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out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekrise

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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AH.

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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

BeitragMo 5. Jan 2015, 01:05

Wenn Bordeaux ein Kulturgetränk ist und "Kultur" nicht einfach so da ist, sondern es einer Erziehung dazu bedarf (im aristotelischen Sinn ist die Aufgabe der Erziehung, das Angenehme schmecken zu lernen), dann ist Bordeaux selten der Ausgangspunkt vinophiler Sozialisation.

Hallo,

das Angenehme muß man nicht schmecken lernen. Es ist eben angenehm, bereits einem Kind. Beim Wein geht es wohl oft eher darum, daß unangenehme schätzen zu lernen. Eine Art Abstumpfung oder auch "aquired taste".

viele trinken Kaffee - der ist widerlich bitter
viele trinken Bier - das ist oft widerlich bitter
viele essen Bitterschokolade - die ist oft widerlich bitter
viele trinken Spirituosen - die sind widerlich bitter und brennen

Vielleicht erinnert sich noch der eine oder andere an seinen ersten Kaffee, sein erstes Bier, seine erste Bitterschokolade oder seine erste Spirituose. Der sensorische Eindruck dürfte nicht positiv gewesen sein, außer bei Nichtschmeckern (vgl. Bartoshuk et. al.). Normalerweise läßt man es dann. Eigenartigerweise sind Frauen hier nach meiner Beobachtung besser, als Männer. Warum Männer mehr dazu tendieren, widerliches als Genußmittel zu empfinden (eine Umkehrung), ist eine interessante Frage. Gibt es hierzu Forschungsergebnisse?

Bei Bordeaux ist das aber nicht nötig. Da gibt es wohlschmeckende wie z.B. Château Thibeaud-Maillet (Pomerol) oder Ch. Belair Marquis d´Aligre (Margaux). Offene Maischegärung, eher kühl vergoren (bis 25°C - schont die Aromen, ggf. längere Mazeration), Pigeage, kein neus Holz (nur weingrüne Fässer), keine Mikrooxigenation (bzw. Fässer immer beifüllen) - und schon schmeckt es, wenn man gute Rebsorten und ein gutes Terroir hat.

Allerdings gibt es recht viele widerliche Bordeaux. Überextrahiert (bitter und adstringierend), zu warm vergoren (Fruchtaromen und Sortenbukett geschädigt oder weg), Mikrooxigeniert (um das reichliche Tannin und Anthocyan katalytisch zu polymerisieren) das kostet auch viel Sorten- und Fruchtaroma, viel neues Holz was zu holzigen oder toastigen Aromen führt (Holz schmeckt widerlich) und reichlich angereichert/chaptalisiert, also alkoholisch bitter und brandig. Solche "weinähnlichen Getränke" ist recht verbreitet in dieser Region.

Liebe Grüße

Andreas
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Markus Vahlefeld

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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

BeitragMo 5. Jan 2015, 10:39

Lieber Andreas,

Dein Weltbild ist glücklicherweise herrlich einfach gestrickt. Dass es dabei erhebliche Widersprüche aufweist, scheint dich nicht zu tangieren. Sei's drum.

Aber warum muss man Kindern den "rechten" Geschmack (der ja kein aquired taste sein darf) erst behutsam nahebringen? Kinder stecken sich alles in den Mund, von Sand bis zum Kot. Und sie finden an fast allem auch Gefallen, was ihnen erst durch Sozialisation ("i bäh bah!") abtrainiert wird.

Genauso logisch (oder absurd) wäre die Gegenthese: würde Kindern das Bittere des eigenen Kots nicht abtrainiert werden, sie würden andere bittere Stoffe mit mehr Gusto verzehren. Stattdessen wird ihnen beigebracht, Süßes zu mögen und mit Süßem belohnt zu werden. Daher ist Süße der eigentliche "aquired taste", mithin das Verdorbene und "widerlich" Verbogene. Erst mit dem Alter befreit sich der Mensch von seiner Sozialisation und lernt das Bittere schätzen. Deswegen finden Menschen mit fortschreitendem Alter immer mehr Gefallen an Bitterem.

Bordeaux-Weine werden allein schon wegen des Preises eher von älteren Menschen konsumiert, weswegen die von Dir als "widerlich, widerlich, widerlich" beschriebene Ausbauart sinnvoll ist.

Die einen werden erwachsen, die anderen bleiben auf der Stufe des sozialsierten Kleinkindes stehen. Warum auch nicht?
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harti

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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

BeitragMo 5. Jan 2015, 11:30

Markus Vahlefeld hat geschrieben:Genauso logisch (oder absurd) wäre die Gegenthese: würde Kindern das Bittere des eigenen Kots nicht abtrainiert werden, sie würden andere bittere Stoffe mit mehr Gusto verzehren. Stattdessen wird ihnen beigebracht, Süßes zu mögen und mit Süßem belohnt zu werden. Daher ist Süße der eigentliche "aquired taste", mithin das Verdorbene und "widerlich" Verbogene. Erst mit dem Alter befreit sich der Mensch von seiner Sozialisation und lernt das Bittere schätzen. Deswegen finden Menschen mit fortschreitendem Alter immer mehr Gefallen an Bitterem.

Hallo Markus,

Satz 2 ist in der Tat absurd, es sei denn, Du würdest Muttermilch als Teil des Trainingsprogramms ansehen. Die ist nämlich noch deutlich süßer als Kuhmilch, enthält sie doch 7 % Laktose (http://www.navigator-medizin.de/eltern_ ... ehalt.html). Zucker ist nun mal eine unserer primären Ernährungsgrundlagen und wird deswegen von Kleinkindern so geschätzt.

