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Annäherung an Bordeaux, aber wie?

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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Sauternes

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Re: Annäherung an Bordeaux, aber wie?

BeitragMi 12. Feb 2020, 21:10

Je-Mi hat geschrieben:Ach so, warum 2014 le Reysse nicht kaufen? Ist der wirklich nicht so gut ausgefallen?

Hallo Jens,

Die Aussage kam von mir, kenne den 2014 nicht, aber wenn ich 2016 zu ähnlichen oder gleichen Preis haben kann, dann brauche ich 2014 sicher nicht.
Mir persönlich hat 2014 bisher nicht vom Hocker gehauen, habe zum Glück auch nicht viel aus dem Jahrgang.

Gruß Heiko
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Jochen R.

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Re: Annäherung an Bordeaux, aber wie?

BeitragDo 13. Feb 2020, 06:56

Charmail hat geschrieben:„my two cents“

Chateau Le Reysse ist für den Einstieg sicherlich eine von etlichen Optionen, stilistisch eher modern mit großzügigem Holzeinsatz. Verfolge die Weine seit 2009, aus meiner Sicht ist der 16er, der bisher beste Jahrgang, gefolgt von 2010 und 2014, letzterer befindet sich gerade in der Verschlussphase. Der 16er braucht extrem viel Luft, hatte ich 3 x in den letzten 6 Monaten. 2015 finde ich nicht so gelungen, Hitzestress u. Säurearmut = alkoholisch und strukturlos.
...

Ich finde das sehr treffend beschrieben! Und bei aller Liebe zu Le Reysse
(ich bin auch ein großer Fan der Weine), der 2016er hat 14,5 %Vol - und das
ist schon ein Brett.
Und was Steffen zum 2015er schreibt trifft m. E. auf viele andere 2015er
in dieser Preisklasse (und darüber hinaus) zu - bin also immer wieder über
die teilweise überschwänglichen Berichte zu diesen Weinen erstaunt. Aber
jeder nach seiner Facon.

Schöne Liste übrigens von Steffen mit unterschiedlichen Stilistiken, um sich
einen Überblick verschaffen zu können :idea:

Viele Grüße,
Jochen
Belgrave ist nichts für Unschuldige
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KalleAnka

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Re: Annäherung an Bordeaux, aber wie?

BeitragDo 13. Feb 2020, 07:50

Charmail hat geschrieben:Chateau Le Reysse ist für den Einstieg sicherlich eine von etlichen Optionen, stilistisch eher modern mit großzügigem Holzeinsatz. Verfolge die Weine seit 2009, aus meiner Sicht ist der 16er, der bisher beste Jahrgang, gefolgt von 2010 und 2014, letzterer befindet sich gerade in der Verschlussphase. Der 16er braucht extrem viel Luft, hatte ich 3 x in den letzten 6 Monaten. 2015 finde ich nicht so gelungen, Hitzestress u. Säurearmut = alkoholisch und strukturlos.
Das Weingut hat noch weitere Weine im Portfolio, wie den etwas preiswerteren, Merlot-betonten, Clos du Moulin. Ein sehr schöner Alltagswein, gibt es ebenfalls bei C&D. Auch da ist der 16er sehr gelungen.

Eine erwähnenswerte Empfehlung ist das Chateau Clos Manou, ebenfalls nördliches Medoc, ähnliche Stilistik, auch da ist der 16er sehr gelungen.

Ansonsten hätte ich hier noch ein paar Empfehlungen von Weingütern, die Jahr für Jahr konstante Qualitäten auf die Flasche bringen, alles linkes Ufer, preislich von 13-35 €

Chateau Cambon La Pelouse
Chateau Du Retout
Chateau Charmail
Chateau d'Escurac
Chateau Meyney
Chateau Capbern
Chateau d'Agassac
Chateau Belle-Vue
Chateau Belgrave
Chateau Lanessan
Chateau Seguin
Chateau La Louviere

Ich würde mir vom selben Wein einen älteren und einen aktuelleren Jahrgang kaufen und sie dann beide aufziehen und vergleichen, um überhaupt einen Eindruck zu bekommen, ob man die Stilistik mag.


