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Auf ein Glas ..... 2012 Cuvée Bailly, AOC Provence

eingeschenkt von: susa – Plaudereien über Gott und die Welt und auch über Wein
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susa

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Auf ein Glas ..... 2012 Cuvée Bailly, AOC Provence

BeitragDi 4. Jun 2013, 08:58

Früher war ja alles besser. Die Winter waren noch richtige Winter und wussten, wann sie aufzuhören hatten und auch die anderen Jahreszeiten benahmen sich, wie man es von ihnen erwartet. Und "die Jugend" auch, die grüßten noch auf der Straße, waren ohne Widerrede um halb zehn abends zu Hause und schrieben alle nur Bestnoten. Jedenfalls soweit es sich bei der Jugend von damals um eigene Eltern oder sonstige Autoritätspersonen handelte.

Und natürlich probierten die auch gar niemals nicht an irgendwelchen verbotenen oder nicht altergemäßen Substanzen, sogar Coca Cola gab's erst ab 16 und ohne Murren. Und der erste Wein war mindestens eine Rieslingspätlese aus der Steillage, ein klassifiziertes bordelaiser Gewächs oder ein Geheimtipp aus der Toskana – aber mitnichten eine fragwürdige Discounterkreszenz. Nein, die Jugend von damals wusste jederzeit was sich gehört und sich zu benehmen, hatte Stil, Manieren, Geschmack … und so weiter.

Halten wir der Jugend von damals zugute, dass sich in der Erinnerung so manches verklärt und dass das menschliche Gehirn die zauberhafte Eigenschaft besitzt, unangenehme Dinge nach einiger Zeit in weit entfernten Speichern abzulegen. Jedenfalls, solange sie einen selber betreffen. Dass der geliebte Gatte doch damals vor Jahren durch seinen Unwillen, anzuhalten und nach dem Weg zu fragen, einen ganzen Urlaubstag ruiniert hat und das Hotelzimmer dann vergeben war, das ist unauslöschlich im Kurzzeitgedächtnis verankert und bricht unbarmherzig bei jeder sich bietenden Gelegenheit an die Oberfläche.

Bei der Gelegenheit kann ich der Vorsehung nicht genug danken, dass es inzwischen Navigationsgeräte und Mobiltelefone gibt, mittels derer man eine solche Situation weitest gehend entschärfen kann. Nach meiner Theorie hat die automobile GPS-Navigation, die mobile Telefonie sowie die flächendeckende Ausstattung der Kraftfahrzeuge mit Klimaanlagen mehr Beziehungen gerettet oder erst gar nicht gefährdet als alle Psychologen und Ratgeber dieser Welt zusammengenommen. Wer auch nur einmal vier Stunden bei 38 °C Außentemperatur im Stau auf der falschen Autobahn gestanden hat, weiß wovon ich schreibe.

Und so kann ich berichten, dass mein Urlaub, von dem ich nun erholt, entspannt und zart gebräunt zurück bin, ganz besonders schön war – wie jedes Jahr eigentlich. Auch der Mai hat sich im Großen und Ganzen so benommen, wie man es dort unten an der Côte d'Azur von ihm erwartet, es hat ein bisschen geregnet (das macht es immer gerne wahlweise wenn in Cannes die Filmfestspiele eröffnet werden oder wenn in Monaco das Formel1-Rennen läuft). Die Sonne hatte allerdings schon richtig Kraft und wenn dieser doofe Mistral nicht gewesen wäre, der alle paar Tage wieder von den Bergen runterkam und uns wegwehte (und alles ziemlich abkühlte), es wäre bestimmt langsam zu warm geworden.

Und jeden Tag nur am Strand liegen und am Meer entlanglaufen ist ja auch langweilig (nein, ist es eigentlich nicht) und die Gegend bietet so vieles, gewaltige Natur, Kultur, gutes Essen, guten Wein (den man sich allerdings manchmal ein wenig mühsam aus den vielen belanglosen heraussuchen muss) und Boule.

Boule ist genau das Richtige für gestresste Manager. Man spielt es jeden Abend zwischen 16:00 und 20:00 Uhr und es bildet einen wunderbaren Übergang vom Tag in den Abend. Es wird auf einem unebenen Terrain gespielt und es sieht so einfach aus, aber es hat seine Tücken. Vor allem, wenn man seine eigene Kugel mit geradezu unnachahmlichem Geschick ganz nah an das kleine Schweinchen gelegt hat und dann der große Zampano des Gegenteams kommt und mit einem gezielten Wurf das ganze Arrangement zerstört, auch wenn er bzw. seine Mannschaft gar nichts davon hat. Und niemand rastet dann aus, es gibt keine Fouls und auch keinen Schiedsrichter. Es regelt sich alles irgendwie, einer hat – falls die Fußmessung nicht exakt genug ist – ein Maßband dabei und wenn's ganz hart auf hart kommt, bittet man einen Spieler der Nachbarpartie um ein salomonisches Urteil. Und das wird dann akzeptiert. So etwas stelle man sich hierzulande auch nur bei einem Übungsspiel der F-Jugend im Fußball vor – undenkbar, eher heiratet der Papst.

