Administrator
- Beiträge: 4163
- Bilder: 20
- Registriert: Mo 6. Dez 2010, 16:33
- Wohnort: Niederrhein
- Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken
Der heutige Artikel wendet sich ausdrücklich an den Weinanfänger; mir ist klar, dass die meisten Kollegen hier über das im Folgenden beschriebene Stadium seit ich möchte fast sagen Äonen hinaus sind, aber auch der Nachwuchs will an den Wein herangeführt werden.
Den wenigsten von uns wurde ja der Weinverstand bereits in die Wiege gelegt. Wer ist schon in einer hochherrschaftlichen Familie aufgewachsen, die über einen von Generationen für Generationen gepflegten schier endlosen Gewölbekeller voll der edelsten Weine verfügte, mit sorgsam noch in Tinte und Sütterlinschrift geführtem Kellerbuch. Wohl die allerwenigsten. Ich jedenfalls nicht.
Aber irgendwann ging es los. Urlaub in Südfrankreich, erste Kochversuche in der Wohngemeinschaft mit ideologisch einwandfreiem Wein von aufrechten basisdemokratischen portugiesischen Kooperativen und dann die erste Flasche richtig guten Weines, mitgebracht von einem Kommunarden mit Gewölbekeller unterm großbürgerlichen Elternhaus. Auf einmal schmeckt man Aromen, spürt auf der Zunge Texturen, versteht, was ein langer Abgang ist. Und nach den ersten ermutigenden Urlaubsmitbringseln vom Winzer traut man sich in einem richtigen Weinladen. Nicht wenige dieser engagierten Händler hatten noch vor ein paar Jahren mit einem Seit an Seit im Hörsaal gesessen und auch keine Stelle als Lehrer bekommen oder waren des Taxifahrens überdrüssig und haben kurz entschlossen ihre önologischen Urlaubslieben zum Beruf gemacht. Das sind nicht die schlechtesten.
Viele Weinanfänger bekunden eine Scheu, ein Weingeschäft zu betreten, das ist zwar verständlich ("wahrscheinlich blamier ich mich, was ist, wenn der mich was fragt und ich hab keine Ahnung….") aber vollkommen unbegründet. Den meisten Weinhändlern ist die kühle Arroganz und der mitleidige Blick vollkommen fremd, den Galeristinnen und Parfümeriefachverkäuferinnen (anwesende mitlesende weinvernarrte Parfümeriefachverkäuferinnen und Galeristinnen natürlich ausgenommen ) so virtuos beherrschen. Dieses gezogene etwas seufzende "ach soooo", wenn man nur das einfache Eau de Toilette oder nur den simplen Siebdruck des gerade ausstellenden Künstlers kaufen will. Die meisten Weinhändler tun nichts lieber als ihren Kunden was über Wein zu erzählen (abgesehen von Wein verkaufen natürlich), am liebsten die Basics, die alle ihre anderen Kunden, Freunde und Familienmitglieder schon zur Genüge kennen
Und hat man es erst einmal in die Kundenkartei geschafft (was ja nun keine Kunst ist), dann dauert es nicht lange, man erhält vom Weinhändler seines Vertrauens seine erste Einladung zu einer Weinprobe "Weingut XYZ stellte den neuen Jahrgang vor" oder eines dieser abenteuerlichen Treffen "Riesling trifft Rioja" oder "Eiswein trifft St. Estèphe", es muss nur weit genug auseinander liegen . Und dann ist sie wieder da, diese Scheu "…. und was sag ich da? …. hoffentlich fall ich nicht unangenehm auf!". Und man liest sich noch mal schnell quer durch den Priewe.
Alles halb so wild und für alle Fälle hier ein kleiner Leitfaden für den Weinprobenanfänger:
Erst mal, keine Panik, die anderen kochen auch nur mit Wasser. Und es handelt sich nicht um eine Prüfung sondern eine Verkaufsveranstaltung.
Wenn man ankommt, sichere man sich sofort eine der (meistens in viel zu geringer Anzahl ausliegenden) Preislisten. Man mache sich mit den Namen und Preisen der angebotenen Weine vertraut. Im Zweifel sind die teuren Weine die besten. Ja, so einfach ist das.
Dann sichere man sich neben dem Weinglas auch ein Glas für Wasser und sondiere die Position und den Zugang zu allen aufgestellten Spucknäpfen, Wasserflaschen und Brotkörben (das ist sehr wichtig, bei Weinproben gibt es meistens zu wenig von allem, nur nicht von Wein).
