler-Rupprecht)]
sehr saubere Nase mit Botrytis-Touch, sehr schmelzig und dicht, Zitrus, etwas Ananas und blütige Noten, aber auch mit ordentlicher Säure für ein längeres Leben, sehr eigenständiger Riesling mit einiger Länge.

Dann war Bourgogne an der Reihe:
1985er Corton Charlemagne Grand Cru (Bonneau du Martray)
reife, aber nicht alte Nase, etwas Karamell, reifer Apfel, auf der Zunge sehr mineralisch mit etwas Gerbstoff-Grip, rassige Säure, nur im Abgang verrät dieser stoffige Wein mit einem leichten Sherry-Touch sein Alter. Dennoch ein sehr schöner Corton, der allerdings mit dem göttlichen 1986er Montrachet von Laguiche, den wir vor 2 Jahren hatten, nicht mithalten kann.

Dann kam sicher eines der Highlights, nicht nur für mich:
2001er Cornas "Vieilles Fontaines" (Alain Voge)
superfeine, fast burgundische Nase, sehr komplex, etwas Himbeere, Cassis, Preiselbeere, vermischt mit etwas Räucherspeck, Kardamon, rohes Fleisch, floral, immer wieder andere Nuancen im Vordergrund, auch auf der Zunge geht die Post ab, ganz feine Säure, die den Wein wie einen Laserstrahl durchzieht und ihn gefährlich trinkig macht, zu den Fruchteindrücken gesellt sich noch Leder und Tabak, das Holz ist nur unterstützend ganz im Hintergrund, sehr saftig, absolut kein Blockbuster, hohe aromatische Länge im Abgang, fast eine hypothetische Mischung aus elegantem Bordeaux und feinem Bourgogne. Alain Voge hat zu Recht einen Ruf wie Donnerhall und sei allen empfohlen, die bei einem Syrah auch die Eleganz und Feinheit suchen.

Dann gab es den zweiten Gang:
Filet Mignon en Sauce de Chalotte mit Kartoffelsouffle top zubereitet, da gibt es überhaupt nichts zu meckern und ist in der Sterneküche auch nicht besser. Als Tischwein gab es den 2013 Redoma Tinto von Niepoort, der schon seine Klasse andeutet, aber eigentlich noch ein paar Jahre zu jung ist. Trotzdem jetzt schon ein schöner Speisenbegleiter.

Danach eine "Risikoflasche", die sich aber als durchaus respektabel zeigte:
1933er "Coronas" von Miguel Torres
80% Tempranillo und 20% Monastrell ergeben einen immer noch mit Genuss trinkbaren Rotwein, den man seine 85 Jahre nicht anmerkt und auch für "Nichtaltweintrinker" noch gut trinkbar war.

Danch wieder etwas richtig Gutes:
1966er Imperial Gran Reserva von C.V.N.E.
ganz klassischer Rioja, voller Leben und Frucht, sogar noch durchaus Tannin vorhanden, ebenso dunkle Frucht, sehr saftig, ein fast zeitloser Rotwein, der in einer solchen Flaschenverfassung durchaus noch einige Jahre an Reife vertragen kann.

Dann kam der Nachtisch- und das durchaus auf "Sterne-Niveau":
Schokokuchen mit flüssigem Schokoladenkern, Kirschen, Kirscheneis und Spekulatiuscrumble
dazu den 1990er Maury von Mas Amiel, was sich als sehr gelungene Verbindung herausstellte.

einen Ausfall gab es leider:
1955er Chateau Rauzan-Gassies-leider schon sehr tertiär, Liebstöckel, macht keinen rechten Spaß mehr.

dann war Barolo-Time:
1947er Marchesi di Barolo
Hauch Oxidation mit etwas Liebstöckel, auf der Zunge dann etwas besser, klassischer, etwas rustikaler Barolo mit kantigem Gerbstoff und noch etwas Kirschfrucht, trinkt sich aber noch ganz ordentlich.

1978er Barolo "Bricco Bussia Vigna Cicala" (Aldo Conterno)
das macht wieder mehr Spaß, klassischer Barolo in bester Verfassung, welkes Laub, Brombeere, Herzkirsche, kantiges, aber feinkörniges Tannin, kein Feingeist, aber ein Wein mit Charakter.. Barolo eben. Das sind Weine, die eben nicht jedem gefallen. Ich mag das durchaus..

dann ein gereifter weisser Bordeaux mit Restsüsse:
Chateau Langoiran Cadillac
ein fast reiner Semillon, der noch durchaus lebendig ist, dezente, fast abgeschmolzene Süsse, Malzbonbon, saubere Botrytis, kein großer, aber ein noch erstaunlich vitaler Wein aus einem No-Name-Chateau.

