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Auf ein Glas ..... 1995 Château Gazin, Pomerol

eingeschenkt von: susa – Plaudereien über Gott und die Welt und auch über Wein
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susa

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Auf ein Glas ..... 1995 Château Gazin, Pomerol

BeitragDi 5. Feb 2013, 10:37

Der arme Richard, ja der mit dem Pferd, für das er sein ganzes Königreich gegeben hätte. Man hat jetzt seine Leiche gefunden. Unter einem Parkplatz. Wenig königlich. Und die Redewendung "nur über meine Leiche" bekommt eine ganz wörtliche Bedeutung. Dein Auto willst Du abstellen? Nur über meine Leiche! Allerdings hat an dieser Stelle zu Zeiten seines Ablebens eine Kapelle gestanden.

Wie dem auch sei: Am Ende sind alle gleich ob König oder Bettler.

Besonders beliebt scheint der gute Richard auch nicht gewesen zu sein. Kein Wunder, wenn jemand gleich mal ein paar Jungs, die irgendeiner Erbfolge im Wege, standen, kurzerhand umbringen und irgendwo im Tower verscharren lässt. Diese Leichen wurden ja auch erst Jahre später gefunden.

Und so starb der gute Richard wie er gelebt hatte, in der Schlacht geschlagen, von Heinrich VII, dem er wiederum im Wege stand. Und der hat es sich, wie die anschließenden Forschungen bestätigten, nicht nehmen lassen, Richards Leiche noch ein wenig zu schänden und posthum einige gut erfundene Ungeheuerlichkeiten über Richards Lebenswandel und Geisteszustand zu streuen.

Wenn man das so liest oder sich eines der einschlägigen Shakespeareschen Dramen zu Gemüte führt, könnte man fast meinen, im Gegensatz dazu in vergleichsweise humanen und freundlicheren Zeiten zu leben. Vermutlich täuscht dieser Eindruck.

Mich faszinieren ja immer die Darstellungen des höfischen Lebens jener Tage. Kaum ein Film kommt ohne die üblichen Requisiten aus. König, Ritter, Minister und andere Getreuen sitzen um einen langen aus grobem Holz gehauenen Tisch, Schüsseln über Schüsseln mit Braten, Kapaunen und Schweinshaxen werden aufgetragen. Ein Vegetarier bekommt wahrscheinlich bereits beim Anblick Herpes.

Die Herren essen mit den Händen, die Damen stochern meistens ein wenig pikiert mit einem Löffeln in ihren irdenen Tellern herum.

Und dann wird, um sich auf bevorstehende Schlachten einzustimmen, aus großen Krügen Wein in silberne oder zinnene Becher gegeben und getrunken.

Wie der wohl geschmeckt hat? Obwohl das in dem Zusammenhang vollkommen egal ist, es geht um – heute würden man sagen – Teamgeist und Heraufbeschwören der Kampfmoral.

Deswegen war es zu jenen Zeiten auch recht einfach, missliebige Zeitgenossen mittels vergifteten Weines ins Jenseits zu befördern. Ein paar Kräutlein und Pilzabschnitte dem Getränk beigemischt, das hat eh keiner rausgeschmeckt, der Wein wurde sowieso ständig mit irgendwas versetzt, mit Kräutern, Früchten oder Honig, damit er irgendwie genießbar wurde.

Hier sind also ohne jeden Zweifel Fortschritte zu verzeichnen (auch wenn so mancher Organic Wine sich geschmacklich diesen Zeiten wieder annährt) und man ist geneigt, ein Loblied auf den Schwefel zu singen.

Bereits zu Richards Zeiten war in England der Wein aus Burgund bekannt und beliebt. Und wenn Shakespeare seinen King Lear von "waterish Burgundy" sprechen lässt (dorthin zieht ja seine Cordelia mit dem König von Frankreich, der sie auch ohne Mitgift zur Frau nimmt), dann meint er nicht den Wein, dann will er seiner Tochter die neue Heimat vermiesen, enttäuschte Vaterliebe halt. Auch wenn ein Burgunder heute noch so aussieht, als ob man einen Bordeaux mit ein wenig Wasser versetzt hätte.

Und wer sich Weinkenner oder Weinliebhaber nennt, würde niemals einen guten Wein, egal ob Bordeaux oder Burgunder mit Wasser mischen. Höchstens, um eindeutig einen Korkfehler nachzuweisen. Denn mit Wasserzugabe werden die typischen Kennzeichen verstärkt. Und den Wein trinkt man ja dann auch nicht mehr. Und ob man damit noch kochen soll (weil der Korkgeschmack bei höheren Temperaturen, also so ab 80°C verschwindet, oder auch nicht), mit der Diskussion kann man Weinforen, -blogs oder –facebookgruppen tagelang wunderbar beschäftigen.

Ich hatte am Wochenende auch so einen Kandidaten im Glas.

