gestern Abend hat Weinfreund D. zu einer wirklich denkwürdigen Bordeaux-Probe beladen, in der wir hauptsächlich 1990er und auch einige 1989er (werden im entsprechenden Thread beschrieben) Bordeaux auf dem Tisch stehen hatten. Dies war Teil 2 einer größeren Probe. Bei Teil 1 hatte ich leider keine Zeit, was sehr schade war. Denn ich habe mir berichten lassen, dass die 1989er und 1990er Montrose, La Dame de Montrose, Léoville Las Cases, Clos du Marquis und Lagrange extrem gut gewesen sein sollen. Dieses Mal standen die beiden Ps des Bordelais auf dem Programm: Pauillac und Pomerol.
Alle Weine wurden morgens geöffnet, probiert und dann erst einmal nicht dekantiert, da sie offenbar morgens durchaus angereift wirkten. So wurden die Weine dann erst ca. 1/2 Stunde vor dem Servieren dekantiert. Zu viel Luft hatte jedenfalls keiner der Weine abbekommen. Zwei der 1989er (Mouton und Gazin) hätten evtl. noch ein bisschen mehr Luft vertragen können, sie wirkten doch etwas verschlossen.
So oft kriege ich (leider) nicht Bordeaux dieses Kalibers ins Glas, da gilt es, die raren Momente besonders zu genießen. Eigentlich alle Weine waren in Höchstform, stilistisch durchaus unterschiedlich, im gemeinsamen Nenner aber ganz überwiegend sehr elegant, bei aller Kraft und Intensität eher schlank und einfach klassische Trink- und Tischweine, keine Verkostungsblender.
Wir starteten mit 1990 Château Pontet Canet. Auch wenn Pontet Canet heute als einer der Überflieger aus Pauillac gilt, war der Ruf in den 80ern und 90ern nicht der Beste. Und so war der 1990er ein ausgezeichneter Wein, aber kein Ausbund an Feinheit. Die anderen in der Runde sahen den Wein übrigens ganz überwiegend besser als ich.

Danach kamen die ersten Ahhs und Ohhs. 1990 Les Forts de Latour ist ein ganz hervorragender Wein, Typ 10.000 m Läufer, sehr schlank, sehnig, gradlinig und muskulös. Und vor allem unglaublich mineralisch. Sehr, sehr toll.

Fast der Wein des Abends kam an dritter Stelle, nämlich 1990 Château Pichon-Longueville Baron. Der Wein ist einfach komplett. Klar, die qualitativen Unterschiede zu einem Wein wie dem Les Forts de Latour sind nicht riesig groß, aber das bisschen mehr an Finesse, Komplexität und Intensität macht sich aus meiner Sicht abseits aller persönlicher Präferenzen schon bemerkbar. Ein wirklich schönes Bordeaux-Erlebnis.

Selber mitgebracht hatte ich 1990 Château Mouton-Rothschild, den man angesichts seiner 84 (:shock:) Parker Punkte durchaus zum passablen Preis auf Auktionen schießen kann. Auch wenn der Wein bei weitem nicht mit dem Niveau des Pichon-Barons mithalten kann, hat er eigentlich allen am Tisch, einschließlich meiner selbst, sehr gut gefallen. Aufgefallen ist uns eine große Charakterstärke, die sich hier vor allem durch eine gewisse orientalische Würze und eine eher rotbeerige als schwarzbeerige Frucht zeigte. Der danach servierte 1989er Mouton Rothschild war im Vergleich zum 90er übrigens sehr viel verschlossener und jünger wirkend. Allzu lange sollte man also evtl. mit dem Genuss des 90er Moutons nicht warten.

Sodann ging es mit den Pomerols weiter, zunächst einem 1989 Château La Croix, der im Vergleich zu den anderen Weinen stark abfiel, für sich getrunken aber im Zweifel schon überzeugt hätte und dann 1989 Château Gazin, gefolgt von 1990 Château Gazin. Hier sangen die Engel, der Wein wurde mit der Zeit immer besser und ist einfach wunderbar komplett, delikat und fein. Eine Suche wert.

Den Wein des Abends hatten wir aber für das Ende aufbewahrt: 1990 Château Clinet. Dieser Wein toppte wirklich alles, was wir vorher getrunken hatten. Schon die Nase kündigt Großes an, nimmt man ihn aber in den Mund ist da eine Komplexität, die zunächst gar nicht zu fassen ist. Erst im langen Abgang und Schluck für Schluck ergibt sich ein Gesamtbild. Und was für eins: eine größere Harmonie bei gleichzeitiger Komplexität hatte ich in der Form erst ganz selten im Glas.

Zum Schluss hatten wir dann zum Erfrischen noch einen ganz ausgezeichneten 2001er Singerriedel Smaragd Riesling von Hirtzberger und mussten leider den Abend irgendwann auch beschließen. Jedenfalls hat dir Probe noch einmal gezeigt, dass jeder einen Fehler macht, der Bordeaux jetzt pauschal beiseite schiebt, weil die Preise zwischenzeitlich völlig absurd durch die Decke schossen. Gerade die Gleichung Burgunder für Finessentrinker, Bordeaux für konservative Langeweiler ist aus meiner Sicht völlig falsch. Ein guter Burgunder ist zwar an Finesse kaum zu überbieten, ein guter gereifter Bordeaux aber ebensowenig, nur eben auf andere Art und Weise.