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Heute im Glas ..... 2007 Myophorium, Johann Ruck, Franken

eingeschenkt von: susa – Plaudereien über Gott und die Welt und auch über Wein
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susa

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Heute im Glas ..... 2007 Myophorium, Johann Ruck, Franken

BeitragDi 5. Apr 2011, 07:48

Wenn ich mit den gesammelten Werken der letzten Wochen zum Altglascontainer fahre, werde ich immer ganz wehmütig, partir, c'est mourir un peu. Aber von vorne.

Es fängt ja schon damit an, dass die vereinigten UPS, DHL, TNT und wie sie alle heißen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich genau das 15-Minuten-Zeitfenster erwischen, in dem ich nur mal ganz kurz zum Metzger gehuscht bin, um eine Bratwurst fürs Mittagessen zu kaufen, um die dringend erwartete Fracht abzuliefern. Und die wird dann beim Nachbarn angeliefert und der wundert sich (oder eher schon nicht mehr) "schon wieder Wein" oder was von Amazon. Die Amazonpäckchen sind ihm lieber, so zwei oder drei CDs oder ein, zwei Bücher die stehen nicht so sperrig im Flur herum, bis ich sie abholen komme.

Und, getreu der alten Lagerweisheit, dass nichts reingeht, was nicht auch irgendwann wieder raus muss, sammelt sich im Keller Altglas in Form von leeren Weinflaschen an. Gut, hin und wieder verirrt sich auch ein leeres Senfglas oder eine Essigflasche in die Kiste, aber eigentlich sind da immer nur Weinflaschen drin und nach spätestens 14 Tagen sind die Kisten voll und ein einzelner Herr hebt eine philosophische Betrachtung an eingeleitet mit den Worten: "Einer müsste mal langsam wieder das Glas wegbringen!"

Der eine erwischt dann ebenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genau das Zeitfenster, in dem Frau Nachbarin die straßenseits gelegenen Fenster wäscht, oder gerade den Müll heraus trägt oder vom Einkaufen zurückkommt und einen angelegentlichen Blick auf die Flaschenarmada wirft und immer denkt man, sie schaut äußerst indigniert. Was die Familie susa so alles trinkt. Aber nutzt ja nix, also freundlich grüßen, Kisten in den Kofferraum wuchten und los.

Und dann steh ich am Container und die Weinflaschen der letzten Wochen gehen noch mal durch meine Hände, ach ja, hier der Grand Puy Lacoste, der war korkig der Hund; und weißt Du noch, der Abend, an dem wir den Gigondas von Santa Duc getrunken haben, da haben wir den Kamin noch mal angemacht, war so gemütlich. Überhaupt, ist die Flasche eigentlich grün oder braun? Na ja, jetzt steht ich halt schon mal vorm Braunglascontainer, dann soll sie halt braun sein.

Und der Ducru-Beaucaillou, war ein feiner Kerl, und grundsätzlich, wer das Gelb vom Etikett ausgesucht hat, der hat wohl meine Etikettentheorie schon vorweggenommen, nein ist das Gelb scheußlich. Wann in aller Welt haben wir denn den Colombo getrunken, 2000er Les Ruchets, muss die letzte Flasche gewesen sein.

Mir fällt es schwer, die guten Freunde einfach so in den Container zu kloppen, das ist so brutal. Ich komm mir vor wie eine der Hexen bei Fontane: "Hei, das gibt einen Ringelreihn, und die Flasche muss in den Schlund hinein!" Und meistens kommt dann noch ein Spaziergänger mit Hund vorbei und murmelt was, was ich lieber nicht genau verstehen will.

Nur einmal, da kam ein älterer Herr vorbei und schaute sich die Flaschen an. "Oh Bordeaux" sagte er "da kenn ich mich nicht aus; aber würd ich wohl auch mal gerne probieren. Aber da die Flasche, den Grünhäuser, den kenn ich auch. Kennen Sie auch Prüm?" Erst will ich zurückfragen "welchen Prüm meinen Sie denn" aber nein, das verbietet sich "oh ja" sage ich "Prüm kenne ich, ganz feine Weine". – "Ja, was richtig Gutes" und er schaut mir noch ein bisschen beim Flaschenwerfen zu.

