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Spätburgunder & Pinot Noir - Auf ein Neues

Berichte von Verkostungen mit Weinen aus mehreren Ländern/Regionen (sonst bitte im Länderforum einstellen)
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octopussy

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Spätburgunder & Pinot Noir - Auf ein Neues

BeitragFr 14. Mär 2014, 11:06

Hallo zusammen,

wenn es ein Weinthema gibt, das mich laufend umtreibt, dann ist es der deutsche Spätburgunder. So gerne würde ich meine Pinot Noir Bestände überwiegend hierzulande kaufen. Aber bislang haben mich einfach zu wenige deutsche Spätburgunder wirklich umgehauen. Jedenfalls konnte ich die hohe Qualität, die den deutschen Spätburgunder auf einigen internationalen Verkostungen, in Publikationen wie dem Gault Millau oder jancisrobinson.com (Michael Schmidt) zugesprochen wird, nicht erkennen.

Daher wurde es Zeit, mal wieder einige deutsche Spätburgunder und Pinot Noirs aus dem Burgund nebeneinander zu verkosten. Schwierig ist bei solchen Verkostungen immer, eine vernünftige Vergleichsbasis zu schaffen. Ich bin der Meinung, dass dies auch nahezu unmöglich ist. Unterschiedliche Reifestadien, unterschiedliche Preisklassen, unterschiedliche Böden, all das macht viel aus. Ich habe mich bemüht, einige Weine zusammenzutragen, die möglichst vergleichbar sind. Das waren in diesem Fall 12 Pinot Noirs aus 2007, 6 aus dem Burgund und 6 aus Baden, jeweils 2 Weine von einem Winzer. Alle kommen von Kalkmergel- und Muschelkalkböden oder haben jedenfalls einen Kalkanteil. Und auch in der Preisklasse habe ich mich um Vergleichbarkeit bemüht. Es waren weder aus dem Burgund noch aus Baden absolute Basisweine dabei, und auch keine Ultra-Premium-Weine. Das Preisniveau ging knapp unter 20 Euro/Flasche los und hört knapp unter 50 Euro auf. Alle Weine wurden blind serviert, eigentlich wollte ich auch blind trinken, fand es dann aber wichtiger, eine gewisse Reihenfolge der Weine zu orchestrieren, die letztlich nach dem Motto "von leicht nach kräftig" gehen sollte. Das war tatsächlich dann aber eine Fehlvorstellung (dazu später).

Dieses Mal interessierte mich weniger, welcher Wein wieviel Punkte bekommt, sondern eher, ob man die deutschen und französischen Burgunder rausschmeckt und ob man erkennt, welche zwei Weine von einem Winzer kommen. Ersteres gelang sehr gut, zweiteres auch ganz gut.

Flight 1: Martin Waßmer - Schlatter Spätburgunder "SW" vs. Lignier Michelot Morey St. Denis 1er Cru "Charmes".

Der erste Flight startete zwiespältig. Der Waßmer war schon harte Kost - recht holzbetont (das sahen andere nicht ganz so kritisch), recht dünne Frucht, kräftige Tannine und starke Bitternoten im Mund. Es wurde darauf getippt, dass Waßmer ein paar Stiele mitvergoren hat, was offenbar stimmt (laut einem FINE Artikel über Waßmer gibt er bis zu 60% unentrappte Trauben in den Bottich). Der Wein war nicht ganz schlecht, aber richtig gut war er auch nicht. Alle in der Runde tippten auf einen Spätburgunder, und zwar einen von Johner (m.E. ein sehr guter Tipp, das hätte auch Johner sein können).

Besser gefallen hat der Runde der Lignier Michelot, der deutlich leichter, viel zugänglicher und tänzelnder war. Einigen in der Runde fehlte das gewisse Etwas und ein bisschen Substanz, ich persönlich fand den Wein hinreißend schön und im besten Sinne "Gourmand". Das gewisse Etwas lag für mich in der tänzelnden Leichtigkeit bei gleichzeitiger aromatischer Nuancenvielfalt. Hier gingen die Tipps alle nach Frankreich und auch geografisch in die richtige Richtung, nämlich nach Chambolle oder Morey.

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Flight 2: Forey Nuits St. Georges 1er Cru "Perrières" vs. Ziereisen Spätburgunder "Schulen"

Das Kontrastprogramm zum Lignier Michelot lag im Forey Perrières, der viel dunkelfruchtiger, kräftiger und auch tanninbetonter war. Ich fand den Wein sehr gut und auch sehr typisch für Nuits St. Georges mit seiner etwas stämmigen Art. Die Tipps gingen nach Frankreich und dort in Richtung Chambolle oder Vosne.

