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Heute im Glas ..... der Grenzwein

eingeschenkt von: susa – Plaudereien über Gott und die Welt und auch über Wein
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susa

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Heute im Glas ..... der Grenzwein

BeitragDi 31. Mai 2011, 08:03

Ein netter Kollege, Ire seines Zeichens, pflegte mal zu sagen, dass wenn Deutsche sich einer Sache näherten, dann würden sie erst mal ein Buch dazu lesen, erst dann würden sie sich mit der Sache selber befassen. Er nannte das den "German Approach" und vielleicht ist es in diesem Zusammenhang interessant zu erwähnen, dass er den Ausspruch zu Vor-Internet-Zeiten gemacht hat. Heute schaut jeder wohl erst mal zu Google und/oder Wikipedia. Aber es scheint wohl auch ein Zeichen von "German Gründlichkeit" zu sein, dass man die Sache, die einem am Herzen liegt, nicht nur mit diesem sondern auch mit dem Verstand erschöpfend und umfassend kennenlernen möchte.

Diesem Umstand verdanken unzählige Bücher ihre Existenz, sachliche und sauber recherchierte, literarisch anspruchsvolle, launig-humoristische und einfach nur doofe. Und wenn Nichtweinkenner Weinkennern etwas schenken wollen und sich nicht auf das Glatteis des Weinkaufes begeben wollen, dann schenken sie eben ein Buch; ein Buch über Wein. Was immer noch besser ist als Korkenzieher mit poliertem Rebwurzelholzgriff, Kellerschürzen (was immer das sein mag) mit krampfhaft lustigen Sprüchen, oder einen Satz Gläser, die zu gar nix passen, schon gar nicht zu Wein.

So hat wohl jeder von uns inzwischen frei- und unfreiwillig eine ziemliche Bibliothek über Wein angesammelt, neben den unabdingbaren Nachschlagewerken und Verkostungsschwarten der Kritiker uV noch ein paar Grundsatzwerke und Weinlexika. Wie sonst sollten wir wohl den Geheimnissen der Unterscheidung von Sacchariden, Saccharomyces und Saccharose auf die Spur kommen, ohne die ein ordnungsgemäßer Weingenuss schier unmöglich scheint.

Und neben den wichtigen und schwierigen Sachen werden zunehmend auch die humorvollen manchmal nur regional bekannten Weinbegriffe erklärt, zB was ein Fluchtviertel ist (nämlich der letzte Schoppen, den der Trinker in der Kneipe bestellen kann – etwa so wie die "last order" im englischen Pub), oder der Reparaturwein (der die vom vielen Verproben gestresste Zunge beruhigt und neutralisiert, damit sie sich dem nächsten -> Flight widmen kann), sogar das Reparaturbier ist zu finden oder der Gänsewein (hierzu hörte ich von einer französischen Dame mal den Begriff Clairet de Jonzac ;)). Nett fand ich auch den Hacklschleifer, ein Begriff aus dem Österreichischen, der einen so sauren Wein bezeichnet, dass es einem die Hacken abschleift, bei uns würde man wohl sagen, die Löcher in den Socken zusammenzieht, und den Wein vielleicht Sockenstopfer nennen wollen.

Einen Begriff aber vermisse ich, dabei haben wir diesen Wein wahrscheinlich alle schon mal im Glas gehabt, den Grenzwein.

Stellt Euch also vor: Es ist Urlaub, die Sonne scheint, man sitzt in einer Kneipe oder einer kleinen Probierstube, die Seele baumelt, um einen herum wunderschöne Natur und auf dem Tisch zu einer köstlichen landestypischen Mahlzeit wird einem der dazu gehörende lokale Wein mit entsprechendem Stolz präsentiert. Alles ist perfekt – auch der Wein, er schmeckt genau wie der Urlaub hell und schön und strahlend und klar. Und natürlich möchte man dieses Erlebnis nach Hause in den Alltag retten und erwirbt eine Kiste dieses köstlichen Getränks.