Heute kommt keiner, das ist gut. Da bin ich schneller fertig, schon halte ich die letzte Flasche in der Hand und schau sie mir noch mal an. Gott sei Dank kein Bocksbeutel hatte ich noch gedacht, als ich sie nach einer spannenden Probe bei Ruck kaufte

2007 Myophorium
Johann Ruck, Franken


Nicht dass jetzt jemand meint, aha nach dem Etikett kauft sie die Flaschen nicht, aber nach der Flaschenform. Nein nein, so snobistisch bin ich denn doch nicht, obwohl ich zugebe, dass ich mich sehr schwer damit tue, provenzalische Rosés, denen ich im Sommer vor Ort durchaus zugetan bin, in dieser Mädchenglockenrockflasche zu kaufen.

Der Myophorium ist ein Silvaner, aber wer das nicht auf den ersten Schluck merkt, der sei beruhigt, das ist kein typisch fränkischer Silvaner, da muss man schon ein bisschen genauer hinschmecken, um den Wein in all seinen Facetten aufzunehmen. Er ist spontanvergoren und wirklich trocken, ich meine mich zu erinnern, dass er bei etwa 2 g Restzucker liegt.

Die Farbe ist ein zartes Grüngelb und dann kann man sich mit dem riechen durchaus Zeit lassen, der Duft ist äußerst facettenreich und gibt seine Aromen erst nach und nach preis, zunächst Äpfel und reife Birnen, dann kommen noch Steinobstnoten insbesondere Aprikose hinzu, ein wenig Brioche, grüne Haselnüsse, ein wenig kandierte Orangenzesten, Milchschokolade, Botrytis und eine Art balsamische Würze und später am Gaumen verdichten sich diese Reize zu einem schmelzigen, trockenen und kraftvollen Eindruck, Frucht, intensive Mineralik, kräftige aber nicht dominante Säure, und ein recht komplexer langer Abgang.

Der Wein, genau wie der Herr Ruck, ist einer der polarisiert, die einen mögen ihn in seiner Opulenz, anderen ist er zu wuchtig, auch zu alkoholisch, 13 vol% ist ja auch schon eine Hausnummer, gar nicht mehr fränkisch, andere geraten zusehends ins Schwärmen. Ich gebe zu, ich gehöre zu den anderen. Und ich könnte Ruck, einem begnadeten Erzähler, stundenlang zuhören, wenn er so vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, von der Weinbergsarbeit, der Geschichte seines Hauses, das mal als Poststation angefangen hat, von der urzeitlichen Bodenformationen (ein Schwerpunktthema in Franken, Stichwort TRIAS), von seiner Jazzband und seiner Kochleidenschaft.

Prost!
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Gerald

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Re: Heute im Glas ..... 2007 Myophorium, Johann Ruck, Franke

BeitragDi 5. Apr 2011, 08:29

Hallo Susa,

wie immer Respekt für die mitreißende, kurzweilige Weinbeschreibung und die Hintergrundstory. Mir ist als erstes der eigenartige Name "Myophorium" aufgefallen. Irgendwie war mir in Erinnerung, dass "myo" in der Medizin ein Hinweis auf Muskel ist (Myoglobin, Myocarditits etc.) und "phor" irgendetwas mit Tragen zu tun hat. Muskelträger?

Dann mit etwas Suche im Web habe ich gefunden, dass Myophorium eine Gesteinsschicht ist, die nach einer für sie typischen Muschelart (Myophoria) benannt ist. Klingt inzwischen wieder etwas nachvollziehbarer ...

Grüße,
Gerald
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susa

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Re: Heute im Glas ..... 2007 Myophorium, Johann Ruck, Franke

BeitragDi 5. Apr 2011, 09:44

Ich glaube, das Myo weist auf irgenwelche Schnecken hin, die in dieser Formation versteinert sind. Schnecken sind ja im Prinzip ein einziger sich fortbewegender Muskel. Aber man muss wirklich ewig lange suchen, bis man wirklich was zu den Gesteinsformationen findet, wenn man nach dem Begriff googelt, dann kommt einem fast nur der Rucksche Wein entgegen.

lieben Gruß
susa
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Gerald

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Re: Heute im Glas ..... 2007 Myophorium, Johann Ruck, Franke

BeitragDi 5. Apr 2011, 09:52

Ja, man findet unter "Myophorium" nur den Wein, da die korrekten Begriffe eine andere Endung haben (und die doch nicht so kluge Tante google das nicht unterscheiden kann :D )

Myophoria kefersteini ist eine Muschel, die als Fossil in den Gesteinsschichten offenbar öfters zu finden ist, siehe z.B: hier

Die Gesteinsschichten selbst heißen Myophorienschichten, unter diesem Stichwort findet man eine ganze Menge.

