Aktuelle Zeit: Do 25. Apr 2024, 14:02


Bordeaux 1990

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
  • Autor
  • Nachricht
Offline

Kle

  • Beiträge: 953
  • Registriert: Fr 10. Dez 2010, 18:18
  • Wohnort: Hamburg

Re: Bordeaux 1990

BeitragFr 2. Jan 2015, 18:38

Teilweise genussvolle Geschichtsforschung bot auch eine zweite Flasche Haut-Marbuzet St. Estèphe. Der einst von Parker hochgelobte „Kultwein“, angeblicher Vorreiter bei der langen Holzfassreifung und späten Lese, schmeckt in seinen guten Momenten vollmundig und saftig und besitzt ein kräftiges Rumtopf-Aroma – man kann schon fast sagen Rum-Aroma. In seinen schwächeren Phasen wie verkohlt und mit Resten von überreifen oxydierten Früchten. Typizität? Äh, Trendsetter… Die negativen Seiten sind von René Gabriel in seiner VKN von 1999/2000 gut beschrieben. Aber sein Verriss erwähnt auch die Reize des „völlig übervinizierten Bluff“, ich konnte mit seinem Text viel anfangen… man hat fast das Gefühl, Gabriel glaubte, Parker einen riesigen Irrtum nachweisen zu können und wählte daher eine besonders faire und sorgfältige Beweisführung. Dass der Wein ein Bluff sei, finde ich nicht. Dafür hat er sich zu gut gehalten und bietet mitunter einen animierend runden Genuss mit nicht besonders tiefsinniger, aber in sich fester und wohlgenährter Struktur. Gabriel versteckte in seiner Kritik denn auch immer wieder Lob und gab 16 Punkte, obwohl er dem 90er im Jahre 2000 ein „vorbei“ attestierte. Jetzt, 15 Jahre später, wäre dieser Begriff passend. Richtig vorbei schmeckte der Wein allerdings erst, nachdem die halbvolle Flasche noch einmal 30 Stunden im Kühlschrank gelagert hatte. Und selbst dann gab es noch interessante Momente, falls man bereit war, die dominierenden Nebenwirkungen mitzuertragen. Alles in allem würde ich sagen: Experiment gelungen, Monsieur Duboscq. Wenn schon moderner, gepimperte Stil, dann einen solchen Klassiker des Vulgarismus.

Gruß, Kle
—People may laugh as they will—but the case was this.
Tristram Shandy
Offline

graves

  • Beiträge: 437
  • Bilder: 2
  • Registriert: Do 23. Aug 2012, 23:10

Re: Bordeaux 1990

BeitragSo 10. Apr 2016, 21:42

Anbei Eindrücke im Rahmen einer Leoville Barton - Leoville Poyferre Doppelvertikale.

graves hat geschrieben:Doppelvertikale Leoville Barton vs. Leoville Poyferre: 1989, 1990, 1995, 1998, 2001

4. Flight 1990
Leoville Barton 1990: Dunkel und Rot aber mit einer starken Tendenz ins Braun. Stark von Sekundäraromen geprägt, es dominieren Leder, Tabak, Zedernholz und etwas Backpflaume. Am Gaumen bestätigt sich dieser Eindruck in aromatischer Sich, aber Begeisterung vermittelt die Struktur, was für ein Maul voll Wein. Sehr intensiv und lang. 19P

Leoville Poyferre 1990: Wie der Barton ist auch der Poyferre visuell schon merklich gealtert. Eine Wahnsinnsnase! Leicht rote Fruchtaromen und eine starke florale Komponente. Schwer zu fassen, da ungemein vielschichtig. Einfach nur genießen. Auch dieser Wein ist wunderbar mundfüllend. Die festen Tannine ergänzt um eine spielerische Säure. Sehr aromatisch, erinnernd an Maraschino-Kirsche, Garrigue und wieder ein subtiler Anflug von Gemüse 19+P

Der Höhepunkt der Probe. Zwei Weine, die beide ungemein begeistern. Strukturell ebenbürtig, aber der Poyferre wiederum mit der überzeugenderen Aromatik. Die Weine reißen so mit, dass die Notizen etwas dürftig ausfallen. Spätestens jetzt wird Sicherheit aus dem Gefühl, dass die Probe ein voller Erfolg ist. Beim letzten Jahrgang kann nicht mehr viel schiefgehen.