Der Ziereisen war eine große Enttäuschung - holzbetont, rauchig, bitter, karg und dünn. Hervorzuheben ist allenfalls eine schöne Mineralität. Alle tippten hier auf den Spätburgunder. Den Schulen fand ich auch aus anderen Jahrgängen nie sonderlich gut und sehe hier auch kein großes Entwicklungspotenzial mehr. George, der die Ziereisen Weine gut kennt, tippte korrekt auf Ziereisen, äußerte das aber in seiner gewohnt bescheiden-vorsichtigen Art.

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Flight 3: Pavelot Savigny-lès-Beaune 1er Cru "Aux Guettes" vs. Huber Bombacher Sommerhalde GG

Im dritten Flight kam ein Wein auf den Tisch, der fast so spaßbefreit war wie der Ziereisen. Super karg, mit kräftiger Säure und wenig Charme. Ein extrem sehniger Typ. Der Pavelot Aux Guettes war auch vor einem Jahr schon ziemlich zu. Ob der jemals richtig zugänglich sein wird, ist die große Frage. Ich fand den Wein trotzdem recht gut, er hatte was eigenes und war jedenfalls recht klar und gut einschätzbar. Mit Luft im Glas machte er eher weiter zu als auf. Hier wollte sich die Runde nicht festlegen, die Tendenz ging aber in Richtung Frankreich.

Im Gegenteil dazu machte der Huber im Glas auf. Das motivierte mich auch, den zweiten Huber in die Karaffe zu schicken. War der Huber anfangs noch etwas diffus, wurde er mit der Zeit immer klarer in der Aromatik. Der Wein ist konzentriert, dabei aber trotzdem leicht. Nur der recht kurze Abgang war ein Wermutstropfen. Gleichwohl bin ich ziemlich zuversichtlich, dass der Wein mit mehr Flaschenreife noch deutlich zulegen wird und dann mal ein sehr schöner Spätburgunder sein wird. Auch hier wollte sich die Runde nicht definitiv festlegen.

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Essensflight: Domaine Ponsot Chambolle-Musigny 1er Cru "Charmes"

Zum Essen hatte Stefan (Créot) einen Chambolle Charmes von Ponsot mitgebracht, der nicht nur für mich, sondern auch für viele andere in der Runde, das Zeug zum Wein des Abends hatte. Diese Selbstverständlichkeit, diese Eleganz, "unsichtbare" Struktur, Köstlichkeit ist für mich der Grund, warum ich dem Virus Pinot Noir immer mehr verfalle. Ein wirklich grandioser Wein.

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Flight 4: Ziereisen Spätburgunder "Rhini" vs. Pavelot Pernand-Vergelesses 1er Cru "Les Vergelesses"

Flight 4 startete mit dem zweiten Ziereisen, der sowohl mir als auch dem überwiegenden Teil der Runde sehr gut schmeckte. Im Vergleich zum Schulen war die Frucht klarer, das Holz weniger präsent, das Mundgefühl weniger karg und bitter. Als ich die 2008er bei Ziereisens probierte, fand ich auch den Rhini um Längen besser als den Schulen. Das wiederholte sich hier. Das ist für mich ein schöner Spätburgunder zum guten Preis (22 Euro ab Hof). Das Entwicklungspotenzial sehe ich aber als begrenzt an. Die Runde wollte sich auch hier nicht gleich 100% festlegen, die Tendenz ging aber in Richtung Spätburgunder, erst recht, nachdem der zweite Wein des Flights im Glas war. George tippte korrekt auf Ziereisen Rhini.

Auch der zweite Pavelot war deutlich besser als der erste, viel offener, zugänglicher, charmanter. Sehr dunkelfruchtig und tanningeprägt und auch hier wieder mit kräftiger Säure, aber alles ausgewogener als beim SlB "Guettes". Die Tipps gingen in Richtung Frankreich, es wurde vermutet, dass es sich um das Pendant zu Wein 3 (Forey) handelt, was ich bestens nachvollziehen kann.

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Flight 5: Lignier Michelot Morey St. Denis 1er Cru "Chenevery" vs. Martin Waßmer Pinot Noir "GC"

Der zweite Lignier Michelot gefiel mir persönlich nicht ganz so gut wie der erste. Ein sehr guter Wein ist das trotzdem. Ihm fehlte etwas diese Debussy-artige Luftigkeit, erdig-würzige Noten spielten hier eine größere Rolle. Ich meine, dass die Tipps nach Frankreich gingen und auch richtig getippt wurde, dass es sich um das Pendant zu Wein 2 handelt.