Ganz herzlichen Dank für die umfangreiche Probierliste, da werde ich sicherlich dran „arbeiten“. ;)

Beste Grüße,
KalleAnka

PS: Ins Burgund werde ich mich sicherlich auch irgendwann vorarbeiten, aber eins nach dem anderen.
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small talk

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Re: Annäherung an Bordeaux, aber wie?

BeitragDo 20. Feb 2020, 13:59

Zufällig bin ich hier auf diese Diskussion gestoßen und bin durchaus erfreut, dass mein Wein Le Reysse hier so gelobt wird. Danke dafür!
Ich erlaube mir hier ein paar Anmerkungen zu schreiben. Auch weil ich bis zum Alter von 46 Jahren selbst Weinliebhaber bzw. Weinsammler war und ich sehr viele hier gestellte Fragen und Gedanken wiedererkenne. Vor 10 Jahren bin ich dann mit meinem etwa 4.000 Flaschen ins Médoc gezogen…
Nach meiner Auffassung ist die Beschreibung von Le Reysse als ein Wein mit einer eher modernen Stilistik doch irreführend. Ich mache den Le Reysse handwerklich und traditionel. Traubenselektion, Fermentation, Ausbau im Barrique. Auf technischen Schnick-Schnack verzichte ich ganz bewusst - selbst auf die Schönung. Irreführend deshalb da ich selbst einige 'moderne' Weine kenne und ich sie schlichtweg langweilig, weil 'weich-gespült' finde. Deshalb führe ich diese Thematik mal aus – aus meiner Sicht.
Zu diesen ‚modernen‘ Hilfsmitteln, die mir an den Le Reysse nicht dran kommen gehören unter anderem:
- Thermovinifikation
Hier wird der Most vor der Vergärung auf 80 Grad C erhitzt. Das gibt enorme Frucht und wird immer häufiger standardmäßig gemacht. Oft fallen diese Weine aber nach sehr kurzer Zeit in sich zusammen und sind kaum mehr wieder zu erkennen. Das ist ein richtiger Fallstrick für Leute die anfangen Weine kennen zu lernen - übrigens fallen auch Profis oft genug darauf rein. In meinem privaten Weinkeller liegen auch noch ein paar Leichen aus der ‚Vor-Médoc-Zeit‘ … Die werde einmal im Rosenbeet 'entsorgen'.
- Zusatzstoffe, die selbstverständlich alle zugelassen sind, also Pülverchen und Mittelchen die den Wein geschmeidiger machen, abrunden, eine Holznote geben oder was auch immer. (Es gibt Länder wo Farbstoffe und Zucker noch kurz vor der Abfüllung zugesetzt wird. Hier in Frankreich ist das verboten.) Diese Mittel sind wie Kosmetika und können einen Wein ‚schick‘ machen. Das geht bis zu ‚Designer-Weine‘.
Ich habe zwei Önologen die mich beraten und immer wieder kommen die Vorschläge, was ich alles machen und zusetzen könnte. Die Jungs sind mitunter sehr resigniert…
Warum ich das hier so erkläre: Diese ‚modernen‘ Methoden haben das Ziel einen guten Wein zu machen, wie er handwerklich nur mit ungleich größerem Aufwand möglich ist. Man könnte also zu dem Schluss kommen das gute Weine eine moderne Stilistik aufweisen. Aber so einfach ist das auch wieder nicht.
Tatsächlich sind diese neuern modernen Maßnahmen zweischneidig!
Sie werden erfolgreich genutzt und zusehends populärer, weil sie die Weine gut machen, zugänglich machen, trink- und konsumfreudiger.
Aber sie vereinheitlichen auch die Stilistik der Weine. Der Wein-Charakter geht im Mainstream unter. Die Weine werden austauschbar. Der Genießer erkennt zwar einen Bordeaux vielleicht noch einen Médoc oder St. Emilion, … aber das Château ist nicht mehr zu erkennen. Das ist ein Riesenverlust – für den Fall, dass der Wein aufgrund seiner Herkunft (Terroir) einen eigenen Charakter entwickeln könnte. Einfache Weine können das nicht und das wird auch nicht immer gebraucht. Hier sind 'moderne' Instrumente durchaus angebracht. Das ist dann aber auch eine andere Kategorie.
Der Charakter eines Weines lässt sich anhand der Präzision seiner Prägung - seiner individuellen Stilistik erkennen. Terroir und Wein-Machart setzten hier die Zeichen. Wird diese Stilistik durch Kenntnis in Weingenuss geschätzt, lässt sich ein Wein anhand seines Charakters wiedererkennen; sowohl in verschiedenen Reifegeraden, als auch über verschiedene Jahrgänge hinweg. Hierbei besteht durchaus ein beiderseitiger Anspruch. Der Genießer, ist befähigt den Charakter zu erkennen und zu schätzen und er wird immer daran arbeiten. Für einen Anfänger mag das wie ein ewig langer Weg sein. Aber hier stimmt es wirklich - der Weg ist das Ziel. Die Weinwelt ist gross und es gibt immer noch was zu entdecken, egal wie lange jemand ambitioniert schon dabei ist. Ein grosser Wein ist in der Prägung seiner Stilistik eindeutig. Ich denke, ambitionierte Wein-Genießer suchen genau das. Für mich galt das schon immer und jetzt möchte ich genau solche Weine machen.
Ein ehemaliger Kollege aus Russland sagte mir mal, dass er vor Weingenießern enormen Respekt hat, weil die so ein Wahnsinns-Gedächtnis haben. Da ist was dran und ich bin mir sicher, dass sich das gegenseitig bedingt. Durch den Weingenuss und die Auseinandersetzung mit der Stilistik eines Weines wird das Gedächtnis enorm trainiert. Schließlich möchte man den Wein auch begreifen und später einmal wiedererkennen und da können schon mal ein paar Jahre dazwischen liegen.
Noch ein Punkt zur modernen Technik im Weinbau aus meiner persönlichen Erfahrung. So gut diese Entwicklungen alle sind, haben sie aber auch einen enormen Haken. Sie vereinfachen das Weinmachen und reduzieren die Herausforderungen an den Winzer. Ich habe Kollegen, die warten nicht mehr die optimale Reife ab. Auch die Traubengesundheit ist ihnen nicht mehr so wichtig. Der Most wird einfach thermo-vinifiziert und alles ist wieder im Lot. Wozu noch ein Risiko eingehen? Wozu noch eine Herausforderung suchen? Die Technik richtet das schon und die Weine werden vom Markt gut angenommen. Ich denke da geht viel Potential verloren und der Winzer verliert Fähigkeiten, die vorher unerlässlich waren um guten Wein zu machen. Stattdessen wird er zusehends abhängiger von der Technik. Das gilt übrigens für viele landwirtschaftlichen Bereiche. Aspekte der natürlichen Bodenfruchtbarkeit oder widerstandsfähige Kulturen sind mit all der Technik in den Hintergrund geraten und oft komplett verschwunden. Ich denke der einzige Grund warum sich einige Winzer mit ihrer eigenen Methodik halten können ist, dass sie sich mit ihrem individuellen Produkt von der Masse abheben können. Schließlich ist auf der Flasche ihr eigenes Etikett mit Namen. Das ist schon ein Vorteil gegenüber andere Bereiche in der Landwirtschaft.

