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Tradition ist Schlamperei (resp. in Langform: "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei.") – soll Gustav Mahler gesagt haben. Wobei man Theaterleute im Zweifel durch jeden anderen Berufsstand ersetzen kann. Wahrscheinlich hatte vorher irgendein Wiener oder New Yorker Philharmoniker gewagt anzumerken, das habe man bisher aber immer so/ nie so gemacht. Da kann man als Chef schon mal die Nerven verlieren. Auch der Spruch, Tradition sei die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche, wird Mahler zugeschrieben; allerdings muss er sich die Autorenschaft noch wahlweise mit Benjamin Franklin, Ricarda Huch, Jean Jaurès oder Papst Johannes XXIII teilen.
Was lernen wir daraus? abgesehen davon, dass Sprüche vor allem in Zeiten des Internets ein interessantes Eigenleben führen. Mit der Tradition ist es wie mit vielen Dingen im Leben, ohne geht es nicht, aber mit auch nicht unbedingt. Viele Traditionen, egal ob "Dinner for one" an Silvester, die "sieben Wochen ohne" (Alkohol, Internet, Essen gehen, Kino usw.) in der Fastenzeit, sind uns ein verlässlicher Meilenstein, der unser Leben in überschaubare Abschnitte teilt. Tröstlich zu wissen, dass irgendetwas Bestand hat, wenn sich um uns herum alles schneller ändert, als wir es erfassen können. Und ärgerlich, wenn die ständige Wiederholung eines Rituals anfängt an den Nerven zu zerren, wie das tägliche Weihnachtsfest für Tante Mila in Heinrich Bölls "Nicht nur zur Weihnachtszeit…"
Bei Wein scheint Tradition durchaus positiv belegt zu sein. Traditionelle Methoden zeichnen nicht nur Champagner aus, der Verzicht auf allerlei neumodische Sperenzien ist allenthalten positiv konnotiert. Vor allem bei den Flaschenetiketten scheinen sich in weiten Teilen der Weinwelt die Traditionalisten durchzusetzen.
Wohl deshalb nennen Winzer ihre Weine auch gerne "Tradition", "Cuvée Tradition" usw. das zieht. Der Kunde sieht vor seinem geistigen Auge den Winzer und seine Mannen (und Frauen) durch die Rebzeilen schreiten, mit schmutzig-schwieligen Händen die Trauben schneidend, die Frauen mit geschürzten Röcken und nackten Füßen die Trauben tretend, dabei überliefertes Liedgut absondernd, große Holzfässer, Kerzen im Kellergewölbe. Romantik, Idylle, Tradition. Stahltanks und Computersteuerung passen nicht so recht in Bild.
Aber mit der Tradition ist es wie mit allem im Leben. Hin und wieder muss mal ordentlich ausgemistet werden und alles, was nur Ballast ist, muss weg, und alles, was einen Sinn oder Nutzen hat, darf bleiben. Trennen tut manchmal weh, aber die Narben verheilen und die leeren Stellen füllen sich schnell wieder mit Neuem.
Unsere familiäre Silvestertradition will ich allerdings nicht mehr missen: Seit dem Jahreswechsel auf Y2K feiern Herr susa und ich allein zu Haus. Zu besagtem Jahreswechsel wurde ich von meinem Arbeitgeber auf Bereitschaft gehalten, falls es wegen Datumswechsels zum Ausfall von allen Systemen angefangen von der Aufzugsteuerung bis zum Fernmeldesatelliten kommen würde oder der SuperGAU, wenn in der Pförtnerloge die Kaffeemaschine ihren Dienst aufgäbe. Und deswegen war nix mit Party und Champagner bis zum Abwinken, aber nachdem um halb eins immer noch kein Anruf kam, haben wir uns dann einen Bordeaux gegönnt. Man erinnere sich, war ja alles halb so wild (das Chaos bei der Einführung von SAP war zwar nicht mit dieser Vehemenz befürchtet, ist deswegen aber umso wuchtiger über uns hergefallen ). Aber es war so gemütlich zu Hause. Fondue für zwei, in den Folgejahren dann eine richtig tolle Flasche Wein (oder auch zwei), und dann zum Meditieren eine gute Zigarre und später das Feuerwerk der anderen bewundern. In diesem Jahr so mein Eindruck war es so gewaltig wie noch nie. Selbst aus normalen Mehrfamilienhausbalkons schossen die Raketen in wohldurchdachter Choreographie in den Himmel. Dazu haben wir eine feine Musik aufgelegt (ich mag in dem Zusammenhang ja gerne den ersten Marsch der Pomp and Circumstance von Elgar, lieber jedenfalls als das traditionelle Auld lang syne). Und ein roter Slip unter der Jeans kann ja nicht schaden.