Der vollständige Beitrag ist zu finden unter http://www.dasweinforum.de/viewtopic.php?f=29&t=2216&start=60#p92496
Offline
Benutzeravatar

UlliB

  • Beiträge: 4538
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 19:27

Re: Bordeaux 1990

BeitragSa 16. Apr 2016, 09:52

Kürzlich eine ganze Reihe 90er im Glas:

Leoville Barton: gereifte Farbe (Granatrot), aber die im Vorgängerbeitrag erwähnten Brauntöne habe ich nicht gesehen. Reif, für Barton sehr elegant, heller Tabak, rote Frucht, geschmeidig. Beeindruckende Länge. Vermutlich auf dem Punkt, zumindest aus Normalflaschen wie dieser dürfte sich ein weiteres Warten kaum lohnen. Wirklich sehr schön.

Ducru Beaucaillou: 1990 war der letzte Jahrgang auf Ducru, in dem die Weine durch das Holzschutzmittel-Problem im Keller beeinträchtigt wurden, und das Verkosten der Weine aus diesen Jahren ist ein Glücksspiel - es gibt gute Flaschen und wirklich üble. Diese hier hatte leider einen Streifschuss, zwar feine Frucht, aber auch ein muffiger Ton, ganz besonders im Abgang. Im Grunde vermutlich ein feinfruchtiger, eher leichter als wuchtiger Vertreter und insofern ein typischer Ducru; macht aber so nicht wirklich Spaß, obwohl er trotz Beeinträchtigung trinkbar war.

Cos d'Estournel: Nach meiner Erinnerung war 1990 bei Cos der erste "moderne" Jahrgang nach den großen Klassikern der 80er, und das bestätigt sich hier. Dunkler als beide Vorgänger, weich, üppig bis regelrecht opulent, sehr dicht, samtig, schöne Länge. Noch mit Reserven. Schöner Cos in der üppigen Stilistik, die man seitdem als Grundlinie bei diesem Erzeuger beibehalten hat.

Pichon Baron: Der Star des Abends, ein echter Bordeaux-Klassiker und ein wirklich großer Wein. Völlig anders gestrickt als der mollige Cos: kühl, straff und klar, transparent und gewissermaßen von innen beleuchtet, aber mit hoher Dichte, feiner Säurenerv gibt Spannung, viel Struktur, langer Abgang. Hat noch Reserven und dürfte ein paar Jahre weiter zulegen. Großartig und einer der besten PB, die ich bislang im Glas hatte.

Dann noch zwei aus St. Emilion:

Belair: die einzige Flasche mit einem nicht perfekten Füllstand - während alle anderen Weine noch into neck waren, war dieser very top shoulder, was nach 25 Jahren aber auch noch ok ist. Der Korken ziemlich durchweicht und roch auch nicht gut, aber der Wein war nicht beeinträchtigt. Etwas gemischter Eindruck, in der Nase und im Gaumen weich und geschmeidig, aber im Abgang etwas ruppig, immer noch deutliches Tannin. Nicht wirklich harmonisch, dürfte in absehbarer Zeit auseinanderfallen.

Troplong Mondot: der dunkelste Wein der Probe. Ganz enormer Wumms sowohl in der Nase als auch im Gaumen, wirkt einerseits deutlich jünger, als er ist, da sind sogar noch ein paar primärfruchtig wirkende Elemente, andererseits aber auch eindeutige Noten von Überreife und zarter Oxidation, das Ganze wirkt wie ein trockener Portwein oder am ehesten noch wie ein Amarone. Eine in ihrer Machart absolut beeindruckende Wuchtbrumme, die ich blind vermutlich nie im Bordelais verortet hätte. Gut - ja, typisch - nein.