Jemanden der anfängt sich mit Weinen auseinander zu setzten, wie KalleAnka kann ich nur empfehlen zu probieren und sich primär auf den eigenen Geschmack zu verlassen. Der wird sich auch entwickeln und wie von alleine wird er selbst die Richtung finden. Von seinem Geschmack sollte er sich primär leiten lassen.
Wenn irgend möglich sollten verschiedene Reifegrade probiert werden. Auch da gibt es persönlich Präferenzen und Überraschungen.
Der Austausch mit Anderen ist auch sehr wichtig. Das kann einem so manchen Irrweg ersparen. Bordeaux ist ein Riesen Weingebiet. In der Ausdehnung durchaus vergleichbar mit allen Weinflächen Deutschland zusammen. Es gibt rot weiß trocken süß verschieden Klimabereiche und Böden… Eine Orientierungshilfe ist da durchaus angebracht.
Bewertungen von Wein-Journalisten können sehr Hilfreich sein. Aber aufgepasst; Journalisten sind auch nur Menschen. Die haben auch ihre persönlichen Präferenzen. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten und nicht blind folgen. Kennt man die Journalisten, verstehen sich die Bewertungen viel besser. Und bitte niemals einen Wein auf Punkte oder Sternchen reduzieren, das ist richtig langweilig und banalisierend.