Beim letzten Kelleraufräumen (auch so eine traditionelle Beschäftigung zwischen den Jahren bevor die neue Sublieferung anrollt, muss Platz geschaffen werden) sind mir dann auch ein paar Traditionsweine in die Hände gefallen, unter anderem
2009 Tradition Le Grand Montmirail
Domaine Brusset, Gigondas
Ich meine ja, der hätte früher, so bis 2003 oder 2004 einfach nur Le Grand Montmirail geheißen ohne Tradition dafür mit einer stilisierten Silhouette der Dentelles de Montmirail auf dem Etikett und mein Eindruck ist auch nicht, dass er jetzt irgendwie großartig anders wäre, jetzt wo er Tradition heißt.
Vielleicht heißt er Tradition, weil alle traditionellen Rebsorten des Midi in ihm versammelt sind, hauptsächlich Grenache, sowie Syrah, Mourvèdre und Cinsault. Die Weingärten liegen auf kieshaltigen Terrassen nach Süden ausgerichtet und es weht immer ein ordentlich frischer Wind (jedenfalls immer, wenn ich da bin) und ganz von weitem kann man sogar die Rhône sehen und in der Nähe ein anderes kleines Flüsschen. Eine faszinierende Gegend, ein wenig wild und ungestüm, die knorrige Syrahrebe passt nirgendwo besser hinein.
Der Wein wird zu etwa 60% im Stahltank ausgebaut und die restlichen ca. 40% in gebrauchten Demi-Muid (2-4 Jahre), ein Maß, das im Châteauneuf-du-Pâpe und umgebenden Anbaugebieten noch Tradition hat, es bezeichnet ein Holzfass von 650 (demi-muid) oder 1300 (muid) Litern, oder 270 (540) Litern. Ich hab es ehrlich gesagt nicht wirklich herausgefunden. Beim nächsten Mal frag ich vor Ort nach. Oder der Grenache schaut hier mal rein und erklärt es, der weiß das bestimmt.
Nun aber zurück zum Wein. Der ist von einem dunklen Granatrot und duftet nach Kirsche, Kräutern, Holz, ein wenig erdig, am Gaumen kraftvoll und noch recht intensives Tannin, durchaus elegant, nun schmeckt man auch Brombeeren, Pflaumenmus, eine angenehme weil nicht zu dominante Holznote, etwas Lakritz und ein langer Abgang.
Prost!
Was lernen wir daraus? abgesehen davon, dass Sprüche vor allem in Zeiten des Internets ein interessantes Eigenleben führen. Mit der Tradition ist es wie mit vielen Dingen im Leben, ohne geht es nicht, aber mit auch nicht unbedingt. Viele Traditionen, egal ob "Dinner for one" an Silvester, die "sieben Wochen ohne" (Alkohol, Internet, Essen gehen, Kino usw.) in der Fastenzeit, sind uns ein verlässlicher Meilenstein, der unser Leben in überschaubare Abschnitte teilt. Tröstlich zu wissen, dass irgendetwas Bestand hat, wenn sich um uns herum alles schneller ändert, als wir es erfassen können. Und ärgerlich, wenn die ständige Wiederholung eines Rituals anfängt an den Nerven zu zerren, wie das tägliche Weihnachtsfest für Tante Mila in Heinrich Bölls "Nicht nur zur Weihnachtszeit…"
Bei Wein scheint Tradition durchaus positiv belegt zu sein. Traditionelle Methoden zeichnen nicht nur Champagner aus, der Verzicht auf allerlei neumodische Sperenzien ist allenthalten positiv konnotiert. Vor allem bei den Flaschenetiketten scheinen sich in weiten Teilen der Weinwelt die Traditionalisten durchzusetzen.