Grüße,
Gerald
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Re: Heute im Glas ..... 2007 Myophorium, Johann Ruck, Franke

BeitragDi 5. Apr 2011, 11:02

Hallo susa,

ja, der Myophorium polarisiert. Hatte den 2003er mal probiert und konnte mit ihm nichts anfangen. Ich habe in Erinnerung, dass er recht breit, sehr schwer daherkam und für mich keine besondere Finesse, Spiel, Eleganz hatte. Auf Silvaner und Franken wäre ich nie gekommen (das muss aber nichts heissen :lol: ). Viel Holz aber auch viel Mineralik. Mein Eindruck damals war, hier handelte es sich um ein "Meisterwerk", welches das Maximum an allem zeigen will. Das schien gelungen zu sein, aber trinkig für mich keineswegs.
Nun, das war ein Myophorium aus dem extremen Jahrgang 2003. Evtl. ist der Wein aus einem normaleren Jahr doch etwas anders.
Servus
Wolfgang
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susa

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Re: Heute im Glas ..... 2007 Myophorium, Johann Ruck, Franke

BeitragDi 5. Apr 2011, 11:12

Extrem holzlastig fand ich den 2007er wirklich nicht, allerdings durchaus ein Kraftbolzen aber nicht breit, eher muskulös und komplex. Das ist auch kein Wein, den ich jeden Tag trinken wollte.

lieben Gruß
susa
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BuschWein

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Re: Heute im Glas ..... 2007 Myophorium, Johann Ruck, Franke

BeitragDi 5. Apr 2011, 14:10

Ja der Myophorium, war bei der ersten Begegnung für mich ein echter Fingerzeig was beim Silvaner möglich ist. Ich würde auch widersprechen, dass dieser Wein nicht fränkisch sei oder gar silvanreuntypisch. Dass er nicht so ist wie 80% der fränkischen Silvaner liegt eher an der Schwäche dieser 80%.

Im übrigen sollte man auch unterscheiden ob es sich um einen Alltags-Silvaner handelt oder ob es sich um einen Topwein handelt, der sich auch international messen will. Für mich ist da beim Silvaner die Orientierung an den Spitzenchardonnays sinnvoller als an den besten Rieslingen, sprich der Ausbau im kleinen Holz ist durchaus eine erfolgversprechende Option.

Zurück zum Myophorium, warum das mit uns keine echte Liebesgeschichte wurde liegt daran, dass der Wein sich von Jahr zu Jahr und von Jahrgang zu Jahrgang oft wirklich sehr schwierig zeigte, manchmal zeigt er so gut wie keine Frucht, manchmal steht der Alkohol doch mächtig vor, manchmal zeigt er auch unschöne Bitternoten, sprich oft konnte ich den Anspruch erkennen, aber leider keinen Trinkspaß spüren und da Wein für mich ein Genussmittel ist langt eben der Anspruch allein nicht, ohne Genuss ist es kein guter Wein. Was mich gerade bei diesem Wein immer wieder ein wenig enttäuscht, da ich ihn auch schon grandios erlebt habe und auch prinzipiell gut finde.
Armin
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susa

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Re: Heute im Glas ..... 2007 Myophorium, Johann Ruck, Franke

BeitragMi 6. Apr 2011, 07:28

Ja manche Weine machen es einem schon schwer, aber man merkt doch schnell, ob es sich lohnt, mit ihnen in den Ring zu steigen.

Ich habe allerdings den Eindruck, dass alle die Einwände (zu breit, von allem zu viel, zu holzlastig etc.) insbesondere auf den 2003er zutreffen. Den kenne ich aus eigener Anschauung (bzw. eigener Trinkerfahrung) nicht, aber ich hatte anlässlich dieses Beitrags einige Rückmeldungen bekommen, von denen sich drei explizit auf den 2003er bezogen und der so beschrieben wurde.

lieben Gruß
susa
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