Den zweiten "Waßmer" kündigte ich wegen seiner 14% Alkohol und der megaschweren Flasche als "Wuchtbrumme" an, was sich als falsch herausstellen sollte. Der Wein war zwar kräftig, aber erstaunlich transparent in der Aromatik, bezog seine Ausdruckskraft eher von innen als durch protziges Auftreten. Hier waren sich alle einig, dass es ein Spätburgunder ist, keiner tippte aber auf das Pendant zu Wein Nr. 1. Den Burgunderfreaks schmeckte der Wein nicht, ich fand ihn ziemlich gut und zwar sowohl als typischen Spätburgunder (mit einem Burgunder nicht zu verwechseln) als auch als guten Wein. Nur der Preis von 45 Euro ist leider indiskutabel.

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Flight 6: Forey Nuits St. Georges 1er Cru "Les St. Georges" vs. Huber Hecklinger Schlossberg GG

Im letzten Flight begannen wir mit dem zweiten Forey. Zu diesem Zeitpunkt waren alle schon etwas ermüdet und nicht mehr so konzentriert. Auch Tipps, ob das nun ein Franzose oder ein deutscher ist, wurden nicht mehr abgegeben. Meiner Erinnerung nach schmeckte der Wein aber allen ausgezeichnet. Ich fand ihn auch spitze mit viel innerer Kraft, einer schön herben Art, aromatischer Transparenz.

Die hatte auch der zweite Huber, der ebenfalls erstaunlich leicht nach außen (und mit Kraft von innen) daherkam, eine wunderbare klare Aromatik hatte, sehr ausgewogen und balanciert war. Da war kein störendes Holz, der Wein hat Klasse. Der Wein schmeckte sogar den eingefleischten Burgunderfans. Das beruhigt mich etwas, denn wenn der Wein enttäuscht hätte, wäre ich wirklich sehr desillusioniert gewesen.

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Fazit:

- Die Spätburgunder ließen sich überwiegend gut herausschmecken. Nur bei den Hubers wurde es schwierig. Auch der Ziereisen Rhini war im Vergleich schwer zu verorten.
- Bei den deutschen Winzern zeigte sich deutlich, dass mit steigendem (Preis-)Niveau nicht auf noch reifere Frucht und noch mehr Holz und Kraft gesetzt wird, sondern dass die Weine mit aufsteigendem Niveau an Finesse gewinnen. Das gibt mir deutlich Hoffnung. Leider sind gerade die Huber GGs (vor allem seit 2009) auch nicht gerade billig, ein Schnäppchen lässt sich also nicht machen.
- Bei zwei Mittelklasse-Spätburgundern (Waßmer "SW" und Ziereisen "Schulen") zeigte sich leider das Problem, das viele deutsche Spätburgunder haben. Es werden Techniken eingesetzt (Stiele mit vergären, neue Barriques), die die Frucht einfach nicht aushält. Weniger wäre da vielleicht mehr, dann würden hoffentlich wenigstens charmante Weine mit klarer Frucht herauskommen.
- Was dem Jahr 2007 im Burgund nachgesagt wird, hat sich in unserer Verkostung überwiegend bestätigt. Die Weine sind jung zugänglich (nur der eine Pavelot und vielleicht der Forey Les St. Georges waren etwas sperriger), das sind keine Blockbuster, man bewahrt sie im Zweifel keine 25 Jahre auf und der Abgang ist oft relativ kurz.
- Am Ende war der Erkenntnisgewinn begrenzt. Klare Aussagen wie "Burgund ist immer besser" oder "Spätburgunder sind viel günstiger" lassen sich nicht treffen. Am Ende hat sich auch gezeigt, dass die passionierten Burgunderfans mit den Spätburgundern größere Schwierigkeiten haben als die, die etwas ergebnisoffener herangehen. Der persönliche Geschmack spielt eine wirklich große Rolle.
- Was letztlich allen Spätburgundern des Abends m.E. aber doch fehlte (Huber ist die einzige Ausnahme), ist die Selbstverständlichkeit, die die Burgunder ganz überwiegend hatten. Gerade bei den beiden Lignier Michelots, beim Ponsot und letztlich auch bei den beiden Foreys und dem Pavelot "Vergelesses" schien für mich eine etwas größere Souveränität durch als bei den Spätburgundern, bei denen man eher merkte, dass noch ein bisschen rumexperimentiert werden muss mit Faktoren wie Stiele ja/nein, Art und Toasting des Holzes, etc.
- Den letzten Punkt aufnehmend bin ich recht zuversichtlich, dass sich in den nächsten 10 Jahren in diversen Regionen Deutschlands ein Spätburgunderstil durchsetzen wird, bei dem mehr Automatismen im Weinberg und im Keller zu mehr Souveränität auch der Weine führen wird. Der hoffentlich durchaus "deutsch" schmecken wird, bei dem sich aber nur die Grundaromatik (und nicht der generelle Stil) von den französischen Burgundern unterscheidet.

