Bordeaux 2015

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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UlliB
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Re: Bordeaux 2015

Beitrag von UlliB »

pessac-léognan hat geschrieben: Unlängst hat Jancis Robinson den aus der Flasche verkosteten Meyney 2015 glatte 2.5 Punkte höher bewertet als en primeur. Mit für JR fast unglaublichen 18.5 Punkten! Und sie gibt zu, dass sie ihn, blind verkostet, zunächst für einen Montrose gehalten hat. Wenn es nicht wahr wäre, könnte man es für eine wahnsinnig gute Anekdote halten, in der alles steckt, was man im Positiven wie im Negativen für Bordeaux-typisch hält. Die Anekdote relativiert so gut wie alles, eben auch die Rede von der Typizität eines Terroirs, vielleicht sogar der eines Weines!
Ach ja? War es denn überhaupt Jancis selbst, die den Wein sowohl en primeur als auch aktuell verkostet hat, oder einer ihrer diversen Verkostungssklaven? Vielleicht Julia Harding, der man wohl alles als Bordeaux vorsetzen kann, wenn es nur auf dem Etikett steht, und die ziemlich regelmäßig geradezu groteske Fehleinschätzungen abgibt?

Auch wenn es JR persönlich war, überraschen mich derartige Inkonsistenzen überhaupt nicht. Völlige Inkonsistenz in der Bewertung ist gewissermaßen ihr Markenzeichen. Darauf geben kann man gar nichts.

Ansonsten: ja, Pontet Canet ist für Pauillac atypisch. Völlig. Und viel mehr, als z.B. ein Leo Barton für St. Julien atypisch ist (was er aus meiner Sicht nicht so sehr ist). Und was einem Typizität wert ist, ist eine rein philosophische Frage,

Gruß
Ulli
amateur des vins
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Re: Bordeaux 2015

Beitrag von amateur des vins »

Schöne Anekdote von JR! Allerdings ist es nicht neu, daß eigentlich auch alle Experten eine große Streuung in ihren Bewertungen haben, sobald man sie im unklaren läßt, was sie gerade im Glas haben.

Komplexität ist für mich mit Qualität korreliert, aber sicher bei weitem nicht mit dem Koeffizienten 1. Ich persönlich achte sehr auf Balance/Harmonie/Ausgewogenheit ohne Abwesenheit von Spannung und Vielfalt. Ein hochkomplexer Wein kann völlig aus dem Gleichgewicht sein; dann würde er mir recht wahrscheinlich keine Freude bereiten. Im Gegensatz dazu kommt es vor, daß einfachere Weine so stimmig sind, daß sie einfach nur Spaß machen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, daß Erwartungen eigentlich nur zu Enttäuschungen führen können. Natürlich habe ich auch welche. Aber ich arbeite daran, mich davon frei zu machen. Insofern ist Typizität kein besonders wichtiges Kriterium für mich, wenngleich meine Kaufentscheidungen sicher von meinen Erwartungen beeinflußt werden.

Gut, daß das jeder für sich selbst einsortieren kann und muß. :ugeek:
Besten Gruß, Karsten
pessac-léognan
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Re: Bordeaux 2015

Beitrag von pessac-léognan »

UlliB hat geschrieben:
pessac-léognan hat geschrieben: Unlängst hat Jancis Robinson den aus der Flasche verkosteten Meyney 2015 glatte 2.5 Punkte höher bewertet als en primeur. Mit für JR fast unglaublichen 18.5 Punkten! Und sie gibt zu, dass sie ihn, blind verkostet, zunächst für einen Montrose gehalten hat. Wenn es nicht wahr wäre, könnte man es für eine wahnsinnig gute Anekdote halten, in der alles steckt, was man im Positiven wie im Negativen für Bordeaux-typisch hält. Die Anekdote relativiert so gut wie alles, eben auch die Rede von der Typizität eines Terroirs, vielleicht sogar der eines Weines!

Ansonsten: ja, Pontet Canet ist für Pauillac atypisch. Völlig. Und viel mehr, als z.B. ein Leo Barton für St. Julien atypisch ist (was er aus meiner Sicht nicht so sehr ist). Und was einem Typizität wert ist, ist eine rein philosophische Frage,

Gruß
Ulli
Hallo Ulli

Ich habe den Leo Barton in keiner Weise als atypisch für einen Saint-Julien bezeichnet. Das läge mir fern. Ich habe nur die (strenge) Typizität des Leo Barton höher gewichtet als seine Zugehörigkeit zur Appellation Saint-Julien. Dass er bei aller Eigenart typischer für Saint-Julien ist als beispielsweise Leo Poyferré, ist absolut unbestritten, aber für mich verglichen mit der Komplexität eines Weines, die wichtiger ist als die Typizität der Appellation, relativ sekundär. Nur das wollte ich sagen.

