Freitag vor 150 Jahren .....

[susa]

..... also am 27.02.1861 wurde ein gewisser Rudolf Joseph Lorenz Steiner geboren.

Ich erwähne es deshalb, weil derzeit das Thema biologisch-dynamische Landwirtschaft und Weinbau mal wieder durch alle Medien geistert, wahrscheinlich gespeist aus einem tiefen Bedürfnis nach Natur und heiler Welt und einem tiefen Misstrauen gegenüber Industrie, Chemie und sonstiger Geißeln der Menschheit. Mit mit seinen abstrusen philosophischen und politischen Ideen befasst sich wohl (wie auch bei anderen Weltverbesserern) kaum jemand en détail, wahrscheinlich noch nicht mal alle seine JüngerInnen. Wer liest das ganze Gelumpe schon, das die Goethesche Farbenlehre für den Dreh- und Angelpunkt der Naturwissenschaften hält oder diesen esoterischen Mischmasch aus Buddhismus, Okkultismus und Frühchristentum.

Steiners Ideen kann man durchaus pragmatisch nutzen, viele seiner biologisch-dynamischen Ansätze funktionieren, die anthroposophische Architektur funktioniert und bietet oft genug eine willkommene Abwechslung zur kalten Beliebigkeit neuzeitlicher Bauformen.

Biodynamischer Weinbau nach der Lehre Steiners ist eigentlich ein Widerspruch in sich, Steiner lebte asketisch und war dem Alkohol abhold und wenn man sich dieses verquaste Mysteriengedöns so anschaut, dann scheint er so weit entfernt von Genuss, Lebensfreude und positiver Lebenseinstellung gewesen zu sein wie Kloster Eberbach von der Andromeda-Galaxie. Alles so getragen, so ernst, so bedeutungsschwanger. Mir fällt da immer ein Bonmot eines amerikanischen Freundes ein, der mal nach einem (vergeblichen) Missionsversuch durch einen Jünger Steiners in seinem unnachahmlich charmanten deutsch-amerikanischen Idiom seufzte: "Jesus Christ, guy, wenn Du noch ein Word mehr sagst, bin ich total anthroposoffen!"

Ich hab auch in meinem ganzen Leben noch nie einen Anthroposophen so richtig herzhaft lachen gehört, oder dass er mal einen Witz erzählt hat (oder wenigstens verstanden), oder Pommes mit den Fingern gegessen und manchmal denke ich, die pflanzen sich durch Zellteilung oder sonst eine Form des horizontalen Gentransfers fort.

Zum Schluss das Beste was mir zu Steiner einfällt, nämlich der wunderbare Vierzeiler von Robert Gernhardt (allerdings nur aus der Erinnerung zitiert)

Steiner sprach zu Hermann Hesse
"Nenn mir sieben Alpenpässe!
Hesse sprach zu Rudolf Steiner:
"Lieber Rudi, reicht nicht einer?"

Eigentlich sollte das ja mal ein nicht-wein-bestimmter Diskussionsbeitrag werden, einfach so eine Anregung zum Plaudern, aber Herr susa schaut mir gerade über die Schulter und sagt "nee, Frau, schreib doch noch was über Wein"; gut dann schieb ich noch einen Wein zum Thema nach, den wir am Heiligen Abend zu Kartoffelsalat und Würstchen getrunken haben

2003 Clos de la Coulée de Serrant
Nicolas Joly

der immerhin genau nach den Richtlinien der Biodynamik erzeugt wurde.

Wie das so ist mit diesen Weinen, wer meint er hat sie nach einem Glas verstanden, der hat gar nichts verstanden. Der Wein präsentierte sich im ersten Schluck fast wie einer, der seine besten Zeiten hinter sich hat, mit einer Note die irgendwo zwischen Sherry und Apfelsäure lag, allerdings mit einer wunderbaren Textur. Und dann verwandelte sich der Wein über den ganzen Abend in einer faszinierenden Weise, es entwickelten sich - fast hätte ich geschrieben schräge - Aromen, neben exotischen Früchten Curry, nussig, weißer Pfeffer, warm und dann wieder kühl, Mineral, langer Abgang.

Mir vollkommen egal, ob das an der Biodynamik liegt, am Terroir, an Herrn Joly, das ist so ein Wein, da ist man noch lange nicht mit fertig, der fordert den Weinliebhaber und lässt den Anfänger vielleicht ein wenig ratlos zurück.

Schönen Freitag noch
susa

Hurra, es ist Freitag - und nicht Dienstag (ich bekam schon Sorgen und sah sicherheitshalber nochmals im Kalender nach )

Vielen Dank, Susa, für diesen geschichtlichen Einblick.

lg
Christian

Zur Anthroposophie habe ich persönlich kein näheres Verhältnis, aber ich hatte schon mit einigen "Anthros" zu tun (unter anderem auch auf musikalischer Ebene). Und vor diesem Hintergrund finde ich den obenstehenden Rundumschlag gegen die Anthroposophie... nun ja...ein wenig sehr pauschal....