Nun hat man Wein, das ist ja nur so ein kleines Pfützchen, eingeschenkt bekommen und man probiert. Bitte nicht runterschlucken, ausspucken! Das kann man zu Hause mit Johannisbeersaft üben, und sollte es vor dem ersten Mal auch tun, die Oberbekleidung dankt es einem und Rotweinflecken pflegen eine ewige und unauflösliche Verbindung mit Kaschmirpullis einzugehen. DAS ist auch die einzig entscheidende Garderobenfrage, den Lieblingspulli ziehe man besser ein anderes Mal an, ansonsten gilt: dresscode casual.
Das Glas fasse man (aber wem erzähl ich das) beim Stil und schwenke seinen Inhalt vorsichtig vor der Nase und rieche. Falls sich jemand nähert und die Gefahr besteht, dass man zu einer Äußerung genötigt ist oder in ein Gespräch verwickelt wird, aber noch nichts zu sagen weiß, weiter schwenken und weiter riechen. Nach dem internationalen informellen Weinprobenkommunikationscode bedeutet ein riechender und das Glas schwenkender Gast, dass er nicht gestört werden will, da er noch Zwiesprache mit dem Wein hält.
Nun kann man ja nicht den ganzen Abend nur schwenken, man muss auch mal trinken. Und dann lege man sich ein paar Worte zurecht, am besten die Universalkritik (siehe weiter unten).
Bei Weinproben ist das nicht anders als bei Vernissagen moderner Kunst, man muss nicht viel sagen. Bei einer Vernissage stehe man mit versteinertem Blick (bitte niemals lächeln oder – Gottbewahre – lachen, Kunst ist eine ernste Angelegenheit!) vor einem Kunstwerk (vorher den Titel herausfinden, das Folgende passt nicht zu einem Bildtitel wie "Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande" aber sehr gut zu "ohne Titel", "mixed media" oder "Object No. 41"), kneife die Augen kurz zusammen und dann "Dieses Werk zeigt die gesamte apokalyptische Dimension des Apokryphen",- "apokryphe Dimension des Apokalyptischen" geht natürlich auch.
Beim Wein ist es ungleich schwieriger, da hat man ja was Reelles, was Stoffliches, da verbieten sich Vokabeln wie apokalyptisch oder enigmatisch, bei Wein muss man auch im Deutschen bleiben, man kann nicht auf bedeutungsschwangere Universal-Fremdwörter ausweichen. Und ein Wort verbietet sich ganz entschieden "lecker", ein Wein kann alles sein, aber nicht "lecker".
Dafür gibt es ein anderes Wort, aber das geht immer: "Interessant!", interessant heißt weder gut noch schlecht, klingt aber ungemein positiv. Nachsetzen mit: "So hab ich den Wein/die Rebsorte/die Cuvée noch nicht erlebt." Klar, schließlich trinkt man den Wein ja auch heute zum ersten Mal, aber: Das klingt nach Erfahrung. "Doch, macht Spaß!" – Schluss aus Ende – mehr braucht es nicht. Meistens übernimmt dann sowieso wieder jemand anderer das Wort, die meisten Weinfreunde reden gerne und viel über Wein, diesen Umstand kann man sich zunutze machen, bis man sattelfest ist.
Ach so ja, eines noch: Ein bisschen was sollte man kaufen, das wird schon von einem erwartet und deswegen ist man doch auch hingegangen. 6 Flaschen ist immer ok, das ist nicht zu wenig, nach oben ist natürlich alles offen. Kann auch gemischt sein, 4 Flaschen Basisqualität und 2 Flaschen von dem teuren – das ist schon mal was. Da wird man wieder eingeladen, man wird sowieso wieder eingeladen. Irgendwann wirft man die Einladungen ungeöffnet zum Altpapier - wirklich.
Und so kaufte ich auf meiner ersten "richtigen" Weinprobe
2000 Reserva
Remirez de Ganuza, Rioja
und sicher nicht nur deswegen, weil ich mich verpflichtet fühlte oder weil bei dieser Probe Alexandra Schmedes anwesend war, die zu der Zeit auf dem Gut für den Wein mitverantwortlich zeichnete und in deren Gegenwart man schnell alle Scheu verlor und sich auch traute, die "dummen Fragen" zu stellen. Und die Herren erlagen ihrem Charme sowieso reihenweise .
Der Wein begeisterte mich damals und er tut es heute noch, kraftvoll und fast schon majestätisch. Die Farbe ein undurchdringliches Dunkelrot, Nase von roten Beeren, Pflaumenmus, warmes Holz, Röstaromen und am Gaumen samtig-eleganter Schmelz, muskulös, Zigarrenkiste, damals noch sehr kräftiges Tannin, das inzwischen fast ganz abgebaut ist, dafür kam ein feines Schokoladenaroma dazu, Mineral und ein wirklich langer beeindruckender Abgang.
Ich bin nicht sicher, ob die damals sehr optimistischen Lebenserwartungshochrechnungen von 20 Jahren und mehr eintreffen werden, die letzte Flasche wurde schon vor gut einem Jahr getrunken, wo sie sich auf dem Höhepunkt zeigte, wie lange der Wein so bleibt, ich möchte nicht raten.