Und dann, sobald der Wein die Grenze seiner Heimat überschritten hat und Einzug in unseren Keller gehalten hat, dann ist es vorbei mit Wohlgeschmack und Genussfreude, der Wein schmeckt entweder langweilig oder übertrieben, unharmonisch, kantig oder sonst wie seltsam und wir fragen uns, was wir an dem gefunden haben. Tja Urlaub ist eben anders. Sind wir im Urlaub offener für neue Aspekte, oder sind wir unsensibler was Qualität angeht? Oder hat uns der freundliche Mensch etwa einen ganz anderen Wein verkauft, als er uns eingeschenkt hat? Letzteres schließe ich jetzt einfach mal aus! Der Wein hat eben in den Moment gepasst, er war Genuss für einen flüchtigen Augenblick und der ist vorbei.

Ernsthafte Weinliebhaber führen natürlich auch im Urlaub Verkostungsheft, Weinführer und Listen mit und können aufgrund jahrelanger Erfahrung derartige Überraschungen ausschließen, ihr Urteil ist immer unbestechlich und korrekt und ihre Auswahl ziel- und stilsicher, vor Ort und auch was etwaige Mitnahmen angeht. Gut so, aber ein bisschen was entgeht ihnen vielleicht doch.

Ich bin nun auch aus einem wunderschönen Urlaub an die Côte d'Azur zurück und werde demnächst noch etwas über die Weine und sonstiges zusammenschreiben und meinen persönlichen Grenzwein, den hatte ich auch

Rouge
Cooperative Pierrefeu du Var, VdT du Pays du Var


Der gibt es noch nicht mal in der Flasche zu kaufen, sondern nur im großen Gebinde angefangen in der 10-Liter-BiB und da kostet der ….., nein ich schreib's nicht. Den gab's am Nachmittag in dieser Niemandszeit zwischen Tag und Abend in der Kneipe, mit Blick auf den Hafen, unter dem Schatten von Platanen und Kastanienbäumen, ein paar Spatzen kloppten sich die Brotkrümel, die Schwalben flogen ziemlich hoch, ein wunderbarer Blick auf das tiefblaue Meer, das Maurengebirge, blühenden Ginster. Um die Ecke spielten ein paar ältere Herren Boule, mit dieser lässigen Mischung aus Ehrgeiz und Spielfreude, die uns nie gelingen will. Postkartenidylle. Kitsch. Meinetwegen.

Das Viertel Wein schmeckte kräftig, rotfruchtig, nach Sonne und Erde und Urlaub und er verdient es, einmal lobend erwähnt zu werden. Dazu gab es einfach ein paar Oliven und etwas kalte Pissaladière und in diesem Augenblick hätte es schon einiges bedurft, mich von diesem Ort wegzulocken.

Prost!
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DerFranki

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Re: Heute im Glas ..... der Grenzwein

BeitragDi 31. Mai 2011, 08:16

Sehr schön! :D

Der Begriff „Grenzwein“ ist ab sofort fester Bestandteil meines Weinvokabulars!
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olifant

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Re: Heute im Glas ..... der Grenzwein

BeitragDi 31. Mai 2011, 08:29

susa hat geschrieben:... Nett fand ich auch den Hacklschleifer, ein Begriff aus dem Österreichischen, der einen so sauren Wein bezeichnet, dass es einem die Hacken abschleift, bei uns würde man wohl sagen, die Löcher in den Socken zusammenzieht, und den Wein vielleicht Sockenstopfer nennen wollen...


Hallo susa,

Hacklschleifer - meines Zeichens im süddeutschen Sprachraum aufgewachsen, so zu sagen ein Bayer, sind mir so einige umgangssprachliche Begriffe des Österreichischen geläufig. - Östereichisch und Bayerisch, das sind schon durchaus in einigen Regionen verwandte Sprachen :D . Hackl hat so gar nichts mit Schuhabsätzen zu tun :lol: , Hackl meint hier Axt. Ein typischer Hacklschleiferwein ist zum Bsp. der Schilcher (Blauer Wildbacher), der auch Messerstecherwein genannt wird. Gemeint ist letztendlich, dass der übermäßige Konsum eines derartigen Weines Aggressionen befeuert und letztendlich zur (blutigen) Auseinandersetzung führt. Hacklschleifer - der, der seine Axt schärft :mrgreen: .
Grüsse

Ralf

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Re: Heute im Glas ..... der Grenzwein

BeitragDi 31. Mai 2011, 08:43

olifant hat geschrieben:
susa hat geschrieben: Ein typischer Hacklschleiferwein ist zum Bsp. der Schilcher (Blauer Wildbacher), der auch Messerstecherwein genannt wird. Gemeint ist letztendlich, dass der übermäßige Konsum eines derartigen Weines Aggressionen befeuert und letztendlich zur (blutigen) Auseinandersetzung führt.



