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Auf ein Glas ..... 2009 Baronnie Madeleine, Chinon

eingeschenkt von: susa – Plaudereien über Gott und die Welt und auch über Wein
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susa

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Auf ein Glas ..... 2009 Baronnie Madeleine, Chinon

BeitragDi 7. Mai 2013, 09:00

Ein beliebtes Totschlagargument in jeder Diskussion ist "Habt Ihr sonst keine Probleme?" Egal ob es um die EU-Saatrechtsreform geht oder die Angewohnheit der Nachbarin, ihre Wäsche hausordnungswidrig auf dem Balkon zu trocknen. Was regt Ihr Euch auf, habt Ihr sonst keine Probleme? Pferd in der Lasagne und Hormone im Kalb, und der Nachbar wäscht trotz Verbot immer noch jeden Samstag seinen Wagen auf der Straße, stellt Euch nicht so an, seid doch selber schuld, Geiz ist geil, typisch deutsch und habt Ihr sonst keine Probleme?

Nun wird mal wieder die Geschichte vom bekömmlichen Wein aufgegriffen, der im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 so nicht beworben werden darf, weil es sich um eine gesundheitsbezogene Aussage handelt und Wein da alkoholisches Getränk und Genussmittel natürlich keinen gesundheitlichen Nutzen haben kann, weil kein Medikament. Also gesetzlich gesehen. Allen französischen Parodoxa und den zahlreichen Studien zu Wein, Blutdruck, Herzperformance, Verdauung, Gehirnleistung etc. zum Trotz.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte es auch schon zu entscheiden, wer sich für die Details interessiert: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. Februar 2013 – 3 C 23.12. Und nun sage keiner, das hier sei kein Service orientiertes Forum. Husch, husch, liebe Winzer und Weinhändler, sofort ab ins Büro und Webseiten und Prospekte kontrollieren!

Habt Ihr sonst keine Probleme? ist man geneigt zu fragen, ist doch nur Werbung und wer glaubt die schon? Und eines Tages regeln wir uns noch mal zu Tode (gut, wenn wir nichts regeln, ist es mit der Unsterblichkeit auch nicht so weit her).

Immerhin sichert eine solche Verordnung das Überleben weiter Teile der Juristenschaft, die ja seit Jahren über nachlassende Geschäfte klagen. Denn so können sie mittels kleiner schnell gestrickter Programme (und manchmal reicht sogar schon Google) herausfiltern, welche Winzer oder Weinhändler auf ihren Webseiten Weine mit der bösen bösen Vokabel bewerben. Und so eine Abmahnung ist schnell geschrieben und bringt ebenso schnelles Geld. Und ist legal. Und richtig! Denn wo kämen wir dahin, wenn sich niemand mehr an Recht und Gesetz halten würde? Wozu sind Gesetze schließlich da? Habt Ihr sonst keine Probleme?

Darauf genehmige ich mir jetzt mal ein Glas Wein. Ich werde mich hüten, den als bekömmlich zu bezeichnen, nachher steh ich noch mit einem Bein im Knast. Ich bin ja kein millionenschwerer Steuerhinterzieher mit volkswirtschaftlicher Bedeutung, da kann man sich schon mal ein paar Unregelmäßigkeiten leisten. Aber so als Mensch? Besser nicht.

Ob ich wohlschmeckend schreiben darf? Das klingt mindestens ebenso nach abgespreiztem kleinen Zeigefinger wie bekömmlich und hat für mich genauso wenig das Zeug, mir einen Wein schmackhaft zu machen. Bekömmlich, da stehen unweigerlich klebrigsüße "Moseltröpfchen", "Mädchentraube", "Amselfelder" vor meinem geistigen Auge, Zunge und Nase. Jetzt mal ehrlich, würdet Ihr einen Wein probieren, weil er "bekömmlich" ist? Das wäre ja so als ob man Kaviar isst für seinen Magnesiumhaushalt. Das ist was für Leute, die sich eine Entschuldigung für ihren Genuss zurechtlegen müssen. "So ein Glas Wein soll ja gut sein für den Blutdruck! … und ich schlaf danach gut!" Nun ja, wer's braucht. Der isst wahrscheinlich auch Nutella wegen der gesunden Extraportion Milch.

Allerdings gibt es wirklich Weine, nach denen ich besonders himmlisch schlafe. Nie werde ich eine Urlaubsfahrt vergessen, bei der wir in Chinon (in der Touraine) Station machten und in einem netten kleinen Hotel landeten. Nach einem kleinen Stadtbummel und einem Essen in einem Restaurant, dessen Menü seinem Namensgeber Gargantua wohl auch gemundet hätte, ließen wir uns noch eine halbe Flasche Wein servieren, natürlich einen Roten aus der Gegend, was in Chinon Cabernet franc bedeutet.

So gut habe ich noch nie in einem Hotel geschlafen und ich bin sicher, der Wein hatte seinen Anteil daran, denn normalerweise ist die erste Nacht in einem ungewohnten Bett für mich nie sehr erholsam. Und deswegen haben wir seitdem immer eine Flasche Chinon im Haus, also nicht nur deswegen, reine Cabernet francs können durchaus Trinkvergnügen bereiten. Allerdings hat man manchmal den Eindruck, die Chinons hängen so ein wenig zusammenhanglos zwischen Bordeaux und Loire und haben es schwer, ein eigenständiges Profil zu entwickeln. Wenn man Pech hat, gerät man dann an einen eher ruppigen, wenig charmanten Vertreter. Lange Zeit war der Château de la Grille der Chinon-Standard in unserem Keller, immer eine solide Bank, bis der einschlägige Händler seinen Laden zusperrte.

Auf gleichem Niveau findet sich auch

2009 Baronnie Madelaine
Couly-Dutheil, Chinon AOC


der schwarzkirschrot fast ein wenig schwer im Glas liegt und sehr fein nach Erdbeeren und gekochten roten Früchten duftet, auch etwas Blütenduft und Noten von grünem Tee schwingen mit. Im Mund fühlt man samtige Kraft, Tannine und eine fast metallische Kühle, neben Beerenaromen auch ein Hauch Lakritz, beendet wird durch Schluck von einem mittellangen recht kräftigen Abgang, die 14 vol% Alkohol geben ihm eine ordentliche Struktur.

Der Wein ist nicht für die lange Lagerung gedacht, nach ungefähr 5 Jahren sollte er ausgetrunken sein und im Augenblick scheint er auf dem Höhepunkt zu sein.
Red wine with fish. Well, that should have told me something.
James Bond in From Russia with Love

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