Prost!
Den wenigsten von uns wurde ja der Weinverstand bereits in die Wiege gelegt. Wer ist schon in einer hochherrschaftlichen Familie aufgewachsen, die über einen von Generationen für Generationen gepflegten schier endlosen Gewölbekeller voll der edelsten Weine verfügte, mit sorgsam noch in Tinte und Sütterlinschrift geführtem Kellerbuch. Wohl die allerwenigsten. Ich jedenfalls nicht.
Aber irgendwann ging es los. Urlaub in Südfrankreich, erste Kochversuche in der Wohngemeinschaft mit ideologisch einwandfreiem Wein von aufrechten basisdemokratischen portugiesischen Kooperativen und dann die erste Flasche richtig guten Weines, mitgebracht von einem Kommunarden mit Gewölbekeller unterm großbürgerlichen Elternhaus. Auf einmal schmeckt man Aromen, spürt auf der Zunge Texturen, versteht, was ein langer Abgang ist. Und nach den ersten ermutigenden Urlaubsmitbringseln vom Winzer traut man sich in einem richtigen Weinladen. Nicht wenige dieser engagierten Händler hatten noch vor ein paar Jahren mit einem Seit an Seit im Hörsaal gesessen und auch keine Stelle als Lehrer bekommen oder waren des Taxifahrens überdrüssig und haben kurz entschlossen ihre önologischen Urlaubslieben zum Beruf gemacht. Das sind nicht die schlechtesten.
Viele Weinanfänger bekunden eine Scheu, ein Weingeschäft zu betreten, das ist zwar verständlich ("wahrscheinlich blamier ich mich, was ist, wenn der mich was fragt und ich hab keine Ahnung….") aber vollkommen unbegründet. Den meisten Weinhändlern ist die kühle Arroganz und der mitleidige Blick vollkommen fremd, den Galeristinnen und Parfümeriefachverkäuferinnen (anwesende mitlesende weinvernarrte Parfümeriefachverkäuferinnen und Galeristinnen natürlich ausgenommen ) so virtuos beherrschen. Dieses gezogene etwas seufzende "ach soooo", wenn man nur das einfache Eau de Toilette oder nur den simplen Siebdruck des gerade ausstellenden Künstlers kaufen will. Die meisten Weinhändler tun nichts lieber als ihren Kunden was über Wein zu erzählen (abgesehen von Wein verkaufen natürlich), am liebsten die Basics, die alle ihre anderen Kunden, Freunde und Familienmitglieder schon zur Genüge kennen
Und hat man es erst einmal in die Kundenkartei geschafft (was ja nun keine Kunst ist), dann dauert es nicht lange, man erhält vom Weinhändler seines Vertrauens seine erste Einladung zu einer Weinprobe "Weingut XYZ stellte den neuen Jahrgang vor" oder eines dieser abenteuerlichen Treffen "Riesling trifft Rioja" oder "Eiswein trifft St. Estèphe", es muss nur weit genug auseinander liegen . Und dann ist sie wieder da, diese Scheu "…. und was sag ich da? …. hoffentlich fall ich nicht unangenehm auf!". Und man liest sich noch mal schnell quer durch den Priewe.
Alles halb so wild und für alle Fälle hier ein kleiner Leitfaden für den Weinprobenanfänger:
Erst mal, keine Panik, die anderen kochen auch nur mit Wasser. Und es handelt sich nicht um eine Prüfung sondern eine Verkaufsveranstaltung.
Wenn man ankommt, sichere man sich sofort eine der (meistens in viel zu geringer Anzahl ausliegenden) Preislisten. Man mache sich mit den Namen und Preisen der angebotenen Weine vertraut. Im Zweifel sind die teuren Weine die besten. Ja, so einfach ist das.
Dann sichere man sich neben dem Weinglas auch ein Glas für Wasser und sondiere die Position und den Zugang zu allen aufgestellten Spucknäpfen, Wasserflaschen und Brotkörben (das ist sehr wichtig, bei Weinproben gibt es meistens zu wenig von allem, nur nicht von Wein).
Nun hat man Wein, das ist ja nur so ein kleines Pfützchen, eingeschenkt bekommen und man probiert. Bitte nicht runterschlucken, ausspucken! Das kann man zu Hause mit Johannisbeersaft üben, und sollte es vor dem ersten Mal auch tun, die Oberbekleidung dankt es einem und Rotweinflecken pflegen eine ewige und unauflösliche Verbindung mit Kaschmirpullis einzugehen. DAS ist auch die einzig entscheidende Garderobenfrage, den Lieblingspulli ziehe man besser ein anderes Mal an, ansonsten gilt: dresscode casual.