Der Schilcher ist in unseren Ösi-Breiten besser bekannt als Rabiatperle. Der Begriffsübersetzung von Ralf ist aber nichts hinzuzufügen :mrgreen: !
MvG
(Mit vinophilen Grüssen)

Daniel
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thvins

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Re: Heute im Glas ..... der Grenzwein

BeitragDi 31. Mai 2011, 08:54

Hallo Susa,

wieder wunderbar zu lesen und wirft natürlich jede Menge existentielle Fragen auf...

Eine spezielle Variante zu deinem Grenzwein ist für mich der Pyrenäen-Grenzwein...

Der sollte ähnlich günstig sein, wie dein BIB auf den Liter runter gerechnet. Tatsächlich kaufe ich den immer wieder in jenem namenlosen Supermarktdorf direkt an der französisch-spanischen Grenze am Col de Pourtalet nahe des Pic de Midi de Ossau. Er wird direkt aus dem Fass in die (bei mir meist 1,5 l Flaschen) gefüllt, Rot oder Rancio, meist beides. Ich probiere meist mehrere durch und nehme meist vom Teuersten, der dann schon mal knapp 2 € der Liter kostet. Auch direkt ins Glas gegossen und draußen oder drinnen (je nach Temperatur) in einer der vielen den Supermärkten angeschlossenen Bars mit Blick auf die Pyrenäengipfel schmeckt er wundervoll.

Noch besser aber ist er zum Wandern - direkt aus der Flasche, alle dreihundert Höhenmeter gibt es zwei, drei Schluck davon, zumindest im Aufstieg. Auf dem Gipfel auch schon mal einen Schluck mehr, genau wie zum Mittagspicknick.

Das kräftigt, gibt dem Körper verlorengegangene Nährstoffe, richtet die Moral auf, es ist verlässlicher als das Wasser der Quelle (denn wer weiß schon, ob weiter oben nicht doch noch eine Kuh uriniert hat oder wenigstens ein Schaf, oder ob gar ein verlorengegangenes Tier von den Geiern genüßlich verspeist wurde?) und - vor allem, es schmeckt sogar grandios. Sehr subjektiv meist unter Einbeziehung der Blickwinkel, dem persönlichen Adrenalinspiegel und des Sonnenstandes meist zwischen 88 und 90 Punkte - er wird geschlürft und gekaut wie ein richtig ernstzunehmender Wein - und das ist er auch. Hier, an genau diesem Rastplatz!

Dennoch käme ich nie auf die Idee, diese wundervollen Grenzweine weiter als 50 km Luftlinie von der Grenze weg zu führen. Sie sind schon dann nicht mehr dieselben... :ugeek:

Sie bekämen dann vielleicht nur noch 80 bis 82 Punkte (noch nie ausprobiert, aber ich hätte Angst davor :lol: ) und in Richtung Frankreich bist du dann ja auch schon im Gebiet, wo der Jurancon herkommt - und der hat dir ja auch in Deutschland schon mal geschmeckt...
Beste Grüße

Torsten

http://www.torsten-hammer-priorat-guide.com
jetzt mit richtiger Startseite...
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susa

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Re: Heute im Glas ..... der Grenzwein

BeitragDi 31. Mai 2011, 09:21

Den Hacklschleifer hab ich so mal im Glossar der Kollegen von Wein-Plus gefunden, da sieht man's wieder, man sollte alles, was man im Internet so findet, mit größter Vorsicht genießen :lol: . Jedenfalls hab ich seit heute beim Hackl Schorsch ganz andere Assoziationen als Leberwurst ;).

lieben Gruß
susa
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