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Heute im Glas ..... 1989 Figeac

eingeschenkt von: susa – Plaudereien über Gott und die Welt und auch über Wein
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susa

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Heute im Glas ..... 1989 Figeac

BeitragDi 22. Feb 2011, 10:13

Moin zusammen

Man hat's ja nicht leicht als Weinliebhaber in Gesellschaft. Wahrscheinlich hat das jeder von uns schon einmal miterlebt, die mitleidigen, besserwisserischen oder auch verächtlichen Seitenhiebe geschätzter Kollegen und Freunde "Und da schmeckt man wirklich einen Unterschied, ob der Wein nun 10 oder 50€ kostet – und hast Du schon mal einen Wein getrunken, der mehr als 100€ gekostet hat? " bis zu "beim Aldi haben sie auch einen ganz hervorragenden Barolo, der hat in einer Blindverkostung alle teuren Italiener geschlagen!" , wahlweise Barolo ersetzen durch Champagner, Bordeaux, Spanier. Aber: selbst verstärktes googeln fördert dann keinerlei Informationen zu diesem angeblich legendären Verkostungsereignis zutage.

Wieso beim Wein? Hat jemand schon mal erlebt, dass man wegen einer exklusiven Leidenschaft schräg angesehen wurde für z.B. teure kubanische Zigarren, seltene Single Malt Whiskys oder diese reizenden Rennwagen einer italienischen Schmiede, die in allen Farben schick aussehen, solange diese nur rot ist? Nein, da kann man sich ehrlicher Bewunderung und aufrichtigen Neids sicher sein und niemand wird einem weismachen, dass der neue VW Polo bei einem heimlichen Test genauso gut wenn nicht besser abgeschnitten hat als der neue Ferrari California.

Nur beim Wein können seltsamerweise alle mitreden und alle haben eine Meinung und als kleiner Weinafficionado findet man sich oft genug in eine Verteidigungsecke gedrängt, in die man eigentlich nie wollte. Man erzählt etwas von naturbelassenen Winzerweinen, von Terroir, von Kulturgut, von der Vielfalt und Harmonie der Aromen und je mehr man erzählt, um so schräger wird man angeschaut. Und dann kommt sie, die Killerphrase, der Alptraum des amateur averti "Also für mich gibt es nur zwei Sorten Wein (ja wenn er/sie jetzt wenigstens noch "rot und weiß" sagen würde, da könnte man noch mit leben *seufz*) – schmeckt mir oder schmeckt mir nicht!" *peng* und da sitzen wir da mit unsere Liebe zu einem der wunderbarsten Getränke, die Natur UND Winzerskunst zu bieten haben und dann das!

Das ist nicht fair!

Deswegen lege man sich am besten eine schmackige Entgegnung auf solche Fragen zurecht, den kleinen Witz, der einem in der Regel meistens dann erst einfällt, wenn man wieder zu Hause ist und über die Sache nachdenkt.

"Schmeckst Du da wirklich einen Unterschied?" – "Nein, deswegen lass ich das Preisschild immer drauf!" – "Ja, aber ich lasse es mir nicht anmerken!" ;) vielleicht fallen Euch ja auch welche ein, lasst mal Eure Kreativität schweifen, so einen Spruch kann man immer gut brauchen.

Und solange holen wir uns extra einen von den teureren Weinen aus dem Keller und genießen den mit Freunden und Kennern, die die Besonderheit dieses Weines erkennen und erschmecken können, die sich dem Zauber der wunderbaren Aromen, der einmaligen Textur, dem Hinterherschmecken eines imposanten Abgangs nicht entziehen können und die eher bei einem einmaligen Wein bescheiden und fromm werden als beim obligatorischen Stille-Nacht-Heilige-Nacht in der Christmette.

Ich schenke also einem meiner absoluten Lieblingsweine aus, ein Gut, das mir ans Herz gewachsen ist, einen Wein der mir gefällt, der vielleicht auch ein wenig zu mir passt, zum ganz großen Adel hat es nicht gereicht, ähnlich wie der selige Baron den Rothschild wird sich wohl auch Thierry Manoncourt oft genug gesagt haben "Classe A ne puis, Classe B ne daigne, Figeac suis!" ;), und ich hoffe, dass sich auch nach Manoncourts Tod nur so viel auf Figeac ändern wird, wie gerade nötig ist, um diesen einzigartigen Wein in die Zukunft zu führen, ohne seinen Charakter zu verändern.

Einer meiner Lieblingsfigeacs ist

1989 Château Figeac, St. Emilion

der von Robert Parker ja ziemlich verrissen wurde und – um der Wahrheit die Ehre zu geben, es sind auch einige Flaschen im Umlauf, über die man lieber den Mantel des Schweigens deckt.

