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Auf ein Glas ..... 2009 Tradition Le Grand Montmirail

eingeschenkt von: susa – Plaudereien über Gott und die Welt und auch über Wein
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susa

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Auf ein Glas ..... 2009 Tradition Le Grand Montmirail

BeitragDi 8. Jan 2013, 09:53

Tradition ist Schlamperei (resp. in Langform: "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei.") – soll Gustav Mahler gesagt haben. Wobei man Theaterleute im Zweifel durch jeden anderen Berufsstand ersetzen kann. Wahrscheinlich hatte vorher irgendein Wiener oder New Yorker Philharmoniker gewagt anzumerken, das habe man bisher aber immer so/ nie so gemacht. Da kann man als Chef schon mal die Nerven verlieren. Auch der Spruch, Tradition sei die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche, wird Mahler zugeschrieben; allerdings muss er sich die Autorenschaft noch wahlweise mit Benjamin Franklin, Ricarda Huch, Jean Jaurès oder Papst Johannes XXIII teilen.

Was lernen wir daraus? abgesehen davon, dass Sprüche vor allem in Zeiten des Internets ein interessantes Eigenleben führen. Mit der Tradition ist es wie mit vielen Dingen im Leben, ohne geht es nicht, aber mit auch nicht unbedingt. Viele Traditionen, egal ob "Dinner for one" an Silvester, die "sieben Wochen ohne" (Alkohol, Internet, Essen gehen, Kino usw.) in der Fastenzeit, sind uns ein verlässlicher Meilenstein, der unser Leben in überschaubare Abschnitte teilt. Tröstlich zu wissen, dass irgendetwas Bestand hat, wenn sich um uns herum alles schneller ändert, als wir es erfassen können. Und ärgerlich, wenn die ständige Wiederholung eines Rituals anfängt an den Nerven zu zerren, wie das tägliche Weihnachtsfest für Tante Mila in Heinrich Bölls "Nicht nur zur Weihnachtszeit…"

Bei Wein scheint Tradition durchaus positiv belegt zu sein. Traditionelle Methoden zeichnen nicht nur Champagner aus, der Verzicht auf allerlei neumodische Sperenzien ist allenthalten positiv konnotiert. Vor allem bei den Flaschenetiketten scheinen sich in weiten Teilen der Weinwelt die Traditionalisten durchzusetzen.

Wohl deshalb nennen Winzer ihre Weine auch gerne "Tradition", "Cuvée Tradition" usw. das zieht. Der Kunde sieht vor seinem geistigen Auge den Winzer und seine Mannen (und Frauen) durch die Rebzeilen schreiten, mit schmutzig-schwieligen Händen die Trauben schneidend, die Frauen mit geschürzten Röcken und nackten Füßen die Trauben tretend, dabei überliefertes Liedgut absondernd, große Holzfässer, Kerzen im Kellergewölbe. Romantik, Idylle, Tradition. Stahltanks und Computersteuerung passen nicht so recht in Bild.

Aber mit der Tradition ist es wie mit allem im Leben. Hin und wieder muss mal ordentlich ausgemistet werden und alles, was nur Ballast ist, muss weg, und alles, was einen Sinn oder Nutzen hat, darf bleiben. Trennen tut manchmal weh, aber die Narben verheilen und die leeren Stellen füllen sich schnell wieder mit Neuem.

Unsere familiäre Silvestertradition will ich allerdings nicht mehr missen: Seit dem Jahreswechsel auf Y2K feiern Herr susa und ich allein zu Haus. Zu besagtem Jahreswechsel wurde ich von meinem Arbeitgeber auf Bereitschaft gehalten, falls es wegen Datumswechsels zum Ausfall von allen Systemen angefangen von der Aufzugsteuerung bis zum Fernmeldesatelliten kommen würde oder der SuperGAU, wenn in der Pförtnerloge die Kaffeemaschine ihren Dienst aufgäbe. Und deswegen war nix mit Party und Champagner bis zum Abwinken, aber nachdem um halb eins immer noch kein Anruf kam, haben wir uns dann einen Bordeaux gegönnt. Man erinnere sich, war ja alles halb so wild (das Chaos bei der Einführung von SAP war zwar nicht mit dieser Vehemenz befürchtet, ist deswegen aber umso wuchtiger über uns hergefallen ;) ). Aber es war so gemütlich zu Hause. Fondue für zwei, in den Folgejahren dann eine richtig tolle Flasche Wein (oder auch zwei), und dann zum Meditieren eine gute Zigarre und später das Feuerwerk der anderen bewundern. In diesem Jahr so mein Eindruck war es so gewaltig wie noch nie. Selbst aus normalen Mehrfamilienhausbalkons schossen die Raketen in wohldurchdachter Choreographie in den Himmel. Dazu haben wir eine feine Musik aufgelegt (ich mag in dem Zusammenhang ja gerne den ersten Marsch der Pomp and Circumstance von Elgar, lieber jedenfalls als das traditionelle Auld lang syne). Und ein roter Slip unter der Jeans kann ja nicht schaden.