Alles in allem war das eine sehr erfreuliche Verkostung. Nachdem ich mir eine zeitlang wegen der rasanten Entwicklung der 90er einige Sorgen um deren Haltbarkeit gemacht habe, zeigt sich hier, dass diese Sorgen wohl eher unbegründet waren. Jetzt mit großem Genuss zu trinken, aber der eine oder andere Wein hat auch noch Reserven.

Gruß
Ulli


PS. Mit Ausnahme des Belair, der von einem Händler zugekauft wurde und dessen Korken nicht ok war, hatten die Weine allesamt seit der Arrivage in mehreren normalen Neubaukellern gelegen, und nicht in irgendwelchen Weinklimaschränken. Der Zustand der Korken und die Füllstände waren durchweg erstklassig, und kein Wein war unbotmäßig gereift oder gar überaltert, was wieder einmal zeigt, dass die Anschaffung von Klimaschränken auch für eine langfristige Lagerung zumindest bei Bordeaux nicht nötig ist, sofern man die Weine nicht im Wohnzimmer lagern muss, weil man gar keinen Keller hat.
Offline
Benutzeravatar

octopussy

  • Beiträge: 4405
  • Bilder: 135
  • Registriert: Do 23. Dez 2010, 11:23
  • Wohnort: Hamburg
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Bordeaux 1990

BeitragSo 17. Apr 2016, 07:58

Hallo Ulli,

schöne Notizen. Die einzigen beiden Weine aus der Reihe, die ich bislang getrunken habe, sind der 1990 Pichon Baron und der 1990 Troplong Mondot. Der Troplong Mondot geht wirklich in Richtung Portwein mit seinen Trockenfruchtnoten. Ich fand ihn trotzdem umwerfend gut. Aber der Pichon Baron hat natürlich eine ganz andere Klasse (ich hab seinerzeit isoliert voneinander beide Weine genau gleich bewertet mit Punkten, was aber m.E. nicht ganz passt), mir hat der auch ganz ausgezeichnet gefallen. Super klassisch und - wie du sagst - mit viel Spannung. Ich hab seitdem immer auf Auktionen Ausschau gehalten und auch ein paar mal geboten. Nie erfolgreich. Es gibt eine Menge Leute, die wissen, dass der gut ist.
Beste Grüße, Stephan
Offline
Benutzeravatar

UlliB

  • Beiträge: 4538
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 19:27

Re: Bordeaux 1990

BeitragDi 19. Apr 2016, 13:16

octopussy hat geschrieben: Die einzigen beiden Weine aus der Reihe, die ich bislang getrunken habe, sind der 1990 Pichon Baron und der 1990 Troplong Mondot. [...] ich hab seinerzeit isoliert voneinander beide Weine genau gleich bewertet mit Punkten, was aber m.E. nicht ganz passt.[...]

Ach, da bist Du in bester Gesellschaft. Neil Martin sieht in seinen letzten Notizen beide Weine punktemäßig gleichauf (95), und Parker sah den Troplong mit 98 PP sogar einen kleinen Ticken besser als den Pichon (97 PP).

Ich sehe ja auch durchaus, warum der Troplong so hoch bewertet wird - das ist schon ein faszinierender Wein, der es schafft, trotz enormer Konzentration und der Verwendung eindeutig überreifen Leseguts eben nicht in Fettsucht oder Trägheit zu verfallen, sondern bei hoher Komplexität enorm hedonistisch und auch "trinkig" bleibt. Nur mit der Herkunftstypizität hapert es hier aus meiner Sicht ganz erheblich.