In dieses Land gehört der Rosé wie das Bier zu Bayern, Grundnahrungsmittel, bei keiner Mahlzeit wegzudenken (außer dem Frühstück, aber ein ordentliches französisches Frühstück besteht eh nur aus einem Kaffee und einer Zigarette, o.k. ein bisschen Baguette oder ein Croissant dazu, Mutter schaut sonst so streng). Selbst gestandene Bauarbeiter nehmen im Bistro zur plat du jour ein Glas Rosé in ihre schwieligen Hände und auch die Angestellten der benachbarten Bank komplettieren ihr Mittagsmahl mit einem Pichet du Rosé.

Da gilt Rosé weder als uncool noch als reines Mädelsgetränk. Das wird er erst, wenn er in Form des "Piscine" daherkommt, d.h. mit Eiswürfeln und Strohhalm. Dann steht er sicherheitshalber auch nicht mehr unter Wein in der Karte, sondern wird zu den Erfrischungsgetränken gezählt. Und auf einmal ertappt man nachgewiesene Roséverächter dabei, wie sie ab Mitte der zweiten Urlaubswoche auf einmal einen Rosé zum Essen bestellen oder beim Einkaufen ganz beiläufig sagen "Wir müssen (man beachte: müssen!!!) noch eine Flasche Rosé mitnehmen!" Mein persönlicher Roséskeptiker hat allerdings dabei die These aufgestellt, dass man jeden Rosé nur einmal trinken solle, beim zweiten Mal würde er bei weitem nicht mehr so gut schmecken und an der frischen Luft schmecke er auch viel besser als in geschlossenen Räumen. Insofern sollte die ganze Skeptikerzunft vielleicht doch noch mal über das leidige Terrassenweinthemanachdenken und vielleicht die Bezeichnung Frischluftwein als zulässig erachten.

Eingeläutet haben wir die Rosésaison dieses Jahr mit

2012 Bailly Rosé
Château Minuty, AOC Provence


die einfachste Cuvée des Hauses aus den klassischen Rebsorten Grenache und Cinsault von zarter lachsrosa Farbe und einem frischen wenn auch nicht sehr intensiven Duft nach Blütenblättern und Zitrusfrüchten. Am Gaumen saftig, mit angenehm spritziger Säure, ein ganz klein wenig bonbonig und ein durchaus passabler Abgang.

Mehr gibt es über einen solchen Wein gar nicht zu sagen, er ist einfach, solide und schmeckt nach Sommer, nach frischer Meeresbrise, nach Klatschmohnblüte im Korkeichenwald, nach nassen Steinen am Strand und einem Glas an der Strandbude zu frisch gegrillten Makrelen, also kurz: nach Urlaub!
Red wine with fish. Well, that should have told me something.
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Gerald

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Re: Auf ein Glas ..... 2012 Cuvée Bailly, AOC Provence

BeitragDi 4. Jun 2013, 09:48

Hallo Susa,

wie immer ein sehr schöner Beitrag, der auch meinen (gerade zu Ende gegangenen) Urlaub quasi ein bisschen weiter verlängert hat ;)

Bei allem Segen der modernen Technik können die Navis aber auch durchaus das Gegenteil bewirken, nämlich Stress und potenziellen Ärger. Wenn man nämlich mit dem neuen Wohnmobil (ohnehin in weiser Voraussicht das kleinste am Markt gekauft, ist aber trotzdem noch ca. 30 cm breiter als ein normaler PKW) in eine gegenüber der Hauptstraße ein paar Meter kürzere Abkürzung gelotst wird, wo man dann nur mehr mit größter Mühe durchkommt bzw. wieder herauskommt ...

Aber zum Rosé: ich habe bisher den Eindruck gehabt, dass die hell lachsrosa Vertreter mir so überhaupt nicht schmecken mögen, am besten haben mir immer die mit einem kräftigen Hellrot bis Rosa gemundet. Reiner Zufall? Oder kann da etwas dran sein? Vielleicht davon abhängig, ob der Rosé nur "Nebenprodukt" (Saftabzug) der Rotweinproduktion ist oder doch als Hauptprodukt hergestellt wird? In der Provence war mein Favorit ein Rosé aus Vaison-la-Romaine, habe den Hersteller aber leider nicht notiert.

Grüße,
Gerald
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susa

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Re: Auf ein Glas ..... 2012 Cuvée Bailly, AOC Provence

BeitragDi 4. Jun 2013, 10:04

Das kann ich bei mir keine gerade Linie festmachen, ob hell oder dunkler. Jahrelang war mein absoluter Lieblingsrosé der von der Domaine de Lauzade bei Le Luc, der entspräche dann Deinen Farbvorlieben, der wunderbare Fruchtaromen und gute Struktur hatte. Seit etwa 4 oder 5 Jahren ist der zwar immer kräftig rosa und auch eher ins granatene denn ins lachsene aber schmeckt sowas von klebrig-dropsig, das geht gar nicht mehr. Und manche zarten (Château de Chausse, Pampelonne) sind wunderbar feingliedrig und elegant. Und der Rosé von Saint Pierre ist wiederum sehr kräftig rosa und auch sehr gut (da hat mich der Rote dieses Jahr enttäuscht).

Ich werde der Sache nächstes Jahr nachgehen ;).

lg
s
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