Hallo,
ich habe diesen alten Faden mal wieder rausgekramt, ich war auf der Suche, ob im Forum schon über
micro-oxygenation diskutiert wurde.
Zuletzt habe ich ein paar Bordeaux aus 2017 getrunken, auffällig fand ich die sehr intensive, kräftige Farbe der Weine. Entgegen meiner Erwartung entsprechend des Witterungsverlaufs von 2017, waren die Weine nur wenig adstringent. Meiner Meinung nach, sind das Indizien, dass bei der Weinbereitung micro-oxygenation eingesetzt wurde.
Ein erstes Patent wurde in 1995 veröffentlicht, [1] im Anschluss fand die Technink mehr und mehr Eingang in die Rotweinbereitung. Stéphane Dérénoncourt gilt z.B. als Verfechter. Typischerweise wird die Micro-Oxygenation vor der malolaktischen Gärung durchgeführt und führt (unter anderem) zu folgenden Resultaten:
– Kräftige, erhöhte Farbintensität (die Menge der nicht sauerstoffbleichbaren Farbstoffe wird erhöht)
- Erhöhte Farbstabilität.
– Weicheres Mundgefühl, Reduzierung der Adstringenz und Bitterkeit von Tanninen.
– Reduzierung von reduktiven Aromen (pflanzliche, mineralische, kräuterartige, schwefelartige, Gummi,...)
Die Weine sind -besonders jung- kräftig in der Farbe, weich und frisch mit fruchtigen Aromen. Ich finde, auf die Bordeaux aus 2017, die ich getrunken habe, trifft das zu. Es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen Publikationen auf dem Gebiet, ich habe mal ein paar Übersichtsartikel herausgesucht, die ersten beiden sind auch frei zugänglich.[2, 3, 4, 5] Untersucht ist auch, dass erfahrene Verkoster micro-oxygenation erschmecken können.
In Zusammenhang mit dem Jahrgang 2017 sind ja auch Händlerbeschreibungen zitiert worden:
TOM hat geschrieben:Zum Schmunzeln zitiere ich dann mal aus dem Schreiben zur 2017er Arrivage von HAWESKO:
"Das Jahr 2017 gilt im Bordeaux im Kontext superreifer, körperreicher Ausnahme-Jahrgänge wie 2015 als klassisch, weil es kühler und feuchter war. Das Ergebnis dieser Bedingungen sind Bordeauxweine, die an die großen Jahrgänge der 1980er Jahre erinnern: mittlerer Körper, eine schöne Frische, viel ansprechende Frucht und feine Tannine. Sie sind elegant, wohlschmeckend, balanciert und früher trinkreif als ihre tanninbewehrten Pendants aus den Vorjahren."
Na dann greift zu
Abgesehen davon, dass ich eine Unterschlagung des Spätfrosts irreführend finde, habe ich angefangen, darüber nachzudenken. Ich meine, der Analogieschluss zu den 1980er Jahren ist falsch. Die meisten Weine werden heute technisch grundlegend anders bereitet. In dem Zusammenhang ist wohl die Aussage, die immer wieder fällt,
dass es keine schwachen Jahrgänge mehr gibt, auch zu erwähnen. Ich bin mir da noch nicht sicher, ja, Fehler und Herausforderungen aus den Jahren vor ~2000 können gelöst werden bzw. werden nicht mehr gemacht. Aber werden deshalb heute keine Fehler mehr gemacht? Vielleicht weniger, aber dafür neue, andere Fehler.
Ich habe in der Fachliteratur nach Studien gesucht, die die längere Alterung von micro-oxygenierten Weinen untersucht. Ich habe leider keine gefunden, nur ein Beispiel mit 6 Monaten Lagerung, aber das ist nicht, was ich gesucht habe.[6]
Selber hatte ich zuletzt die Erfahrung bei einem korsischen Wein aus 2004
[Link], der noch eine sehr kräftige Farbe hatte und keine Alterungstöne zeigte, aber aromatisch schon lange zusammen gefallen war, nur noch alt und tot. Jüngere Weine des Weinguts schmecken für mich nach micro-oxygenation.
Deshalb wollte ich mal in die Runde fragen, wie sind eure Erfahrungen, knapp 11 Jahre nach der ersten Diskussion in diesem Faden? Habt ihr Weine aus den Jahren >2000 gehabt, die in ihrer Jugend durch sanfte Gerbstoffe und kräftige Farbe aufgefallen sind und später aromatisch schnell alt oder reif waren (bei junger Farbe)? Oder ist euch sonst etwas aufgefallen, dass der Alterungsverlauf von Weinen vor 1995 anders ist, als von Weinen danach? Oder denkt ihr, Micro-Oxygenation ist eine Weintechnik, die nur positive Effekte hat?
Freue mich auf eure Rückmeldungen.
Grüße, Josef
[1] Ducournau, P., & Laplace, F. (1995). Process for metering and injecting gas for a vinification tank and plant for this purpose. Patent FR2709983, France
[2] A review of microoxygenation application in wine, R. E. Anli, Ö. A. Cavuldak,
[Link]
[3] Micro-Oxygenation of Red Wine: Techniques, Applications, and Outcomes, L. M. Schmidtke, A. C. Clark, G. R. Scollary,
[Link]
[4] Effect of wine micro-oxygenation treatment and storage period on colour-related phenolics, volatile composition and sensory characteristics, M.J.Cejudo-Bastantea, M.S.Pérez-CoelloaI, I. Hermosín-Gutiérrez,
[Link]
[5] A review on micro-oxygenation of red wines: Claims, benefits and the underlying chemistry, E.Gómez-Plaza, M.Cano-López,
[Link]
[6] Changes in the volatile composition of red wines during aging in oak barrels due to microoxygenation treatment applied before malolactic fermentation, M. O. Heras, M. D. Rivero-Pérez, S. Pérez-Magariño, C. González-Huerta, M. L. González-Sanjosé,
[Link]