Womit wir bei der alten Frage angekommen sind, inwieweit Herkunftstypizität bei der Bewertung von Weinen Eingang finden soll oder nicht - und selbst, wenn man diese Frage grundsätzlich bejaht, wo denn die Herkunftstypizität nun anfängt und wo sie aufhört. Ich kenne keine allgemein akzeptierte Antwort hierauf, und es wird sie wohl auch nie geben.

Nur aus Interesse: mit welchem Preis wird denn der 90er Pichon Baron aktuell auf Auktionen zugeschlagen?

Gruß
Ulli
Offline
Benutzeravatar

dylan

  • Beiträge: 777
  • Registriert: Mo 22. Nov 2010, 16:04
  • Wohnort: NRW

Re: Bordeaux 1990

BeitragDi 19. Apr 2016, 18:03

UlliB hat geschrieben:
Nur aus Interesse: mit welchem Preis wird denn der 90er Pichon Baron aktuell auf Auktionen zugeschlagen?

Gruß
Ulli


Hallo Ulli,

ein Händler bietet ihn aktuell zu 199 Euro/Fl. in der 12er OHK an. Bei Interesse kann ich dir gerne weiterhelfen. :)

Grüße

dylan
Offline
Benutzeravatar

octopussy

  • Beiträge: 4405
  • Bilder: 135
  • Registriert: Do 23. Dez 2010, 11:23
  • Wohnort: Hamburg
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Bordeaux 1990

BeitragDi 19. Apr 2016, 18:36

dylan hat geschrieben:ein Händler bietet ihn aktuell zu 199 Euro/Fl. in der 12er OHK an. Bei Interesse kann ich dir gerne weiterhelfen. :)

180-200 Euro (inkl. Käuferprovision) ist auch in etwa das, wofür der Wein in den letzten 24 Monaten auf Auktionen weggegangen ist, soweit ich das erinnern kann. Von den Geboten waren meine meilenweit entfernt. Naja, man kann es ja mal probieren.
Beste Grüße, Stephan
Offline
Benutzeravatar

UlliB

  • Beiträge: 4538
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 19:27

Re: Bordeaux 1990

BeitragDi 19. Apr 2016, 19:11

Hallo Dylan,

danke für das Angebot, aber die Frage war wirklich nur aus Interesse gestellt. Ich habe noch drei Flaschen im Keller, seinerzeit für 44,30 DM pro Stück inklusive 14% MWSt. gesubst. Tja, damals.... als sich Subskriptionen noch gerechnet haben... und das schnell... ;)

Gruß
Ulli
Offline
Benutzeravatar

dylan

  • Beiträge: 777
  • Registriert: Mo 22. Nov 2010, 16:04
  • Wohnort: NRW

Re: Bordeaux 1990

BeitragDi 19. Apr 2016, 19:52

Tja, tempora mutantur. Meine Bestände der Jahrgänge 82 - 90 neigen sich langsam dem Ende zu. Nachkaufgelegenheiten kommen immer seltener, aber glücklicherweise sind einige Jahrgänge aus den 90ern ja auch nicht von schlechten Eltern. Verdursten werde ich nicht müssen.
Offline
Benutzeravatar

vanvelsen

  • Beiträge: 969
  • Bilder: 6
  • Registriert: Mi 3. Nov 2010, 11:22
  • Wohnort: Windisch
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Bordeaux 1990

BeitragSo 24. Apr 2016, 16:45

Gestern Abend im Rahmen einer kleinen aber feinen Weinrunde unter anderen Ch. Léoville Barton 1990 verkostet. Der Wein war WOTN und hat auf der ganzen Linie überzeugt.

Notizen gibt es hier.
http://www.vvwine.ch/2016/04/gereifte-b ... gisch.html #vvWine

Lieber Gruss,

Adrian
VorherigeNächste

Zurück zu Bordeaux und Umgebung

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: SemrushBot, weingollum33 und 36 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen