So 26. Mai 2019, 16:58
innauen hat geschrieben:Andererseits habe ich das Gefühl, dass die meisten Bordeauxfans nie länger als 10-15 Jahre bei der Subskriptionsstange bleiben
Zu diesem Themenkomplex mal ein paar Betrachtungen zum Besten gegeben:
Nehmen wir an, ich sei mit 30 erstmals imstande, signifikant hochpreisige Bordeaux zu kaufen
und einzulagern(!). Nehmen wir ferner an, fuer Weine der 30-40-Euro-Klasse gelte die Formel "in 10 Jahren, fuer 10 Jahre", sie seien also 10 Jahre ab Jahrgang trinkreif und dann fuer 10 weitere Jahre sehr gut trinkbar (in kurz: "10/10"). Ich kaufe mir 10 Jahre lange jedes Jahr 60 Flaschen solcher Weine, dann habe ich also zwischen meinem 40. und 50. Geburtstag pro Jahr 60 reife Weine zu trinken, macht grob eine pro Sonntag, wenn man Verluste durch Kork, Bruch, Arrivage- und andere Verkostungen abzieht.
Mit groesseren finanziellen Moeglichkeiten sind "groessere" Weine moeglich, und die Formel wird zu "20/20", d.h. zwischen meinem 50. und meinem 70. Geburstag kann ich jeden zweiten Sonntag eine richtig teure Flasche aufmachen bzw. bei entsprechenden eingekauften Mengen die Schlagzahl gleich halten.
Zur Eingewoehnung seien die ersten 5 Jahre mit Bordeaux kleinen Crus Bourgeois geschuldet, nehmen wir an vom 30. bis zum 35. Geburtstag; dann verschiebt sich das alles um 5 Jahre nach hinten, und der heute 30-Jaehrige packt sich seinen Keller voll fuer die naechsten 45 Jahre seines Weintrinkerlebens. Daraus ergibt sich auf sehr natuerliche Weise ein typische Zeitkonstante, auf der Bordeauxkaeufer operieren: die von dir genannten 10-15 Jahre. (Wer immer nur Mueller-Thurgau trinkt, kann das 80 Jahre machen und entsprechend lange solche Weine kaufen.) Daraus ruehrt uebrigens der oekonomische Druck auf die Weinindustrie, immer frueher trinkreife Weine zu erzeugen und immer neue, noch unbeleckte Maerkte zu erschliessen.
Vor ca. 20 Jahre braute eine Brauerei in Québec mal ein Bier, fuellte es in 0.75l-Flaschen mit Korken und vermarktete es mit dem Hinweis, das Bier wuerde durch mehrjaehrige Lagerung erst so richtig gewinnen. Die erste Abfuellung war innerhalb weniger Tage ausverkauft. Derart motiviert verzehnfachte die Brauerei die Produktion dieses Bieres - aber niemand kaufte mehr. Voellig ueberrascht und dem Bankrott nahe befragte die Brauerei ihre "sehr guten Kunden", was denn sei. Die Antwort: Man habe den Keller voll und warte darauf, dass das Bier trinkreif sei. Mit dem letzten Notkredit der Bank startete die Brauerei eine riesige Marketingkampagne, um den Konsumenten davon zu ueberzeugen, dass das Bier
bis zu 2 Jahre haltbar sei, und langsam erholten sich die Verkaeufe wieder, die Brauerei ueberlebte. Und jedes Bier, das sie heutzutage braut,
"schmeckt frisch am besten". (Es ist natuerlich das gleiche Bier.)
Das ist uebrigens auch der Grund, weshalb Autos heutzutage wieder(!) kaputtgehen. Das Engineering ist so gut, dass sie die Lebenzeit der Komponenenten ziemlich genau (auf ±1 Jahr) einstellen koennen ("geplante Obsoleszenz"). Auf Bordeaux (oder auch: Barolo) uebertragen: Sorgen diese neumodischen Weinbereitungsmethoden und der Hang zu immer reiferen Trauben nicht nur fuer fruehere Zugaenglichkeit, sondern auch fuer eine kuerzere Lebensdauer? Wobei: Als ob es ein echtes Problem fuer uns sei, wenn ein 2018er Montrose statt 20/30 nun 5/20 haette. Meiner Meinung nach ein voelliges
non-issue, wenn man nicht gerade seinen Weinkonsum nach dem Mondkalender plant (huch! Verdammt...).
Cheers,
Ollie