Und ich denke, auch der Persönlichkeit Steiners (die ich durchaus sehr kritisch sehe) wird man mit ein paar lockeren Frühstücksplauderzeilen nicht wirklich gerecht.

Ich hab auch in meinem ganzen Leben noch nie einen Anthroposophen so richtig herzhaft lachen gehört, oder dass er mal einen Witz erzählt hat (oder wenigstens verstanden

Ich schon!

Beste Grüße

Bernd

[Gerald]

Hallo,

mit Rudolf Steiner selbst habe ich mich nie beschäftigt (ich weiß, ich sollte das einmal nachholen ), für mich war immer nur der biodynamische Ansatz in der Landwirtschaft und natürlich besonders im Weinbau interessant.

Mit den diversen vergrabenen Kuhhörnern kann ich persönlich nicht viel anfangen, aber wenn das Ganze so funktioniert, dass man damit ohne Pestizide auskommt, soll es mir recht sein. Mir geht es bei der Angelegenheit primär um Umweltschutz und möglichst wenig kontaminierte Lebensmittel.

Allerdings wird ja auch im biodynamischen Weinbau - bitte um Korrektur wenn ich da falsch liege - Kupfer als Fungizid verwendet. Und ob das wirklich besser als moderne organisch-chemische Fungizide ist, da bin ich mir nicht absolut sicher. Denn Kupfer ist zwar ein notwendiges Spurenelement auch für Pflanzen, es reichert sich als Schwermetall aber im Boden an und stört da die Pilze im Boden. Und zwar auch eben die "braven" Pilze, die für die Bodenflora absolut notwendig sind. Wie problematisch das von den Mengen her ist und wie der Vergleich zu den organisch-chemischen Fungiziden aussieht (die ja biologisch abbaubar sind), weiß ich natürlich nicht im Detail.

Grüße,
Gerald

... abstrusen philosophischen und politischen Ideen... ...Gelumpe... ...esoterischen Mischmasch aus Buddhismus, Okkultismus und Frühchristentum... ...verquaste Mysteriengedöns

Werte Susa,

sorry aber diese Kolumne finde ich nicht nur ziemlich "pauschal", wie sich Bernd Schulz höflich ausdrückte, sondern darüber hinaus unnötig bösartig. Ich verliere ja auch nicht Worte wie z.B. "verquastes Mysteriengedöns" über eine oder mehrere der Weltreligionen.

Steiners Ideen sind sicherlich nicht konsistent und teilweise fragwürdig, aber auch ich finde, dass der mit "Frühstücksgeplauder" hier schon treffend betitelte Text neben einer Pauschalverhöhnung der Person Steiners ein Licht auf biodynamisch arbeitende Landwirte und Weinbauern wirft, der diese ebenso verhöhnt und schlicht unfair behandelt.

Missionarische Tendenzen mag ich auch nicht, aber nicht nur von Anthroposophen, sondern auch von Vertretern aller Weltreligionen, etc. Ich habe ein paar wenige anthropsophisch erzogene Freunde, mit denen ich erstens herzlich über alles lachen kann und von denen ich zweitens noch nicht einen einzigen Versuch der Missionierung ertragen musste.

Wenn dir Weine von Nicolas Joly, Wittmann oder zahlreichen Burgunder Winzern, um nur einige wenige zu nennen, schmecken, lass sie doch biodynamisch arbeiten. Ich finde es jedenfalls unterstützenswerter, wenn Winzer und andere Landwirte sich Gedanken über eine möglichst naturnahe und auch spirituelle Erzeugung (i.S.v. ich lege mein Herzblut und meine Überzeugung in die Produktion, mit welchem philosophischen, religiösen oder sonstigen geistigen Hintergrund auch immer) machen, als wenn ihre Ziele v.a. in der schnöden Effizienzsteigerung und Rationalität liegen und ihnen dabei jedes Mittel recht ist.

[susa]

Moin zusammen

nun ich wollte bestimmt niemanden verhöhnen und habe sicher in meiner Absicht, nicht zu lang zu werden, eines etwas stark zusammengestrichen.

Wenn ich allerdings so einige Passagen über Steiners Menschenbild oder Gesellschaftsverständnis lese, braucht es nicht viel, um in eine ganz bestimmte Nähe zu geraten, dann wird mir wohl anders und ich denke, man kann diesen Ideen keinen besseren Gefallen tun, als sie besser nicht zu ernst zu nehmen.