1995 Château Gazin
Pomerol


der duftet zunächst geradezu umwerfend fein, so direkt nach dem Korkenziehen, nach Cassislikör, nach Beeren, nach Gewürzen. Aber schon nach ein paar Minuten macht sich ein Muffton breit, der alle anderen Aromen überlagerte, den Gaumen beherrschte ein Medizinalton. Der Wassertest förderte auch nichts Eindeutiges zutage.

Wir waren schon richtig enttäuscht, ich formulierte bereits eine wohl gesetzt eMail an Monsieur de Bailliencourt des Inhaltes, wie man in seinem Hause mit Korkfehlern umzugehen gedächte und dass derartige Erlebnisse leider unsere Liebe zu seinen Erzeugnissen auf eine harte Probe stellen würde.

Erst mal aber der Griff zur Literatur, dort wird der Wein allenthalben, besonders von Gabriel, sehr gelobt. Und dann ein Blick in unsere Aufzeichnungen. Bisher vier Mal getrunken, drei Mal verzeichnet, dass der Wein zunächst abschreckend wirkte und nach etwa zwei bis drei Stunden Luft zu Hochform auflief.

Endlich hat sich diese akribische Buchführung mal gelohnt, Karaffe raus, Wein rein, mit dem 2011er SB I von von Winning die Wartezeit noch ein wenig überbrückt.

Nach gut zwei Stunden nächster Versuch: Der Muffton ist nun kaum noch erkennbar, dafür ist diese absolut verführerische Nase auch ein wenig schwächer geworden, was allerdings auf hohem Niveau geklagt ist. Immer noch feine Beerennote, nun auch etwas Tee, Gewürz und Holz, am Gaumen wirkt der Wein nun straff und elegant, die feine Trüffelnote, die ich bei reifen Gazins so schätze, zeigt sich, ein wenig Brombeer, dazu Schokolade, Karamell, Pflaumenmus, Tabak und ein recht langer Abgang. Nach gut vier Stunden, endlich, ist der Muffton komplett verschwunden und es zeigt sich ein wunderbar reifer, eleganter Wein.
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Re: Auf ein Glas ..... 1995 Château Gazin, Pomerol

BeitragDi 5. Feb 2013, 21:02

Liebe Susa,

ich bin ja noch sehr neu hier, aber durch Deine Kolumne "Auf ein Glas..." habe ich mich schon ordentlich "durchgestöbert". Einfach rundum zauberhaft und ungemein trinkanimierend! Und mit superpraktischen Genusstips... Sollte ich vielleicht gelegentlich den 95er Gazin auch nochmal genießen (3 Fläschchen schlummern noch im Keller.) ? Hatte ihn zuletzt im November 2011 im Glas, sehr vielversprechend und toll zu genießen, aber im Vergleich zu meinem heiß geliebten 90er hätte ich ihm da noch ein paar Jährchen bis zur optimalen Genussreife gegeben. Fand ihn da im Direktvergleich noch nicht ganz auf Augenhöhe mit dem 90er und dem bislang erst einmal getrunkenen 89er. Was meinst Du?

Mit Gazinfreundlichen Grüßen :D
Armin
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susa

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Re: Auf ein Glas ..... 1995 Château Gazin, Pomerol

BeitragDo 7. Feb 2013, 08:58

...oups, Bordeaulover, fast hätte ich Deine Fragen übersehen:

Gegen einen Genuss spricht des 95er spricht nichts, der Wein ist schön gereift und derzeit auf dem Höhepunkt, solltest Du auch so einen Muffton haben, der sich nicht als Korkschmecker entpuppt (Wassertest!), dann gib ihm Luft, Luft, Luft.

Den 89er hatte ich auch schon länger nicht mehr, in meinen Notizen 2010 (da hab ich ihn zuletzt getrunken) habe ich notiert "noch max 2 Jahre", danke fürs Erinnern, da werd ich den wohl in nächster Zeit nochmal probieren. Der 90er hab ich nur einmal auf einer Verkostung probiert und war gleich verliebt in diesen Wein, leider nichts im Keller - aber ich würde den jetzt auch mal probieren, er ist sicher von den drei genannten Jahrgängen der beste.

lieben Gruß
susa
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susa

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Re: Auf ein Glas ..... 1995 Château Gazin, Pomerol

BeitragFr 8. Feb 2013, 21:29

Und noch ein Nachtrag, @bordeauxlover.

Heute haben wir die vorletzte Flasche 89er Gazin geöffnet, siehe hier viewtopic.php?p=52264#p52264

lieben Gruß
susa
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Rieslingmaster

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Re: Auf ein Glas ..... 1995 Château Gazin, Pomerol

BeitragSa 9. Feb 2013, 23:18

also also Susa, ich finde den 95er Gazin definitiv noch massiv zu jung, ich frage mich sehr wo du da einen reifen Wein findest :roll:
Hoffe dein Keller ist kein Brutkasten :lol:

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