Den ältesten Wein, der schon allein das Eintrittsgeld wert gewesen wäre, werde ich noch eigenständig würdigen, denn so etwas trinkt man nicht alle Tage...

Fortsetzung folgt!

LG
Bodo
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weinaffe

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Re: Jahrhundertweinprobe in Würzburg

BeitragMo 3. Dez 2018, 20:28

Hallo zusammen,

in der Eile habe ich tatsäachlich vergessen, dass Christian für den Ausfall des 1955er Rauzan-Gassies noch einen guten Ersatz in Reserve hatte, nämlich den
1991er Chateau Rausan-Segla
klassischer Bordeaux aus diesem etwas unterschätzten Jahr, schlank und rank,etwas grüne Paprika, Tabak, Leder, aber nicht dünn, hat durchaus Substanz, mittlere Länge. Ein guter Vertreter dieses Jahrgangs, der allerdings nicht an die Top-Weine des Jahrgangs (Palmer und Margaux) herankommt.

Un nun zum Höhepunkt:

1917er Madeira Sercial (Barbeito)
kein anderer Wein der Welt ist nach sage und schreibe 101 Jahren noch so frisch: Orangenzeste, Wermutkraut, Walnuss, hochkomplex, extrem sauber, null flüchtige Säure, am Gaumen eine Geschmacksexplosion,feine (Alt-)Holznoten, Mokka, Tabak, wieder Walnuss, sogar noch fruchtige Noten (Zitrus, Trockenfrüchte), aber absolut trocken wirkend dank einer äusserst vitalen Säure, unendlich lang. Ganz grosses Kino.
Ein Monument und ein unzerstörbarer Wein, der uns alle überleben wird und auch der nächsten oder übernächsten Generation noch viel Genuß bereiten wird.

Zum Abschluß gab es noch einen Extra Brur Sekt von Laufer, der die angenehm strapazierten Geschmacksnerven wieder etwas glättete.

Wie immer eine großartige Veranstaltung, die mit viel Leidenschaft und Herzblut von Christian zusammengestellt und in seiner unvergleichlichen Art präsentiert wurde. Vielen Dank dafür !

Auf ein neues im Jahr 2019! Ich hoffe, dass ich wieder dabei sein kann und werde dann wieder berichten.

LG
Bodo
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innauen

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Re: Jahrhundertweinprobe in Würzburg

BeitragMo 3. Dez 2018, 23:19

Sehr schön, dass es noch solche Weinproben gibt, wo doch die Tendenz immer mehr dahin geht, nur noch Weine des aktuellen Jahrs minus 1 zu trinken.

Danke für die Notizen Bodo,

Grüße

wolf
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Johnny Depp dementiert, 30.000 Dollar im Monat für Alkohol ausgegeben zu haben. (Quelle: „B.Z.“)
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Re: Jahrhundertweinprobe in Würzburg

BeitragDi 4. Dez 2018, 10:13

Hallo Bodo,

da beneide ich Dich wirklich drum!!

Sehr schöne Probe! Interessant finde ich immer wieder, dass bei diesen Proben meist die klassischen Gewächse (Bordeaux, Burgund, Rioja, Riesling) überzeugen. Das mag natürlich auch daran liegen, dass die moderneren Weine nicht in dieser Jahrgangstiefe erhältlich sind.

Gruß,
Jochen
„Eine Magnum-Flasche? Genau die richtige Größe für einen schönen Abend. Vorausgesetzt, man beginnt mit einem Champagner, man endet das Menu mit einem Sauternes, und man ist allein daheim…“
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Re: Jahrhundertweinprobe in Würzburg

BeitragDi 4. Dez 2018, 13:30

Hallo Bodo,
auf diese Probe war ich ja schon neidisch, als Du den Flyer dazu auf unserer Pinot Noir-Probe herumgereicht hast. Vielen Dank für Deine Eindrücke dazu! Da wird man dann schon ehrfürchtig bzw. relativiert so einiges, oder?
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
DAS EWIG GESTRIGE
was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

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