Le Beaujolais Primeur est... disparu?

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UlliB
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Le Beaujolais Primeur est... disparu?

Beitrag von UlliB »

Nein, so ganz verschwunden ist er noch nicht, der Beaujolais Primeur. Aber fast.

Blickt man zurück, war das mal völlig anders. In den 80ern und auch noch in den 90ern gab es um die Freigabe am dritten Donnerstag im November einen regelrechten Hype. Da standen Fernsehteams vor den Kellereien im Beaujolais, um zu filmen, wie die LKWs mit laufenden Motoren kurz vor Mitternacht auf den Startschuss warteten, um die Auslieferung zu beginnen. Und es entspann sich dann jedesmal eine Art globales Wettrennen, wer seinen Gästen das erste Glas servieren kann. Ich erinnere mich noch gut daran, dass mir 1996 an eben jenem Donnerstag abends ein Glas in einer Weinbar angeboten wurde - in San Francisco. Ok, mit 9 Stunden Zeitversatz zu Mitteleuropa und damit eigentlich schon eher Freitagmorgen, aber immer noch eine erhebliche logistische Leistung. Der Wein war mit einer Air France - Linienmaschine aus Paris mitgekommen und trotz der US-Zollprozedur sofort ausgeliefert worden 8-)

Was da so viel Aufmerksamkeit bekam, war ein in Riesenmengen im Turboverfahren innerhalb weniger Wochen zusammengedengeltes und abgefülltes Produkt, das im schlechten Fall ziemlich haarscharf an der Untrinkbarkeit vorbeischrammte, im guten Fall aber eine fröhlich-fruchtige (aber trockene) und problemlos wegzusüppelnde Belanglosigkeit war. Man fand den Primeur damals kurz nach der Freigabe bei wirklich jedem Weinhändler und auch in Supermärkten, die eine Weinabteilung hatten - in letzteren meistens palettenweise.

Das hat sich dann um die Jahrtausendwende gründich geändert - die Mode war vorbei, und im Beaujolais musste man sehen, sein Geld mit seriösen Weinen zu verdienen. Der Beaujolais Primeur verschwand zusehends, erst bei den Händlern, dann in den Supermärkten, und so etwa ab 2010 war er denn außer in ein paar Nischen praktisch völlig verschwunden. Ich habe ab und zu mal danach geschaut, aber in manchen Jahren tatsächlich gar keinen gesehen.

Dieses Jahr scheint es aber tatsächlich eine kleine Renaissance zu geben. Ich habe in den letzten Wochen gleich zwei Angebote von Händlern bekommen, ein paar Flaschen zu reservieren, die dann sofort nach dem Release ausgeliefert werden sollen.

Der Release ist, wie oben schon erwähnt, immer am dritten Donnerstag im November, das wäre morgen (19.11.). Früher hat man peinlich genau darauf geachtet, dass keine Flasche das Département Saône-et-Loire vor Null Uhr dieses Tages verlässt - umso überraschter war ich heute, hier im lokalen Edeka ein paar Flaschen vom 2020er zu finden. Viel war es nicht, etwa ein Dutzend, aber immerhin. So genau scheint man es jetzt wohl nicht mehr zu nehmen...

Als alter Nostalgiker habe ich mal was mitgenommen. Das wird in ein paar Tagen mein erster 2020er ;)

Gruß
Ulli
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EThC
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Re: Le Beaujolais Primeur est... disparu?

Beitrag von EThC »

...tatsächlich! Daran kann ich mich auch noch erinnern. Aufgrund des ganzen Marktgeschreis darum hab ich mich diesem zweifelhaften Vergnügen immer entzogen und war generell hinsichtlich Beaujolais lange sehr skeptisch. Erst vor wenigen Jahren habe ich die qualitativen Möglichkeiten der Gegend (nicht des Primeurs) für mich entdeckt...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
DAS EWIG GESTRIGE
was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

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innauen
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Re: Le Beaujolais Primeur est... disparu?

Beitrag von innauen »

Hallo,

Danke für den Bericht, der bei mir Erinnerungen an die Studentenzeit auslöst. Einmal einen ordentlichen Primeur zu trinken, das ist ja noch eine kleine Aufgabe, für die sich zu suchen lohnt.

Grüße,
wolf
„Es war viel mehr.“

Johnny Depp dementiert, 30.000 Dollar im Monat für Alkohol ausgegeben zu haben. (Quelle: „B.Z.“)
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austria_traveller
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Re: Le Beaujolais Primeur est... disparu?

Beitrag von austria_traveller »

Lieber Uli,
Danke für diese Erinnerungen an meine Jugend.
Jetzt wo du's sagst fällt es mir auch auf dass es diesen Hype nicht mehr gibt
Beste Grüße
Gerhard aus Wien
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Dilbert
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Re: Le Beaujolais Primeur est... disparu?