Grüße

Hartmut
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Gerald

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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

BeitragMo 5. Jan 2015, 11:39

Also Süße ist definitiv kein acquired (übrigens mit "c", ein bisschen Pedanterie muss sein ;) ) taste. Die Rezeptoren für Süße haben sich evolutionär dafür ausgebildet, damit man sofort erkennen kann, dass das Nahrungsmittel rasch verfügbare Kalorien enthält. Ähnliches gilt für das Mundgefühl bei fetthaltigen oder das "umami" bei proteinhaltigen Produkten.

Und bei bitter ist es das genaue Gegenteil, es signalisiert "Achtung, möglicherweise giftig!". Für viele pflanzliche Giftstoffe trifft das ja auch tatsächlich zu.

Grüße,
Gerald
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Markus Vahlefeld

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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

BeitragMo 5. Jan 2015, 12:48

Ja, das Absurde stellt das scheinbar Normale manchmal bloß. Wieso sollte der Konsum von Muttermilch denn keinen acquired taste hervorrufen? Gerade hier zeigt sich doch, dass Süße eine der ersten Geschmackswahrnehmungen des Menschen ist und daher im Überlebenstrieb als positiv wahrgenommen wird. Das ist, was "acquired taste" genannt wird.

Wer auf seinem infantil "acquired taste" stehen bleibt, bleibt halt infantil. Warum das besser als bitter (erwachsen) oder irgendetwas anderes sein soll, erschließt sich mir nicht.

Die Konzeption, süß wäre "ursprünglich" und damit nicht-widerlich, ist Quatsch. Süß ist genauso acquired wie alles andere auch. Und Gerald legt das "acquired" nur statt in die individuelle Entwicklung des Menschen mehrere Generationen vorher in die Entwicklung der Menschheit.

Acquired bleibt acquired ;)
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Gerald

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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

BeitragMo 5. Jan 2015, 13:13

Na ja,

einerseits ist die Laktose in der Milch ja gar nicht so besonders süß, verglichen mit Fructose oder Saccharose aus süßen Lebensmitteln.

Andererseits ist die Vorliebe für Süßes meines Wissens genetisch programmiert und nicht etwa durch Muttermilch erst erlernt, einfach da es auf ein energiereiches und gesundheitlich unbedenkliches Lebensmittel hinweist (stimmt natürlich nicht immer, z.B. bei Tollkirschen ;) ). Umgekehrt weisen intuitiv als unangenehm empfundene Gerüche/Geschmäcker wie Bitterstoffe, Fäkalnoten oder Gerüche, die an Verderb durch Bakterien oder Pilze erinnern (z.B. gereifter Käse), auf mögliche Gesundheitsgefahren hin. Da muss man erst von anderen Menschen lernen, dass es in diesem Fall (z.B. eben bei Käse) nicht zutrifft.

Warum hingegen manche (nicht alle) Menschen sich später gerade für solche Aromen begeistern können, ist eine andere Frage. Vielleicht einfach, um sich von "einfacher gestrickten" Menschen abzugrenzen, die nur Lebensmittel mit "natürlichem" Wohlgeschmack wie Süßes, Fettiges oder Proteinhaltiges mögen?

So wie z.B. Menschen, die sich freiwillig den Ring des Nibelungen anhören, statt in ein Helene-Fischer-Konzert zu gehen? :D

Grüße,
Gerald
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harti

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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

BeitragMo 5. Jan 2015, 13:19

Markus Vahlefeld hat geschrieben:Die Konzeption, süß wäre "ursprünglich" und damit nicht-widerlich, ist Quatsch. Süß ist genauso acquired wie alles andere auch. Und Gerald legt das "acquired" nur statt in die individuelle Entwicklung des Menschen mehrere Generationen vorher in die Entwicklung der Menschheit.

Acquired bleibt acquired ;)

Hallo Markus,

super, negieren wir doch gleich die ganze Evolution und diesen Blödsinn mit den Genen :roll: .

Wenn wir uns nur Mühe geben, werden wir auch Kühe zu Fleischfressern und Katzen zu Vegetariern erziehen können ...

Grüße

Hartmut
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Blaufränkisch

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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

BeitragMo 5. Jan 2015, 13:38

Don´t feed, Markus.
Hier gibts mehr von mir zu lesen: www.bernhard-fiedler.at
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Markus Vahlefeld

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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

BeitragMo 5. Jan 2015, 14:09

OK, sorry. War einfach zu verführerisch :oops:
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octopussy

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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

BeitragDo 10. Sep 2015, 09:18

octopussy hat geschrieben:À propos Hightech im Bordelais: http://www.yoopress.com/de/weinnews/wei ... deaux.html

Ich muss schon sagen, dass solche News für mich das Image des Bordeaux beeinträchtigen. Wer will schon kleine Flugzeuge sehen, die über die Weinberge summen?

Hier ist nun ein erstes Ergebnis der Arbeit mit Drohnen in den Bordelaiser Weinbergen. Château Montrose hat mit Hilfe von Drohnen und einer Infrarot-Analyse (wie genau, erschließt sich mir nicht, dafür fehlt mir das technische Verständnis) das Potenzial seiner Weinberge untersuchen lassen und organisiert die Lese nun anhand der Analyse.

http://www.mybettanedesseauve.fr/precises-vendanges

Jetzt muss ich ein bisschen meine Ablehnung gegenüber den Drohnen im Weinberg relativieren. Das klingt auf den ersten Blick schon hilfreich, wenn man seine Weinberge so analysieren und die Weinlese anhand der Analyse organisieren kann.
Beste Grüße, Stephan
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