Gruß

Jean
Ollie
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Re: Bordeaux 2015

Beitrag von Ollie »

Another St-Estèphe taken for a very much grander one – not for the first time in the Southwold blind tastings – was Ch Meyney, part of the portfolio of wine properties owned by the bank Crédit Agricole and clearly very well run. Owner of Farr Vintners Stephen Browett reported that Justerinis were selling this wine for under £200 a case in bond just after many tasters had mistaken it for the much grander Ch Montrose 2015 (well over £1,000 a case in bond).
(Quelle, Hervorhebung von mir.)

Jancis' VKN (und die anderer Verkoster) zur Arrivage wie immer bei Farr's (die immerhin auch hochgestuft haben, wenn auch zu einem deutlich normaleren Level): Meyney 2015.

Cheers,
Ollie
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UlliB
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Re: Bordeaux 2015

Beitrag von UlliB »

pessac-léognan hat geschrieben: Ich habe den Leo Barton in keiner Weise als atypisch für einen Saint-Julien bezeichnet. Das läge mir fern. Ich habe nur die (strenge) Typizität des Leo Barton höher gewichtet als seine Zugehörigkeit zur Appellation Saint-Julien. Dass er bei aller Eigenart typischer für Saint-Julien ist als beispielsweise Leo Poyferré, ist absolut unbestritten, aber für mich verglichen mit der Komplexität eines Weines, die wichtiger ist als die Typizität der Appellation, relativ sekundär.
Vermutlich würde man auch einen Leo Poyferré in einer Blindverkostung immer noch nach Bordeaux verorten, wahrscheinlich auch auf das linke Ufer. Ob nun nach St. Julien, ist schon eine andere Frage. Das Gedöns mit der Differenzierung der linksufrigen AOCs glaube ich eh nicht so ganz. Wenn man mal mit extrem erfahrenen Verkostern unterwegs ist, erkennen die im Regelfall zunächst einmal direkt den Erzeuger (so viele sind es ja pro AOC nun nicht mehr) und schließen von dort indirekt auf die AOC zurück. Insofern dominiert die "Typizität des Erzeugers" wohl tatsächlich die Herkunft.

Mit Pontet Canet ist das allerdings eine andere Geschichte. Ich hatte hier beginnend mit 2003 schon jeden Jahrgang bis 2015 im Glas, und zumindest seit 2009 wäre ich überhaupt nicht sicher, den Wein in einer Blindverkostung auch nur nach Bordeaux verorten zu können. Der könnte auch von irgendwo sonst herkommen... allerdings in (abstrakter) grandioser Qualität... ob man das nun gut findet oder nicht, ist eben die Frage.

Gruß
Ulli


@ Ollie: und, wer war's nun? Jancis selber oder eine(r) ihrer Angestellten? Jedesmal die / der selbe?
pessac-léognan
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Re: Bordeaux 2015

Beitrag von pessac-léognan »

UlliB hat geschrieben:
pessac-léognan hat geschrieben: Ich habe den Leo Barton in keiner Weise als atypisch für einen Saint-Julien bezeichnet. Das läge mir fern. Ich habe nur die (strenge) Typizität des Leo Barton höher gewichtet als seine Zugehörigkeit zur Appellation Saint-Julien. Dass er bei aller Eigenart typischer für Saint-Julien ist als beispielsweise Leo Poyferré, ist absolut unbestritten, aber für mich verglichen mit der Komplexität eines Weines, die wichtiger ist als die Typizität der Appellation, relativ sekundär.
Vermutlich würde man auch einen Leo Poyferré in einer Blindverkostung immer noch nach Bordeaux verorten, wahrscheinlich auch auf das linke Ufer. Ob nun nach St. Julien, ist schon eine andere Frage. Das Gedöns mit der Differenzierung der linksufrigen AOCs glaube ich eh nicht so ganz. Wenn man mal mit extrem erfahrenen Verkostern unterwegs ist, erkennen die im Regelfall zunächst einmal direkt den Erzeuger (so viele sind es ja pro AOC nun nicht mehr) und schließen von dort indirekt auf die AOC zurück. Insofern dominiert die "Typizität des Erzeugers" wohl tatsächlich die Herkunft.

Mit Pontet Canet ist das allerdings eine andere Geschichte. Ich hatte hier beginnend mit 2003 schon jeden Jahrgang bis 2015 im Glas, und zumindest seit 2009 wäre ich überhaupt nicht sicher, den Wein in einer Blindverkostung auch nur nach Bordeaux verorten zu können. Der könnte auch von irgendwo sonst herkommen... allerdings in (abstrakter) grandioser Qualität... ob man das nun gut findet oder nicht, ist eben die Frage.