Das Glas fasse man (aber wem erzähl ich das) beim Stil und schwenke seinen Inhalt vorsichtig vor der Nase und rieche. Falls sich jemand nähert und die Gefahr besteht, dass man zu einer Äußerung genötigt ist oder in ein Gespräch verwickelt wird, aber noch nichts zu sagen weiß, weiter schwenken und weiter riechen. Nach dem internationalen informellen Weinprobenkommunikationscode bedeutet ein riechender und das Glas schwenkender Gast, dass er nicht gestört werden will, da er noch Zwiesprache mit dem Wein hält.
Nun kann man ja nicht den ganzen Abend nur schwenken, man muss auch mal trinken. Und dann lege man sich ein paar Worte zurecht, am besten die Universalkritik (siehe weiter unten).
Bei Weinproben ist das nicht anders als bei Vernissagen moderner Kunst, man muss nicht viel sagen. Bei einer Vernissage stehe man mit versteinertem Blick (bitte niemals lächeln oder – Gottbewahre – lachen, Kunst ist eine ernste Angelegenheit!) vor einem Kunstwerk (vorher den Titel herausfinden, das Folgende passt nicht zu einem Bildtitel wie "Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande" aber sehr gut zu "ohne Titel", "mixed media" oder "Object No. 41"), kneife die Augen kurz zusammen und dann "Dieses Werk zeigt die gesamte apokalyptische Dimension des Apokryphen",- "apokryphe Dimension des Apokalyptischen" geht natürlich auch.
Beim Wein ist es ungleich schwieriger, da hat man ja was Reelles, was Stoffliches, da verbieten sich Vokabeln wie apokalyptisch oder enigmatisch, bei Wein muss man auch im Deutschen bleiben, man kann nicht auf bedeutungsschwangere Universal-Fremdwörter ausweichen. Und ein Wort verbietet sich ganz entschieden "lecker", ein Wein kann alles sein, aber nicht "lecker".
Dafür gibt es ein anderes Wort, aber das geht immer: "Interessant!", interessant heißt weder gut noch schlecht, klingt aber ungemein positiv. Nachsetzen mit: "So hab ich den Wein/die Rebsorte/die Cuvée noch nicht erlebt." Klar, schließlich trinkt man den Wein ja auch heute zum ersten Mal, aber: Das klingt nach Erfahrung. "Doch, macht Spaß!" – Schluss aus Ende – mehr braucht es nicht. Meistens übernimmt dann sowieso wieder jemand anderer das Wort, die meisten Weinfreunde reden gerne und viel über Wein, diesen Umstand kann man sich zunutze machen, bis man sattelfest ist.
Ach so ja, eines noch: Ein bisschen was sollte man kaufen, das wird schon von einem erwartet und deswegen ist man doch auch hingegangen. 6 Flaschen ist immer ok, das ist nicht zu wenig, nach oben ist natürlich alles offen. Kann auch gemischt sein, 4 Flaschen Basisqualität und 2 Flaschen von dem teuren – das ist schon mal was. Da wird man wieder eingeladen, man wird sowieso wieder eingeladen. Irgendwann wirft man die Einladungen ungeöffnet zum Altpapier - wirklich.
Und so kaufte ich auf meiner ersten "richtigen" Weinprobe
2000 Reserva
Remirez de Ganuza, Rioja
und sicher nicht nur deswegen, weil ich mich verpflichtet fühlte oder weil bei dieser Probe Alexandra Schmedes anwesend war, die zu der Zeit auf dem Gut für den Wein mitverantwortlich zeichnete und in deren Gegenwart man schnell alle Scheu verlor und sich auch traute, die "dummen Fragen" zu stellen. Und die Herren erlagen ihrem Charme sowieso reihenweise .
Der Wein begeisterte mich damals und er tut es heute noch, kraftvoll und fast schon majestätisch. Die Farbe ein undurchdringliches Dunkelrot, Nase von roten Beeren, Pflaumenmus, warmes Holz, Röstaromen und am Gaumen samtig-eleganter Schmelz, muskulös, Zigarrenkiste, damals noch sehr kräftiges Tannin, das inzwischen fast ganz abgebaut ist, dafür kam ein feines Schokoladenaroma dazu, Mineral und ein wirklich langer beeindruckender Abgang.
Ich bin nicht sicher, ob die damals sehr optimistischen Lebenserwartungshochrechnungen von 20 Jahren und mehr eintreffen werden, die letzte Flasche wurde schon vor gut einem Jahr getrunken, wo sie sich auf dem Höhepunkt zeigte, wie lange der Wein so bleibt, ich möchte nicht raten.
Prost!
Red wine with fish. Well, that should have told me something.
James Bond in From Russia with Love
James Bond in From Russia with Love