Noch was zur Lagerung: Die Flaschen sollten nicht im Karton lagern, weil dieser sich mit der Zeit zersetzt und Chlorverbindungen und was auch immer freisetzt. Kartonmaterial wird oft aus recyceltem Stoffen hergestellt und da ist es unmöglich Chlorfreiheit zu garantieren. Also die Pullen rausholen aus dem Karton. Keine Äpfel oder Kartoffeln im gleichen Raum und sowieso Gerüche vermeiden.

Noch was zu Le Reysse. Dieser Wein ist zwar wie ein Bordeaux Wein assembliert – aber doch sehr untypisch. Im Bordelais hat die Assemblage von Chateaux Weinen zum Ziel möglichst viele oder alle Chargen in den ‚Chateau-Wein‘ zu integrieren. Alles was nicht rein kommt wird lose im Tank verkauft oder sofern vorhanden als Zweitwein vermarktet. Das gelingt auch sehr gut. Die einzelnen Terroir-Lagen geht dabei aber oft verloren. Bei Le Reysse ist das nicht so. Hier kommen die Merlots von einer Lage (über 60 jährige Reben auf Kies mit Ton-Kalk im Untergrund) und die Cabernet Sauvignon von einer anderen Lage (über 50 jährige Reben auf Kies mit Ton im Untergrund). In manchen Jahren kommen noch die Cabernet Franc hinzu Lage (über 100 jährige Reben auf Kies). Damit ist der Bezug zwischen zum Terroir sehr direkt und gibt dem Le Reysse seinen sehr speziellen Charakter. Das gibt es in Bordeaux nicht so oft – ist geradezu unüblich.
Beste Grüsse aus Médoc
Stefan
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Winedom

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Re: Annäherung an Bordeaux, aber wie?

BeitragDo 20. Feb 2020, 23:25

Hallo Stefan!
Echt toll das Du hier schreibst!
Habe schon einige Flaschen Deiner Weine getrunken.
Unabhängig von der satten Punktzahl liegen die mir sowas von gut auf der Zunge. Echt ein Genuss. Gerade der 2014er.
Würde ihn auch lieber authentisch nennen statt modern. Der 100% Holzeinsatz war mir nur jung so aufgefallen.
Aber ziemlich schnell war das alles sehr ausbalanciert!
Da ist wohl das Toasting und die Wahl der Eiche sehr passend zum Wein passiert!
Das mit den getrimmten Wein im Bordeaux trifft genau meine Wahrnehmung. Ich konnte es nur nicht technisch benennen.
Einen Wein fast Kochen für die Fruchtexpression ist in meinen Augen schon eine Grenzüberschreitung.
Und mal eine dumme Frage: Es gibt doch auch einiges an gesunden Inhaltsstoffen im Wein. Werden die da nicht geopfert?
Werde Deinen Kommentar noch mal in Ruhe lesen und ich hoffe hier ensteht ein kleiner Austausch im Forum!
Herzliche Grüße ins Medoc!
Rainer
Viele Grüße
Rainer
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la-vita

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Re: Annäherung an Bordeaux, aber wie?

BeitragFr 21. Feb 2020, 12:17

Hallo Stefan,
vielen Dank für Deine Ausführungen. Das ist immer wieder sehr erhellend von einem Winzer zu erfahren wie er sich seine Weine vorstellt. Interessant auch deshalb, da du vorher auch schon ein passionierter Weintrinker warst und so bestimmte Vorstellungen und Ansprüche an deinen eigenen Wein hattest.