Beim letzten Kelleraufräumen (auch so eine traditionelle Beschäftigung zwischen den Jahren bevor die neue Sublieferung anrollt, muss Platz geschaffen werden) sind mir dann auch ein paar Traditionsweine in die Hände gefallen, unter anderem

2009 Tradition Le Grand Montmirail
Domaine Brusset, Gigondas

Ich meine ja, der hätte früher, so bis 2003 oder 2004 einfach nur Le Grand Montmirail geheißen ohne Tradition dafür mit einer stilisierten Silhouette der Dentelles de Montmirail auf dem Etikett und mein Eindruck ist auch nicht, dass er jetzt irgendwie großartig anders wäre, jetzt wo er Tradition heißt.

Vielleicht heißt er Tradition, weil alle traditionellen Rebsorten des Midi in ihm versammelt sind, hauptsächlich Grenache, sowie Syrah, Mourvèdre und Cinsault. Die Weingärten liegen auf kieshaltigen Terrassen nach Süden ausgerichtet und es weht immer ein ordentlich frischer Wind (jedenfalls immer, wenn ich da bin) und ganz von weitem kann man sogar die Rhône sehen und in der Nähe ein anderes kleines Flüsschen. Eine faszinierende Gegend, ein wenig wild und ungestüm, die knorrige Syrahrebe passt nirgendwo besser hinein.

Der Wein wird zu etwa 60% im Stahltank ausgebaut und die restlichen ca. 40% in gebrauchten Demi-Muid (2-4 Jahre), ein Maß, das im Châteauneuf-du-Pâpe und umgebenden Anbaugebieten noch Tradition hat, es bezeichnet ein Holzfass von 650 (demi-muid) oder 1300 (muid) Litern, oder 270 (540) Litern. Ich hab es ehrlich gesagt nicht wirklich herausgefunden. Beim nächsten Mal frag ich vor Ort nach. Oder der Grenache schaut hier mal rein und erklärt es, der weiß das bestimmt.

Nun aber zurück zum Wein. Der ist von einem dunklen Granatrot und duftet nach Kirsche, Kräutern, Holz, ein wenig erdig, am Gaumen kraftvoll und noch recht intensives Tannin, durchaus elegant, nun schmeckt man auch Brombeeren, Pflaumenmus, eine angenehme weil nicht zu dominante Holznote, etwas Lakritz und ein langer Abgang.

Prost!
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Grenache

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Re: Auf ein Glas ..... 2009 Tradition Le Grand Montmirail

BeitragDi 8. Jan 2013, 18:49

Y2k ist mir auch noch in übler Erinnerung, ein ganzes Jahr habe ich damit zugebracht, Fallstudien für einen Kunden zu erarbeiten und am besagten Tag beim Kunden anwesend zu sein, um den von vielen prophezeiten Weltuntergang im technischen Anlagenwesen zu verhindern. Ein einziger Laptop mit unwesentlichen Personaldaten setzte sich dann auf das Jahr 1900 zurück, das war's. Jedenfalls gab es nach Mitternacht ein anständiges Buffet, an dem nichts fehlte.
Ein Demi-Muid ist ein 600l-Faß und findet u.A. traditionell in Châteauneuf-du-Pape und Gigondas Anwendung beim Ausbau der Rotweine.
Die Domaine Brusset ist in Cairanne beheimatet, in Gigondas hat sie am Place de la Mairie nur einen Verkaufsraum.
Diese Cuvée (70% Grenache, 10% Mourvèdre, 10% Syrah, 10% Cinsault) hieß bis ca. 2000 Le Grand Montmirail, ab 2002 taucht der Name Tradition Le Grand Montmirail auf. Die Tradition kann man hier allerdings in Frage stellen, vielleicht soll sie nur verkaufsfördernd sein. Tradition in Gigondas pflegt allenfalls noch die Domaine de Cayron.
Die Domaine Brusset stellt einen weiteren, besseren Gigondas her: Les Hauts de Montmirail.

Gruß, Grenache
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susa

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Re: Auf ein Glas ..... 2009 Tradition Le Grand Montmirail

BeitragDi 8. Jan 2013, 20:29

Der Hauts de Montmirail kommt bei mir auch regelmäßig in den Keller. Ich wollte auch lediglich ausdrücken, dass es sich bei dem Wein um einen Gigondas handelt und nicht den Sitz des Produzenten angeben. Der Verkaufsraum daselbst stellt jedenfalls die schräg gegenüber liegende Maison du Vin erst mal in den Schatten. ;)

Danke für die Fassaufklärung.

susa
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Grenache

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Re: Auf ein Glas ..... 2009 Tradition Le Grand Montmirail

BeitragMi 9. Jan 2013, 00:03

Inspiriert und vor einigen Stunden geöffnet:
2001 Les Hauts de Montmirail 13,5%
Domaine Brusset, Vigneron à Cairanne

In der Nase Kakao und getrocknete Früchte, am Gaumen dominieren schwarze Kirschen. Tiefdunkel im Glas mit ganz leichtem Wasserrand, kein bisschen müde, sehr frisch und fruchtig.
Bei einem guten Gigondas muß man Geduld zeigen, in jungen Jahren ist er im Gegensatz zu einem jungen Châteauneuf du Pape wenig zugänglich, oft sogar ruppig. Jetzt zeigt er sich nach 11 Jahren von seiner geschmeidigen Seite, sehr elegant und weich, zu Wild ein hervoragender Begleiter, aber eben, wie jetzt, zu einem Happen Comté ein schöner Feierabendwein.
Die Weine dieser Domaine werden sehr häufig im Guide Hachette hoch bewertet und ich kaufe sie recht oft vor Ort für wenig Geld.

Gruß, Grenache
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