Sa 12. Feb 2011, 23:24
Hallo zusammen,
heute im Glas: Castello di Rampolla, Vigna d'Alceo 2003.
Junge Junge, ist das ein Geschoß... das Wirt "filigran" kommt in der Beschreibung dieses Weines mit Sicherheit nicht vor, das ist vielmehr ein großkalibriger Hedonistenwein auf sehr hohem Niveau. Und was kann man mit diesem Wein alles falsch machen... Vor einiger Zeit hatte ich mal eine sehr kritische Beurteilung in einer italienischen Weinzeitschrift gelesen (sinngemäß stand er da in der Rubrik "Pleite des Monats"), und beinahe hätte ich ihn auch so erlebt. Aber nun mal der Reihe nach.
Mit 3h Vorlauf geöffnet, 45 min vor dem Essen dekantiert und probiert. Erster Eindruck: Nase eher blättrig (Johannisbeerblätter, auch etwas Tabak) und kaum Frucht erkennbar, abgesehen von einer fast etwas irritierenden, sehr sauer-frischen Note (Grapefruit oder so ähnlich). Im Mund stand alles unverbunden nebeneinander: auch hier wenig Frucht (etwas Cassis), mittlerer Körper, die Säure zwar nicht besonders hoch, aber irgendwie auffällig herausstechend. Tannin in der Mitte erstaunlicherweise kaum spürbar, aber im Abgang dann sehr trocknend und auch bitter. Nach dieser Enttäuschung erstmal eine Viertelstunde gewartet, danach aber auch keine Besserung. Bis hierhin wären das noch handgestoppt 87,36 Punkte gewesen (oder so).
Das kann es ja wohl nicht gewesen sein, dachte ich mir... in so einem Fall kann man mal unorthodoxe Methoden riskieren, mehr als schiefgehen kann's ja nicht. Also weg mit den Samthandschuhen, zurück in die Flasche gefüllt, gleich nochmal schwungvoll kampfdekantiert und dann die Karaffe zum Kochen und nebenbei Weitertesten in die dank laufendem Ofen >25 Grad warme Küche mitgenommen (steht wohl nicht exakt so im Oxford Weinlexikon...
).
Und siehe da, dem Dilettanten lacht das Glück: eine gute halbe Stunde später ist das plötzlich ein völlig anderer Wein im Glas. Eine herrliche Süße von hochreifer Frucht (keine Überreife) sowohl in der Nase als auch im Mund (hier möglicherweise nicht nur sensorisch süß, sondern auch chemisch - könnte leicht off-dry sein). Zu den Johannisbeeren hat sich eine große Portion saftiges Zwetschgenkompott gesellt (ich sehe die Zwetschgen bildlich vor mir - wenn in guten Sommern das Fruchtfleisch schön rot wird und der Saft so richtig aus der reifen weichen Frucht tropft... lecker). Die Säure ist jetzt komplett eingebunden, eher niedrig, aber jederzeit genug, um den Wein trinkanimierend zu halten (ehrlich gesagt verdunstet der gerade in atemberaubendem Tempo). Im Mund ist der Wein inzwischen auch richtig satt, drückend und voll geworden, und dieses Gefühl zieht sich jetzt auch lückenlos und konsistent von der ersten Sekunde bis zum Ende des langen Abgangs durch, das schätze ich sehr. Der Gerbstoff ist zwar auch in der Mitte etwas deutlicher herausgekommen und ist vielleicht etwas grobkörnig, aber da inzwischen ein schönes argentinisches Rinderfilet daneben auf dem Teller liegt, kommt mir das gerade recht. Einziger kleiner Wermutstropfen: der Abgang ist ein klein wenig brandig, aber hey, was soll's, der Stoff ist einfach schweinelecker.
Für heute ganz unintellektuelle 95 Punkte, und nach weiterem Lagerpotenzial möge mich bitte keiner fragen - für mich ausnahmsweise diesmal irrelevant, denn wenn ich noch mehr davon hätte, würde ich's wahrscheinlich morgen trinken.
So, verabschiede mich für heute und wünsche allen etwas ähnlich erfreuliches im samstäglichen Glas!
Jürgen
PS: Im Laufe des Abends fiel mir mehrmals der Mauro Vendimia Seleccionada 2001 ein, mit dem ich vor einigen Jahren mal ein recht ähnliches Erlebnis hatte. Klar, anderes Land, andere Rebsorte etc., aber ein ähnliches Kaliber.