Deine Ausführungen zu den verschiedenen Hilfsmitteln im Weinausbau haben mich sofort als Analogie an das Thema Doping im Sport denken lassen. Da weiß man heute auch nicht mehr welche Leistung mit welchen Hilfsmitteln zustande kam. Alles sehr enttäuschend. Das Enttäuschende für den Weintrinker heute ist auch, dass es kaum möglich ist herauszufinden welcher Winzer welche Hilfsmittel verwendet. Sie sind ja alle amtlich zugelassen und sind auf der Flasche nicht deklarierungspflichtig. Da kann man nur hoffen, dass der Trend zum naturnahen und biologischen Weinanbau weiter an Aufwind gewinnt. Ich denke, dass dieser Trend auch beim Konsumenten zunehmend auf mehr Interesse stößt. Man sollte auch daran denken, dass auch noch zukünftige Generationen auf den Böden im Bordelais Wein anbauen wollen.

Interessant auch dein Hinweis auf die Lagerung in Pappkartons. Da ich alle meine Weine in Kartons lagere, werde ich mir mal Gedanken um Alternativen machen.

Viele Grüße ins Médoc
Detlef
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amateur des vins

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Re: Annäherung an Bordeaux, aber wie?

BeitragFr 21. Feb 2020, 12:45

Ich finde es auch super, wenn sich Winzer hier nicht nur tummeln, sondern auch äußern. Vielen Dank dafür, und bitte mehr! 8-)

Was "Modernität" betrifft, so ist zwischen Methoden und Stilistik zu unterscheiden. Während erstere noch gut zu definieren sind - Du hast oben einen Einblick gegeben -, ist letztere doch ziemlich diffus. Und ich behaupte, daß die allermeisten Weinliebhaber den Begriff "modern" auf ihr subjektives Bild bestimmter Parameter im "fertigen" Produkt beziehen: Reifegrad, Holzeinsatz, Fruchtexpression, Tannie, Säure, Körper u.v.a.m.. Da sind Verwirrung und Mißverständnisse vorprogrammiert, und nur durch Austausch läßt sich das gegenseitige Verständnis dieses schwammigen Begriffs annähern.

tl;dr: modern ≄ modern
Besten Gruß, Karsten
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small talk

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Re: Annäherung an Bordeaux, aber wie?

BeitragFr 21. Feb 2020, 18:30

@ la-vita
mit Doping würde ich das noch nicht vergleichen eher mit Kosmetik.
Doping ist illegal … OK - illegales kommt auch in der Weinbranche vor aber ist dann auch eine ganz andere Kategorie.
Übrigens nutze ich, wenn es wegen Botrytis sein muss, auch Tannine für den Most vor der Vergärung um die Enzyme der Botrytis zu stoppen, denn sonst arbeiten die im Tank weiter. Das sind Tannine aus Kastanien und die haben keinerlei Einfluss auf den Geschmack des Weines. Da geht es wirklich nur darum die Entstehung eines muffigen Untertons zu verhindern. Bei dem Zweitwein von Clos du Moulin sind auch schon mal Eichenholz-Tannine nach dem Ausbau dazu gekommen, das war wirklich nur gut zum ‚schick machen‘ und ganz verblüffend wie nah das Ergebnis an einem Ausbau im Barrique herankommt – hält aber nicht so lange.
Ein neues Barrique kostet mich 820 €; das waren die Preise jetzt für den Le Reysse 2019. So ein ‚Instant-Barrique‘ in Pulverform ist da, mit vielleicht einem Euro, VIEL günstiger. Die Kosten für den Ausbau halten keinen Vergleich stand und der Flasche sieht man das nicht an – so manche schmecken das auch nicht. Kommt es nun im Markt einmal zum Preisdruck – wer ist da wohl zuerst weg vom Fenster? Da bleibt einem nur die Flucht nach vorne und Weinkenner die den Unterschied kennen, erkennen und schätzen.
Den Spaß am Le Reysse lasse ich mir aber dadurch nicht nehmen. Und ich bin mir sicher, dass gute Weine langfristig Bestand haben werden.
Die neuen Barriques packt der Le Reysse sehr gut weg. Der Wein wird vom Holz nicht dominiert, denn die Frucht ist auch beim jungen Wein direkt nach dem Ausbau präsent. Klar ist da noch lange nichts harmonisch zusammengefügt, aber das wird schon, bzw. ist bisher so geworden… Mit dem 2016er hatte ich so meine Schwierigkeiten. Den Wein zu klären hat ewig gedauert. Ich konnte ihn erst im April 2019 abfüllen, da wurden einige gute Kunden schon ungeduldig. Der 16er Le Reysse ist also noch kein Jahr in der Flasche. Bitte gebt ihm noch ein paar Jahre; ich bin mir sicher, dass ihr es nicht bereuen werdet.
Im Übrigen möchte ich Euch bitten etwas verständnisvoll mit meinen Ausführenzu meinen Weinen zu sein. Als Winzer hast du so enorm viel Arbeit und Herzblut reingesteckt, da kannst du nicht anders als deinen eigenen Wein nur gut zu finden.
Auf der Anderen Seite ist es auch so, dass ich den Le Reysse immer noch besser machen möchte. Das braucht Feingefühl und die Entscheidungen sind auch nicht immer einfach. Ein Wein verzeiht nun mal keine Fehler - also blos nichts falsch machen (das wollen vor allem meine Önologen) aber trotzdem sich was zutrauen (da wird meinen Önologen oft bange). Wenn man dann noch mit hohem – gar perfektionistischem Anspruch ran geht kann es einen auch schon mal richtig fertig machen. Die Zweifel, ob es anders vielleicht doch besser gewesen wäre lassen mir keine Ruhe. Das geht schon mit den Arbeiten im Weinberg los, Lesezeitpunkt/Reifegrad und zieht sich bis zur Abfüllung durch. Immer wieder gilt es abzuwägen, ob einige Entwicklungen dem Wein selbst überlassen oder gesteuert werden sollte.