Ich bin gespannt auf die Eindrücke derjenigen Probenteilnehmer, die auch hier im Forum aktiv, sind und bedanke mich an dieser Stelle auch für die Geduld (es war ein langes Programm) und für die wie immer anregenden Verkostungseindrücke.
Zuletzt geändert von octopussy am Sa 15. Mär 2014, 00:21, insgesamt 2-mal geändert.
Beste Grüße, Stephan
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Ollie

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Re: Spätburgunder & Pinot Noir - Auf ein Neues

BeitragFr 14. Mär 2014, 12:23

octopussy hat geschrieben:- Am Ende war der Erkenntnisgewinn begrenzt. Klare Aussagen wie "Burgund ist immer besser" oder "Spätburgunder sind viel günstiger" lassen sich nicht treffen. Am Ende hat sich auch gezeigt, dass die passionierten Burgunderfans mit den Spätburgundern größere Schwierigkeiten haben als die, die etwas ergebnisoffener herangehen. Der persönliche Geschmack spielt eine wirklich große Rolle.


Sehr schoene Probe, und sehr interessantes Fazit!

Ich selbst bin erst neulich auf eine Theorie gekommen, weshalb ich deutschem Spaetburgunder gegenueber so wahnsinnig ungnaedig bin (jedenfalls erscheint's so, als ob ich es sei):

- Die meisten SB gefallen mir nicht; fuer mich sind es einfach keine guten Weine. Das Tannin- und Holzmanagement zu vieler zu teurer deutscher SB ist einfach unter aller Kanone. Jeder Westentaschenvillage aus Macon (oder dem Languedoc, for that matter) hat das besser im Griff.

- Auch wenn die reine Weinqualitaet mal stimmt, der deutsche also der ("objektiv") bessere Wein ist, so bleibt er doch der schlechtere Burgunder; SB, die nicht wie Burgunder schmecken, zerschellen einfach an meiner Erwartungshaltung.

- Deutsche SB, die von echten Burgundern fast ununterscheidbar sind (und sowas gibt's durchaus), halte ich fuer absolut sinnlose Aergernisse, weil faktisch herkunftsbefreit. Brauch' ich einfach nicht.

Deutsche SB sind bei mir also (noch) in einer "Catch-22"-Situation. Wenn sie gut sind, sind sie burgundisch und deswegen uninteressant. Wenn sie deutsch sind, sind sie schlecht, weil sie nicht burgundisch sind. Und da capo. :roll: :lol:

Wie gesagt, es ist nur eine Theorie fuer eine Einstellung, die so gar nicht dem Bild des Weintrinkers entspricht, der ich gerne sein moechte, also mal sehen, ob ich die Weine irgendwann mal gegrokt bekomme. Dass die Deutschen gefuehlt jeden Mittwoch ihren Stil aendern, ist der ganzen Chose natuerlich auch nicht gerade zutraeglich, genausowenig wie der Umstand, dass ich mit gereiftem Burgunder selektiv bessere Erfahrungen gemacht habe als mit gereiften deutschen SB, die ich unselektiv verkostet habe. (Ein klassischer Auswahleffekt.) Der Drang, mir auf Verdacht deutsche SB in den Keller zu legen und zuzuschauen, wie sich 50-Euro-Scheine in einen so-la-la-Wein entwickeln, sinkt also nach jeder Probe immer weiter.

Ich werde also wohl noch ein paar Jahre brauchen. Und bis dahin gilt fuer mich: Burgund ist immer besser, und Deutschland ist immer teurer. :geek:

Cheers,
Ollie
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octopussy

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Re: Spätburgunder & Pinot Noir - Auf ein Neues

BeitragFr 14. Mär 2014, 13:29

Ollie hat geschrieben:Deutsche SB sind bei mir also (noch) in einer "Catch-22"-Situation. Wenn sie gut sind, sind sie burgundisch und deswegen uninteressant. Wenn sie deutsch sind, sind sie schlecht, weil sie nicht burgundisch sind. Und da capo. :roll: :lol:

In der Zwickmühle befinde ich mich auch noch, wobei ich mich schon freue, wenn Spätburgunder wie Burgunder schmecken :oops:.