Ich glaube übrigens nicht, dass die meisten Winzer, Gärtner oder Landwirte, die sich sehr sorgfältig und intensiv mit den biologischen Gegebenheiten Steiners auseinandersetzen und diese in ihrer Arbeit umsetzen, gleich mit Mann und Maus zur Anthroposophie überlaufen. Und wenn doch, dann kann man das durchaus kritisch sehen.

lieben Gruß
susa

mit Rudolf Steiner selbst habe ich mich nie beschäftigt (ich weiß, ich sollte das einmal nachholen )

Ich würd's lassen.

Wenn ich allerdings so einige Passagen über Steiners Menschenbild oder Gesellschaftsverständnis lese, braucht es nicht viel, um in eine ganz bestimmte Nähe zu geraten, dann wird mir wohl anders und ich denke, man kann diesen Ideen keinen besseren Gefallen tun, als sie besser nicht zu ernst zu nehmen.

A bissel arg simpel gedacht, gelle? Vielleicht liest du doch erst einmal den exzellenten Wikipedia-Artikel, um zu einem etwas differenzierteren Bild zu gelangen?

Und die positiven Aspekte der sich auf Steiner berufenden Anthroposophie finden sich gegenwärtig sicherlich nicht nur im biodynamischen Weinbaú. Hier in meiner Stadt gibt es z.b. mit der Kahlgrachtsmühle ein Kinderhaus, welches einen ausgezeichneten Ruf besitzt und ursprünglich vom Verein Verein „Förderkreis Freie Anthroposophische Dorfgemeinschaft“ gegründet wurde.

Ich denke, in einer Gesellschaft, die hauptsächlich auf Cash, Fun und Coolness fixiert ist, können gewisse Gegenbewegungen erst einmal nicht schaden.

Viele Grüße

Bernd

[susa]

Bernd

ich stelle ja die Vorteile und Segnungen vieler Angebote gar nicht in Abrede, sei es die Landwirtschaft, die Waldorfpädagogik etc. Insofern halte ich das durchaus für ein differenziertes Bild, die fragwürdigen Gedankengänge und auch die skurrilen ebenso mit in meine Betrachtung einzubeziehen wie die heilvollen.

Ich bin der Überzeugung, die Bohnen wachsen bei der Biodynamik aus dem gleichen Grunde so gut, wie die Kinder sich in der Waldorfpädagogik gut entwickeln, nämlich wegen der sehr intensiven, ganzheitlichen und individuellen Betreuung. Und das kann ich nutzen, muss aber nicht auch noch gleich an die Überlegenheit irgendwelcher Ethnien glauben.

Ausserdem halte ich es für durchaus legitim, Anhänger bestimmter Gedankenrichtungen ruhig mal ein wenig scherzhaft auf die Schippe zu nehmen.

lieben Gruß
susa

[thvins]

Ich denk auch, man muss den Steiner nicht überbewerten, die biodynamischen Winzer, die ich kenne, tuns auch nicht. Die sehen das gelassen und lachen tun sie auch häufig, wahrscheinlich sind die wenigsten gläubige Anthroposophen.

Und das Menschen- und Gesellschaftsbild eines Rudolf Steiner hat heute nur historischen "Wert", zu seinen "Errungenschaften" muss man das wahrlich nicht tun. Vielleicht entdecken dies die Krakeeler bestimmter Parteien wieder für sich und brüten darauf... Wenn sich Geschichte hin und wieder zu wiederholen droht, dann müssen wir mehr Angst vor denen haben als vor biodynamischen Winzern, die ich durchaus als fortschrittlich sehe, weil um Zukunft besorgt und um Nachhaltigkeit bemüht. Insofern tue ich mich schwer, Steiner und die heutigen Biodynamiker in einen Topf zu werfen...

Angst machte mir eher der Gang in die Stadt eben, denn es ist Wahlkampf in Sachsen Anhalt und schon Hunderte Meter vor dem Marktplatz schrie eine goebbelsgleiche Stimme so laut von den Rechten des Deutschen Volkes, dass sich endlich erwehren solle, dass ich Angst hatte, auf den Wochenmarkt zu gehen... Die NPD ließ von ihrem Auftritt keine Kompromisse mehr zu, nicht versteckt unterschwellig wie früher, sondern inzwischen aggressiv und offen herausschreiend und zeigend, mit wem wir es da wirklich zu tun haben werden...

Die CDU stand leise in der anderen Ecke und suchte Bürgernähe und warb mit dem hohen Besuch des von und zu G... War auf den Schock hin recht sympathisch ...

An einem Freitag vor ca. 80-85 Jahren sah es vielleicht auch nicht viel anders aus als heute... Aber die Wiederholung bräuchte ich nicht.

Biodynamische Winzer dagegen kann es ruhig geben wie Sand am Meer, wie Susa schon eingangs bemerkt hatte, gefällt auch mir das, dass diese Weine mehr fordern, mitunter ratlos machen, aber auch spannend plaudern können.