@amateur des vins
modern ≄ modern stimmt! Und genau deshalb wollte ich das auch ausführen. Und übrigens auch einfache Weine können richtig gut sein, zu einer passenden Gelegenheit. Der Anspruch muss nicht immer sehr hoch sein.
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Olaf Nikolai

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Re: Annäherung an Bordeaux, aber wie?

BeitragFr 21. Feb 2020, 18:46

Schade dass in der aktuellen Diskussion so auf Reife, Frucht und Expressivität junger Weine fokussiert wird. Kann denn heute niemand mehr knappe Reife, ja möglicherweise auch moderate Unreife, Spröde und weniger plakative Offensivität akzeptieren? Ich denke, dass waren durchaus typische Attribute eines klassischen Bordeaux bis Mitte der 90er. Gerade weil es Jahre knapper Reife gab, war dies einer der Stärken der bordelaiser Weine und auch ein jahrgangstypisches Merkmal. Viele der aktuellen kleineren Weine aus nicht so privelegierten Lagen (und ich zähle hier bewusst auch den Reysse dazu) kommen heute so vordergründig bemüht daher- was mglw. auch ein Phänomen des Klimawandels oder der betriebswirtschaftlichen Zwänge ist.
Nur meine 2ct.
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Sauternes

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Re: Annäherung an Bordeaux, aber wie?

BeitragFr 21. Feb 2020, 19:58

Olaf Nikolai hat geschrieben: Kann denn heute niemand mehr knappe Reife, ja möglicherweise auch moderate Unreife, Spröde und weniger plakative Offensivität akzeptieren? Ich denke, dass waren durchaus typische Attribute eines klassischen Bordeaux bis Mitte der 90er. Gerade weil es Jahre knapper Reife gab, war dies einer der Stärken der bordelaiser Weine und auch ein jahrgangstypisches Merkmal.

Davon wird man sich in Zukunft wohl verabschieden können oder müssen, Dank dem Klimawandel wird es unreife Jahrgänge kaum mehr geben, das ist einfach so.
Siehe der diesjährige Winter, bzw. Nichtwinter, ein deutlicheres Zeichen für den Klimawandel kann es nicht geben.
Und damit muss sich auch die Weinwirtschaft arrangieren müssen.

Gruß Heiko
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