Ollie hat geschrieben:Der Drang, mir auf Verdacht deutsche SB in den Keller zu legen und zuzuschauen, wie sich 50-Euro-Scheine in einen so-la-la-Wein entwickeln, sinkt also nach jeder Probe immer weiter.

Das ist für mich der alles entscheidende Punkt. Das In den Keller legen hochwertiger deutscher Spätburgunder ist für mich immer noch russisches Roulette mit drei Kugeln in der Trommel. Mir ist kaum ein Erzeuger bekannt, dessen Spätburgunder mittlerweile einen vernünftigen Track Record haben, bei denen man mit einiger Sicherheit davon ausgehen kann, dass sie mit 15 Jahren Flaschenreife ein Wow-Erlebnis bescheren können. Das ist bei den Burgundern anders.

Und vor allem insofern sind m.E. viele deutsche Spätburgunder zu teuer und teilweise absurd teuer. Sie scheinen sich auf der anderen Seite zu verkaufen.
Beste Grüße, Stephan
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Ollie

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Re: Spätburgunder & Pinot Noir - Auf ein Neues

BeitragFr 14. Mär 2014, 14:02

octopussy hat geschrieben:In der Zwickmühle befinde ich mich auch noch, wobei ich mich schon freue, wenn Spätburgunder wie Burgunder schmecken :oops:.


Falls sie das jemals in voller Breite tun, werden sie genauso teuer sein wie die "Originale". Denn die Lagen und Winzer (und v.a. die Kombination der beiden!), die solche Qualitaeten erreichen koennen, sind auch in Deutschland sehr rar gesaet. Dazu kommt, dass die Deutschen erst einmal lernen muessen, gute* Rotweine zu machen, bevor sie gute* Spaetburgunder machen koennen. Letzteres impliziert notwendigerweise, dass es keine Burgunder Burgunder sein werden.

octopussy hat geschrieben:Das ist für mich der alles entscheidende Punkt. Das In den Keller legen hochwertiger deutscher Spätburgunder ist für mich immer noch russisches Roulette mit drei Kugeln in der Trommel. Mir ist kaum ein Erzeuger bekannt, dessen Spätburgunder mittlerweile einen vernünftigen Track Record haben, bei denen man mit einiger Sicherheit davon ausgehen kann, dass sie mit 15 Jahren Flaschenreife ein Wow-Erlebnis bescheren können. Das ist bei den Burgundern anders.


Fuer mich ist es eher russisches Roulette mir drei Kugeln im Magazin und eine im Lauf der Selbstladepistole. :lol:

Das Hauptproblem sehe ich in der stilistischen Unsicherheit. Bei den deutschen Winzern weiss man nie, welcher Mode sie gerade anhaengen (Forrest-Gump-Syndrom); dazu kommt, dass sie fuer den jeweils aktuellen Stil viel und ueber lange Zeiten Erfahrungen sammeln muessen. Dazu kommt (als dritte Zeitskala), dass "der Markt" vor zehn Jahren den vollen Rotweinstil frenetisch bejubelt hat, waehrend jetzt - auch aus Langeweile und vielleicht sogar gesteigerter Raffinesse - dem "kargen" (Baltes) Stil gehuldigt wird. So der Klimawandel und die veraenderte Weinbergswirtschaft (vierte und funefte Zeitskala) das ueberhaupt zulassen (siehe oben, Lagenproblematik).

Ich denke mal, die Zeitskalen sind da sehr inkompatibel, v.a. wenn von Anfang an Geld verdient werden muss mit den Weinen (das erklaert die teils absurden Preise). Es wird also noch viel Wasser den Rhein hinabfliessen, bis die deutschen Winzer so gut* sind wie die Franzosen.

Aber, und das ist das Schoene an der Geschichte: Das alles ist ja nur meine Meinung. Andere sehen das ganz anders - und das ist gut so.