Wenn man aber das Glück hat, eine perfekte Flasche öffnen zu dürfen, dann bemerkt hat man alles was einen großen Figeac ausmacht. Zuerst muss man durch die hauseigene Note durch "entweder ist's Kork oder es ist ein Figeac" ;), diese ein wenig unruhig stallige Note, aber dann geht's los, warmer Duft von Gewürzen, Beeren, ein wenig Bouquet garni, am Gaumen erstaunlich schlank, aber von erlesener Eleganz, Leder, Bitterschokolade, kaum noch spürbares Tannin, ein langer eher zurückhaltender aber sehr harmonischer Abgang. Die Aufzählung der aromatischen und gustatorischen Eigenschaften alleine reicht nicht, um ihn zu beschreiben, man schließe die Augen und denke sich in das große Cabernet Franc Feld hinter dem Fasskeller, man steht vor der imposanten Immobilie, die noch bewohnt ist, der SudOuest klemmt hinter der Türklinke, der Bäcker hat das Baguette daneben gelegt, die Morgensonne gewinnt Kraft, man riecht diese wunderbaren Weingutsgerüche, junger Wein, Holz, Erde. Dieser Wein kann seinen Freund mit auf eine Reise durchs Emilion nehmen….

Prost!
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harti

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Re: Heute im Glas ..... 1989 Figeac

BeitragDi 22. Feb 2011, 10:35

Hallo Susa,

bei Deinen letzten Zeilen gerät man glatt ins Träumen. Vielen Dank für die schöne VKN und dafür, dass Du unser junges Forum auch als Administratorin unterstützen wirst.

Grüße

Hartmut
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austria_traveller

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Re: Heute im Glas ..... 1989 Figeac

BeitragDi 22. Feb 2011, 11:29

Wunderbar, man schließt die Augen und sieht sich mittendrin, ich spüre fast die Sonne ....
Beste Grüße
Gerhard aus Wien
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Grenache

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Re: Heute im Glas ..... 1989 Figeac

BeitragDi 22. Feb 2011, 11:35

Schöner Einstand, danke susa!

Parker verreisst ihn ja nicht unbedingt, er windet sich wie ein Aal, da er ihn sehr früh beurteilt hat und ihn noch nicht genau einschätzen kann: "Meine Erfahrung sagt mir jedoch, daß der Figeac im Jungzustand schwer zu beurteilen ist und überraschend eine 180°-Wende in der Qualität ausführen kann. Berrücksichtigt man das, dann dürfen diese Notizen nur als vorläufige Einschätzung verstanden werden."
Lertzte Verkostung 4/91, voraussichtliche Genußreife: jetzt bis 2002 (Quelle: R.M. Parker jr., Bordeaux, Seite 810)

Michael Broadbent umschmeichelt diesen Wein geradezu nach einer Verkostung im Okt. 2001.

So unterschiedlich können Weinbeurteilungen sein. ;)

Gruß, Grenache
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susa

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Re: Heute im Glas ..... 1989 Figeac

BeitragDi 22. Feb 2011, 12:03

Moin Grenache

meine Wahrnehmung ist, dass Parker mit diesem Château niemals richtig warm geworden ist. Ein Figeac ist halt keiner von den weich-samtigen schmeichelnden Emilions, sondern eher männlich-muskulös und diese Stallnote mag ja auch nicht jedermanns Sache sein. Gerade bei seinen Figeac-Notizen habe ich oft gedacht, dass die Beschreibung fast perfekt auf den Punkt ist aber die Bewertung überhaupt nicht dazu passt und wenn die gleiche Beschreibung für einen sagen wir mal Cos gewesen wäre, mindestens zwei oder drei Punkte mehr dabei rausgekommen wären.

Aber nun soll es hier nicht unbedingt in einer Parkeranalyse enden, viel mehr würde ich gerne noch ein paar zündende Repliken auf diese "Schmeckst Du das wirklich raus?"-Frage zusammenbekommen. ;)

lieben Gruß
susa
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octopussy

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Re: Heute im Glas ..... 1989 Figeac

BeitragDi 22. Feb 2011, 12:21

susa hat geschrieben:"Schmeckst Du da wirklich einen Unterschied?"

Ja, und es wäre jammerschade, so viel davon zu trinken, bis ich den Unterschied nicht mehr merke ;).
Beste Grüße, Stephan
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thvins

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Re: Heute im Glas ..... 1989 Figeac

BeitragDi 22. Feb 2011, 12:39

Hallo allerseits,

dieses wunderbare Thema, welches Susa anriß, kannte auch ich nur zu gut - mitleidig belächelt und als in der Tendenz zum Snob gestempelt, fühlt man sich nach derlei Kommentaren einer kompromißlosen Umwelt unverstanden und einsam - und öffnet sich einen Wein, der in der Lage ist, nicht nur zu trösten, sondern zu kommunizieren... Nicht, dass ich dann mit der Weinflasche gesprochen hätte, aber ich habe ihrem Inhalt lauschen gelernt.