Beitrag von Dilbert »

Ja, Ulli, lieben Dank!
In den Achtzigern und den frühen Neunzigern war das ja in der Tat ein riesiger Hype. Für mich immer untrennbar mit dem Namen Georges Duboeuf verbunden - wobei, ich glaube, das waren noch die besseren!! Die damaligen Erfahrungen haben allerdings sehr sehr lange das Thema Beaujolais an den absoluten Rand meiner vinophilen Interessen gedrängt! :lol: :lol:

Gruß,
Jochen
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Zürcher
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Re: Le Beaujolais Primeur est... disparu?

Beitrag von Zürcher »

Danke Ulli.
Duboeuf sind auch meine Assoziationen. Meist bunte Etikette und so ähnlich schmeckte der Wein. Mag ihn aber auch heute noch, ein wenig gekühlt, zu einem kalten Plättli (schweizerisch).
Trotz des Schwefels hatte ich noch nie Kopfweh.
Grüsse aus der Schweiz
Sacha
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UlliB
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Re: Le Beaujolais Primeur est... disparu?

Beitrag von UlliB »

Ja, Duboeuf war einer der zuverlässigeren Erzeuger. Bei denen war übrigens trotz der Vinifikation im Schnelldurchgang durchaus zu schmecken, ob der Jahrgang generell etwas taugte oder man mit ordentlich Zucker (und vielleicht sonst noch was) nachhelfen musste.

Apropos Georges Duboeuf: der Mann ist Anfang des Jahres im Alter von 86 Jahren verstorben. Offensichtlich handelte es sich um ein echtes Marketinggenie - er hat nicht nur eine der größten Kellereien Frankreichs aus dem Nichts aufgebaut, sondern die gesamte Vermarktungsstrategie für den Primeur / Nouveau wurde praktisch im Alleingang von ihm entwickelt. Qualität hin oder her, da gehört schon etwas dazu, und er trug nicht umsonst eine zeitlang den inoffiziellen Titel des Roi du Beaujolais.

Im Gebiet selber wird er und der Hype um den Primeur ziemlich ambivalent gesehen. Einerseits kam dadurch sehr viel schnell verdientes Geld in eine zuvor recht ärmliche Gegend, und vielen Winzern wurde dadurch überhaupt erst ermöglicht, ihren eigenen Wein zu produzieren und zu vermarkten und sich von den Kellereien zu emanzipieren. Andererseits wurde das Image des Gebietes durch die häufig wirklich zweifelhafte Qualität der Primeurs und deren Marktbeherrschung ziemlich gründlich ruiniert. Das hat sich inzwischen gebessert, aber man darf dabei nicht übersehen, dass die Aufmerksamkeit der Weinwelt (wie auch hier im Forum zu sehen ist) sich heute praktisch ausschließlich um die zehn crus dreht. Die machen zusammengenommen aber weniger als ein Drittel der Gesamtrebfläche des Beaujolais aus, und ich vermute, dass es den Erzeugern in den generischen Gebieten heute eher schlechter geht als vor ein paar Jahren.

Aber vielleicht erlebt der Primeur ja tatsächlich gerade eine kleine Renaissance. Nachdem ich in den letzten Wochen schon zwei Angebote zur Reservierung bekommen hatte, flatterte gerade heute früh ein weiteres Angebot von WiB in meine Inbox.

Gruß
Ulli
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Dilbert
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Re: Le Beaujolais Primeur est... disparu?

Beitrag von Dilbert »

UlliB hat geschrieben:Aber vielleicht erlebt der Primeur ja tatsächlich gerade eine kleine Renaissance. Nachdem ich in den letzten Wochen schon zwei Angebote zur Reservierung bekommen hatte, flatterte gerade heute früh ein weiteres Angebot von WiB in meine Inbox.
... wie bestellt! Bei mir auch. :lol:

gruß,
Jochen
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UlliB
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Re: Le Beaujolais Primeur est... disparu?

Beitrag von UlliB »

Aus dem WiB-Angebot hatte ich eine Flasche bestellt, und gestern abend war die fällig. Der Inhalt hat mich ziemlich angenehm überrascht.

Beaujolais Villages Nouveau 2020 (Domaine Anita) 13%Vol. Laut WiB stammt der Wein aus cru-Lagen, als Herkunft ist auf der Flasche "Les Coteaux Le Malval" angegeben, wo auch immer das auch sein mag. Für einen Primeur erstaunlich dunkle Farbe, purpurfarbener Rand. Intensive, dunkle Frucht, Heidelbeere, Maulbeere, auch etwas Cassis, biltzsauber, das sonst übliche Dropsige fehlt hier, auch die bei der Kohlensäuremaischung häufig auftretenden Bananentöne. Im Gaumen ebenfalls dunkelfruchtig, recht viel Substanz, gar ein wenig (weiches) Tannin, sauberer mittellanger Abgang auf der Frucht.

Das ist kein typischer Primeur, sondern schon eher ein ernsthafter Wein, der trotz seinem Plastepröppel eine Weile halten dürfte. Mit fast 10€ für die Flasche in seiner Kategorie auch eher teuer, aber für das Gebotene ist das aus meiner Sicht durchaus ok.

Gruß
Ulli
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