Cheers,
Ollie

*Ich kann hier natuerlich nur von meiner Vorstellung von "gut" reden.
Zuletzt geändert von Ollie am Fr 14. Mär 2014, 23:34, insgesamt 1-mal geändert.
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Panamera

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Re: Spätburgunder & Pinot Noir - Auf ein Neues

BeitragFr 14. Mär 2014, 14:28

octopussy hat geschrieben:Flight 4: Ziereisen Spätburgunder "Rhini" vs. Pavelot Pernand-Vergelesses 1er Cru "Les Vergelesses"

Flight 4 startete mit dem zweiten Ziereisen, der sowohl mir als auch dem überwiegenden Teil der Runde sehr gut schmeckte. Im Vergleich zum Schulen war die Frucht klarer, das Holz weniger präsent, das Mundgefühl weniger karg und bitter. Als ich die 2008er bei Ziereisens probierte, fand ich auch den Rhini um Längen besser als den Schulen. Das wiederholte sich hier. Das ist für mich ein schöner Spätburgunder zum guten Preis (22 Euro ab Hof). Das Entwicklungspotenzial sehe ich aber als begrenzt an. Die Runde wollte sich auch hier nicht gleich 100% festlegen, die Tendenz ging aber in Richtung Spätburgunder, erst recht, nachdem der zweite Wein des Flights im Glas war. George tippte korrekt auf Ziereisen Rhini.

Auch der zweite Pavelot war deutlich besser als der erste, viel offener, zugänglicher, charmanter. Sehr dunkelfruchtig und tanningeprägt und auch hier wieder mit kräftiger Säure, aber alles ausgewogener als beim SlB "Guettes". Die Tipps gingen in Richtung Frankreich, es wurde vermutet, dass es sich um das Pendant zu Wein 3 (Forey) handelt, was ich bestens nachvollziehen kann.

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Hallo Stephan

Vielen Dank für die ausführlichen Notizen. Seit ca. drei Jahren verfolge ich das das Geschehen von Ziereisen (zumindest mit einem Auge...) und finde besonders die Entwicklung lobenswert. Abgesehen von der Stilistik sowie dem persönlichen Geschmack, hat Herr Ziereisen 2009 und 2010 nochmals spürbar zugelegt was die Qualität angeht. Jahrgänge unter 2007 kenne ich leider nicht, bin jedoch der Meinung, dass besonders die 2010er sehr gut gelungen sind. Auch den Schulen, wobei ich den Rhini ebenfalls tiefgründiger und harmonischer in Erinnerung habe. Jedenfalls kann ich dir nahe legen die 09er und 10er zu probieren, da hat sich meiner Meinung etwas getan!

Um mich an grundsätzlichen Diskussion zu beteiligen: Ich finde ebenfalls, dass ein deutscher Spätburgunder nicht wie ein Burgunder schmecken sollte. Allerdings kann ich die Meinung was Holzeinsatz, Frucht etc. angeht aus eigenen Erfahrungen nicht ganz teilen. Vielleicht solltet ihr mal ein paar Pinots aus der Schweiz (Zürich, Ostschweiz und Graubünden) zusammen mit ein paar Burgundern aufziehen - da sieht's mit dem Holz mittlerweile ganz gut aus ;)

Gruss
Marcio
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octopussy

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Re: Spätburgunder & Pinot Noir - Auf ein Neues

BeitragFr 14. Mär 2014, 15:07

Panamera hat geschrieben:Seit ca. drei Jahren verfolge ich das das Geschehen von Ziereisen (zumindest mit einem Auge...) und finde besonders die Entwicklung lobenswert. Abgesehen von der Stilistik sowie dem persönlichen Geschmack, hat Herr Ziereisen 2009 und 2010 nochmals spürbar zugelegt was die Qualität angeht. ... Jedenfalls kann ich dir nahe legen die 09er und 10er zu probieren, da hat sich meiner Meinung etwas getan!

Hallo Marcio,

was hat sich aus deiner Sicht getan? 2008 ist der letzte Jahrgang, den ich probiert habe. Die Weine fand ich auf dem Gut gut, zu Hause haben sie mir dann nicht mehr so gut gefallen.
Beste Grüße, Stephan
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Panamera

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Re: Spätburgunder & Pinot Noir - Auf ein Neues

BeitragFr 14. Mär 2014, 16:08

2009 war grundsätzlich ein gutes Jahr. Beim Jahrgang 2010 gab es dann (gemäss Herr Zeireisen) eine deutlich grössere Selektion des Traubengutes und soweit ich weiss auch andere Fässer. Hier meine Notizen von der 2010er Jahrgangspräsentation:

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Fazit: mehr Tiefe, Frische und Frucht als 2007 und 2008. Den Schulen 2010 hatte ich übrigens vor ca. 4/5 Wochen wieder im Glas und kann meinen Eindruck sowie die Bewertung von der Jahrgangspräsentation bestätigen. Im Endeffekt bleibt der Stoff natürlich Geschmackssache ;)
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UlliB

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Re: Spätburgunder & Pinot Noir - Auf ein Neues

BeitragFr 14. Mär 2014, 23:11

Hallo Stephan,

danke für die interessanten Eindrücke. Für die deutschen Erzeuger fällt dieser Vergleich umso ernüchternder aus, als 2007 im Burgund ein eher mäßiger Jahrgang war, in Deutschland aber ein recht guter. Man darf ein wenig spekulieren, was passieren wird, wenn man eine solche Vergleichsprobe in ein paar Jahren mit den 2010ern wiederholt, bei denen die Verhältnisse genau umgekehrt liegen.

Sieht man einmal vom Preisniveau ab, das allerdings mittlerweile auch in Deutschland einigermaßen heftig sein kann, meine ich, dass die wirklich guten Erzeuger im Burgund mit ihren 1er und grand crus ein qualitatives Niveau erreichen, das deutschen Erzeugern (noch) verschlossen ist. Das liegt in meinen Augen nicht an den äußeren Bedingungen wie Klima und Boden; allenfalls in manchen Fällen an minderwertigen Klonen in älteren Anlagen oder zu jungen Reben in den neuen. Ich denke eher, dass die Sorte und ihre spezifischen Anforderungen von sehr vielen Erzeugern noch nicht wirklich verstanden wird.

Als ein Kernproblem sehe ich erst einmal den Umgang mit Neuholz an: typische Probleme sind zu viel Holz, das falsche Holz, oder falsches Toasting (oder eine Kombination aller dieser Faktoren). Manche Winzer behandeln ihre Spätburgunder so, als wäre es Cabernet oder Merlot (zwei ziemlich "holzresistente" Sorten) - Pinot erfordert aber einen wesentlich sensibleren Holzeinsatz. Dass da auch manche Erzeuger im Burgund daneben langen, stimmt zwar - im Großen und Ganzen hat man den Umgang mit Holz dort aber wesentlich besser im Griff als in Deutschland.

Das zweite, subtilere Problem, ist eine vergleichsweise mangelhafte, grobe Tanninstruktur in vielen deutschen Spätburgundern, vermutlich verursacht durch eine zu forcierte Extraktion. Das dürfte das Ergebnis einer Gegenbewegung zu den früher in Deutschland erzeugten "roten Weinen" sein, die einen ganz eklatanten Mangel an Tannin und Struktur zeigten - man möchte nunmehr einen "echten Rotwein" erzeugen. Aber auch hier gilt: Pinot noir ist nicht Syrah, Cabernet oder Merlot, und was bei denen an Extraktion durchaus passen mag, ist bei Pinot unangebracht. Ein wenig mehr Mut zur (farblichen) Blässe könnte nicht schaden.

Ein weiteres Problem sehe ich bei vielen deutschen Spätburgundern in einer dezidierten "marmeladigen Süße", die mir bei der Sorte nicht gefällt. Bei einigen Weinen mag das durchaus auch mal analytisch fassbare Restsüße sein, bei den Premiumexemplaren aber wohl nicht: bei denen sehe ich einen anderen Grund, nämlich eine sehr späte Lese von Trauben am Rande der Überreife (was sich auch in Alkoholwerten audrückt, die nicht selten einen vollen Prozentpunkt über dem Niveau in Burgund liegen). Bei extremer Reife verliert Pinot aber das, was ich an der Sorte so schätze: Klarheit, Transparenz und kühle Eleganz; die Weine werden fett und träge.

Alles in allem denke ich, dass noch etliche Jahrgänge ins Land gehen werden, bevor hier der Umgang mit der Sorte wirklich beherrscht wird. Bis dahin kaufe ich burgundische Burgunder, so lange es mein Geldbeutel noch erlaubt (wenn ich mir die Preisentwicklung in der jetzt anlaufenden 12er Subskription ansehe, wird das allerdings nicht mehr sehr lange sein).

Gruß
Ulli
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octopussy

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Re: Spätburgunder & Pinot Noir - Auf ein Neues

BeitragSa 15. Mär 2014, 00:41

UlliB hat geschrieben:Ich denke eher, dass die Sorte und ihre spezifischen Anforderungen von sehr vielen Erzeugern noch nicht wirklich verstanden wird.