Gruß
Ulli
Ja, lieber Ulli, bezüglich Pontet Canet gebe ich dir recht. Das ist tatsächlich eine Art Weltwein geworden. Immerhin ein meist verdammt guter! Den 2003er, der wohl das Klima des 21. Jahrhunderts vorwegnimmt, habe ich einmal mit einem (immer noch mit Genuss zu trinkenden) großen Amarone verglichen, nur mit erstaunlich wenig Alkohol von 13°.
Gruß
Jean
Ollie
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Re: Bordeaux 2015

Beitrag von Ollie »

Ulli, da Farr normalerweise Julia Harding als solche ausweist, denke ich, es war beide Male JR herself. Witzigerweise hatte sie ein Jahr zuvor (Mai 2018) dem Montrose 18 Punkte gegeben. In der Verkostung im Februar 2019 hatte sie offenbar Montrose nicht erkannt (sie gab ihm schlappe 17.5), da war also die Erwartungshaltung wohl "Wo bleibt er denn, wo bleibt er denn - ah, da isser ja, und aufgebaut hat er auch noch, ooooh". Was ich verkostungspsychologisch sehr witzig finde.

Cheers,
Ollie
Zuletzt geändert von Ollie am So 3. Mär 2019, 20:16, insgesamt 1-mal geändert.
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pessac-léognan
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Re: Bordeaux 2015

Beitrag von pessac-léognan »

JR zu Ehren könnte ein neuer Saint-Estèphe "MonMeyney" genannt werden... ;)
Wo bleibt er denn, mein Montrose?
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innauen
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Re: Bordeaux 2015

Beitrag von innauen »

Hallo,

nach meiner unmaßgeblichen Erfahrung gibt es Typizität und erschmecken kann man sie auch; es setzt halt nur eine sehr, sehr umfangreiche Trinkhistorie voraus. Und wer hat die bei den derzeitigen Bordeauxpreisen noch? Mir berichten Händler, dass ihnen Bordeaux als fehlerhaft zurückgesandt werden, weil Kunden mal einen gereiften Bordeaux trinken wollten, aber mangels Erfahrung diesen Geschmack als unvertraut und damit fehlerhaft empfanden. Und auch unter uns - Hand auf´s Herz - macht nicht jeder alle halbe Jahre einen Pontet Canet auf und vergleicht ihn mit einem Paulliac auf Augenhöhe. Und das am besten blind. 8-)

Außerdem möchte ich zwei Einschränkungen zum Thema Typizität machen. Sofern es sich nicht wie bei Clos Marquis um einen geschlossenen Weinberg handelt, gibt es Typizität in Bordeaux nur bezogen auf die Appellation. Die Weinberge vieler Chateau gleichen einem Flickenteppich, dem immer wieder neue Flächen hinzugefügt werden, während andere zB auf Grund auslaufender Pacht entfallen. Und wir sprechen hier über Weine im Jungstadium, die in dem warmen Jahr mit ungeheurer Fruchtexpression protzen noch nicht viel von ihrer Herkunft preisgeben - außer den Angaben auf dem Etikett.

Grüße,

wolf
„Es war viel mehr.“

Johnny Depp dementiert, 30.000 Dollar im Monat für Alkohol ausgegeben zu haben. (Quelle: „B.Z.“)
duhart09
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Re: Bordeaux 2015

Beitrag von duhart09 »

Also, dass Pontet Canet generell untypisch sei für Bordeaux, kann ich nicht nachvollziehen. Für die neueren Jahrgänge möglicherweise ja, für 2010 und 2014 definitiv (beides phantastische bzw. sehr gute Weine). Aber zumindest nicht für 2000, 2003, 2005, 2006 und den tollen 2009er. 2015 zur Arrivage fand ich sehr seltsam, nur einmal verkostet, da aber weniger überzeugt als vom 2014er. Bin gespannt auf 2016! Und, obwohl ich bei Roweinen quasi monokulturell nur in Bordeauxweinen unterwegs bin: selbst wenn 2010 und 2014 "globalisierte" Weine sind/nicht typisch für Bordeaux, so haben sie mir doch beide sehr gefallen (selten hat mich ein Wein bisher mehr faszinieren können als der junge 2010er)!

Was JR mit ihren volatilen Bewertungen und für mich wenig Orientierung bietenden Beschreibungen angeht: auch, wenn beim Southwold-Tasting wohl mehrere Kritiker den Meyney mochten oder gar für Montrose hielten: solch ein Hype von einer Verkostung ausgehend stimmt mich etwas skeptisch, Cellartracker bestätigt das bspw. nicht. Andererseits hat Rene Gabriel (bei dem Meyney wiederum auch regelmäßig ziemlich gut abschneidet) den Wein ja auch en primeur in höchsten Tönen gelobt. Spannend, hat den schon jemand hier verkostet?

Gruß
Uli
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