Und dann kam da die Ära der Begegnung Internet. Und plötzlich ein Weinforum namens TAW.

Schon in meiner Anfangszeit war Susa da, quasi bereits als "weiser Wein-Nacht-Uhu" und ein Grund, dort gern zu lesen... Irgendwann war Susa weggeflogen, wer weiß, warum. Bei TAW jedenfalls ein Verlust für mich und sicher viele andere. Irgendwann las ich sie dann oft wie ein heimlicher Verehrer auf Chefkoch, ihrer neuen Schreibheimat.

Nun ist sie hier eingekehrt, wieder dabei wie viele andere mir wertvolle Schreiber aus früheren Tagen bei TAW, wie Markus, Bernd und Felix - die von TAW zu den Weinfreaks wechselten und die jetzt auch hier unser noch junges Projekt wieder bereichern.

Alles Gute findet sich immer wieder zusammen, die einst einsamen Seelen haben sich hier dank des Internets gefunden, um mit "Gleichtickenden" ihre Leidenschaft zu teilen, virtuell und immer öfter in der Realität gemeinsamer Verkostungen. Dazu ist es gut, dazu findet sich, was sich zu finden bestimmt ist. Und wird Bestandteil eines schönen Lebens, wo aus Freaks Freunde werden. Die für ein paar Weine miteinander Hunderte Kilometer reisen, die stundenlang miteinander telefonieren, die gemeinsam auf Entdeckungsreise gehen...

"Wir legen ab und fahrn nach Singapur, mit nem Schiff aus schäbigem Holz, auch wenn der Wind uns das Segel zerreißt, wir müssen weiter, immer weiter - was solls..."

Norbert Leisegangs Liedzeilen passen jetzt grad zu dieser Schreib-Stimmung von mir, mit der ich ausdrücken möchte, wie sehr ich mich freue, dass mit Susa jetzt auch eine weibliche Lichtgestalt Mitverantwortung für unser junges Projekt übernehmen möchte - welches so richtig war, wenn man sieht, wer alles sich wieder einfindet...

Danke Susa - und welcome home.
Beste Grüße

Torsten

http://www.torsten-hammer-priorat-guide.com
jetzt mit richtiger Startseite...
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BerlinKitchen

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Re: Heute im Glas ..... 1989 Figeac

BeitragDi 22. Feb 2011, 12:43

In 2005 war Eric d’Aramon zu Gast in Berlin und präsentierte diverse gereifte Exemplare. 82 und 83 war göttlich. 86 sehr gut und 2000 ganz großartig.

Eric d’Aramon erzählte auch eine vielsagende Anekdote. Als er zum ersten Mal für einen Jahrgang verantwortlich war konnte er tagelang nicht schlafen, da er so große Angst hatte vor seinem berühmten Schwiegervater Monsieur Manoncourt zu bestehen.

Grüße aus der Hauptstadt,
Martin
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Fotomanni

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Re: Heute im Glas ..... 1989 Figeac

BeitragDi 22. Feb 2011, 13:02

Hallo Susa,

was freue ich mich wieder eine Wein Colummne von dir lesen zu können. Egal ob mir der Wein gerade zusagt oder nicht es ist immer ein Vergnügen deine Artikel zu lesen.

Viele Grüße vom Rand der Welt
Manfred
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dazino

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Re: Heute im Glas ..... 1989 Figeac

BeitragDi 22. Feb 2011, 14:40

Hoi Susa

Das mit den mitleidigen Blicken kenne ich leider nur zu gut. Als ich einmal vor lauter Euphorie über ein Schnäppchenkauf eines guten Bordeaux in der Geschäftskantine erzählte und die Fragen nach dem Preis mit Sfr. 30.00 beantwortet wurde mir doch tatsächlich gratuliert. Die Blicke die ich bekam nach dem meine Kollegen erfahren hatten, dass der Preis pro Flasche und nicht pro Karton war, werden mich wohl mein Leben lang verfolgen. :oops:

Nachdem ich noch Phrasen wie "ich kenne mich zwar nicht aus mit Wein, weiss aber ob er mir schmeckt oder nicht" gehört hatte ist das Gesprächsthema Wein für mich in der Kantine gegessen. ;)

Das einzige gute an dieser Geschichte ist, dass ich nun als "Weinkenner" bei jedem Firmenanlass den Wein aussuchen darf.

Gruss
David
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