Hallo Ulli,

das denke ich auch, wobei es mich erstaunt. Denn Erzeuger wie z.B. Martin Waßmer, Ziereisen, R&C Schneider, Bercher, ja sogar Johner sind m.E. mit ihren Weißweinen ganz vorne dabei. Da mache ich mir auch über die Lagerfähigkeit überhaupt keine Gedanken. Die Winzer können es, definitiv. Nur beim Spätburgunder scheint irgendwie das richtige Fingerspitzengefühl zu fehlen. Dabei sieht man bei Ziereisens oder Martin Waßmer nur die allerbesten (leeren) Flaschen aus dem Burgund im Regal. Genügend hervorragende Burgunder haben die alle probiert, um zu wissen, worum es geht.

UlliB hat geschrieben:Als ein Kernproblem sehe ich erst einmal den Umgang mit Neuholz an: typische Probleme sind zu viel Holz, das falsche Holz, oder falsches Toasting (oder eine Kombination aller dieser Faktoren).

Definitiv, wobei sich für mich dabei immer die "Henne/Ei" Frage stellt. Ist das Neuholz-/Toasting-Regime übertrieben oder die Frucht für das Neuholz-/Toasting-Regime zu schwach?
Beste Grüße, Stephan
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UlliB

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Re: Spätburgunder & Pinot Noir - Auf ein Neues

BeitragSa 15. Mär 2014, 09:21

octopussy hat geschrieben:
UlliB hat geschrieben:Ich denke eher, dass die Sorte und ihre spezifischen Anforderungen von sehr vielen Erzeugern noch nicht wirklich verstanden wird.


das denke ich auch, wobei es mich erstaunt. Denn Erzeuger wie z.B. Martin Waßmer, Ziereisen, R&C Schneider, Bercher, ja sogar Johner sind m.E. mit ihren Weißweinen ganz vorne dabei. Da mache ich mir auch über die Lagerfähigkeit überhaupt keine Gedanken. Die Winzer können es, definitiv. Nur beim Spätburgunder scheint irgendwie das richtige Fingerspitzengefühl zu fehlen. Dabei sieht man bei Ziereisens oder Martin Waßmer nur die allerbesten (leeren) Flaschen aus dem Burgund im Regal. Genügend hervorragende Burgunder haben die alle probiert, um zu wissen, worum es geht.

Hallo Stephan,

die Erzeugung qualitativ relevanter Rotweine ist in Deutschland immer noch ein vergleichsweise junges Phänomen, das begann erst vor etwa 25 Jahren. Und dass Pinot noir in der Handhabung die vermutlich heikelste Rebsorte überhaupt ist, die im Anbau und bei der Weinbereitung keinen Fehler verzeiht, kannst Du von fast jedem Erzeuger hören. Da brauchts halt ein wenig mehr Zeit.

Im Übrigen kommt mir manchmal der Verdacht, dass nicht nur die Winzer das Problem sind, sondern (auch) die Kunden, deren Erwartungshaltung durch die Erzeuger lediglich bedient wird. Was "relevante" Rotweine betrifft, ist eine komplette Trinkergeneration (zu der ich mich selber zähle) mit tiefdunklen, hoch extrahierten und häufig auch intensiv geholzten Weinen erzogen worden: Bordeaux, Spanier, Südfranzosen... dass hier ein Rollenmodell etabliert wurde, das begierig überall kopiert wurde, kann man auch bei anderen, an sich hellfarbigen Sorten sehen: auch Sangiovese und Nebbiolo ergeben eigentlich keine tieffarbigen Rotweine, und weder in Mittelitalien noch im Piemont gibt es eine Tradition zur Verwendung von Neuholz - trotzdem werden dort mittlerweile eine ganze Reihe von Weinen aus Sangiovese und Nebbiolo "a la Bordelaise" produziert: fast schwarz und holzgesättigt. Die Kunden wollen und schätzen es so, und auch manche Kritiker mögen das. Was aber bei Sangiovese und Nebbiolo vielleicht noch hingehen mag, ist bei Pinot ein Irrweg.

octopussy hat geschrieben:
UlliB hat geschrieben:Als ein Kernproblem sehe ich erst einmal den Umgang mit Neuholz an: typische Probleme sind zu viel Holz, das falsche Holz, oder falsches Toasting (oder eine Kombination aller dieser Faktoren).

Definitiv, wobei sich für mich dabei immer die "Henne/Ei" Frage stellt. Ist das Neuholz-/Toasting-Regime übertrieben oder die Frucht für das Neuholz-/Toasting-Regime zu schwach?

Als Konsument kann mir die Ursache zunächst einmal egal sein. Aber wenn eine zu schwache Frucht das Problem wäre: warum ist die denn so schwach?

Gruß
Ulli
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