Wohl deshalb nennen Winzer ihre Weine auch gerne "Tradition", "Cuvée Tradition" usw. das zieht. Der Kunde sieht vor seinem geistigen Auge den Winzer und seine Mannen (und Frauen) durch die Rebzeilen schreiten, mit schmutzig-schwieligen Händen die Trauben schneidend, die Frauen mit geschürzten Röcken und nackten Füßen die Trauben tretend, dabei überliefertes Liedgut absondernd, große Holzfässer, Kerzen im Kellergewölbe. Romantik, Idylle, Tradition. Stahltanks und Computersteuerung passen nicht so recht in Bild.
Aber mit der Tradition ist es wie mit allem im Leben. Hin und wieder muss mal ordentlich ausgemistet werden und alles, was nur Ballast ist, muss weg, und alles, was einen Sinn oder Nutzen hat, darf bleiben. Trennen tut manchmal weh, aber die Narben verheilen und die leeren Stellen füllen sich schnell wieder mit Neuem.
Unsere familiäre Silvestertradition will ich allerdings nicht mehr missen: Seit dem Jahreswechsel auf Y2K feiern Herr susa und ich allein zu Haus. Zu besagtem Jahreswechsel wurde ich von meinem Arbeitgeber auf Bereitschaft gehalten, falls es wegen Datumswechsels zum Ausfall von allen Systemen angefangen von der Aufzugsteuerung bis zum Fernmeldesatelliten kommen würde oder der SuperGAU, wenn in der Pförtnerloge die Kaffeemaschine ihren Dienst aufgäbe. Und deswegen war nix mit Party und Champagner bis zum Abwinken, aber nachdem um halb eins immer noch kein Anruf kam, haben wir uns dann einen Bordeaux gegönnt. Man erinnere sich, war ja alles halb so wild (das Chaos bei der Einführung von SAP war zwar nicht mit dieser Vehemenz befürchtet, ist deswegen aber umso wuchtiger über uns hergefallen ). Aber es war so gemütlich zu Hause. Fondue für zwei, in den Folgejahren dann eine richtig tolle Flasche Wein (oder auch zwei), und dann zum Meditieren eine gute Zigarre und später das Feuerwerk der anderen bewundern. In diesem Jahr so mein Eindruck war es so gewaltig wie noch nie. Selbst aus normalen Mehrfamilienhausbalkons schossen die Raketen in wohldurchdachter Choreographie in den Himmel. Dazu haben wir eine feine Musik aufgelegt (ich mag in dem Zusammenhang ja gerne den ersten Marsch der Pomp and Circumstance von Elgar, lieber jedenfalls als das traditionelle Auld lang syne). Und ein roter Slip unter der Jeans kann ja nicht schaden.
Beim letzten Kelleraufräumen (auch so eine traditionelle Beschäftigung zwischen den Jahren bevor die neue Sublieferung anrollt, muss Platz geschaffen werden) sind mir dann auch ein paar Traditionsweine in die Hände gefallen, unter anderem
2009 Tradition Le Grand Montmirail
Domaine Brusset, Gigondas
Ich meine ja, der hätte früher, so bis 2003 oder 2004 einfach nur Le Grand Montmirail geheißen ohne Tradition dafür mit einer stilisierten Silhouette der Dentelles de Montmirail auf dem Etikett und mein Eindruck ist auch nicht, dass er jetzt irgendwie großartig anders wäre, jetzt wo er Tradition heißt.
Vielleicht heißt er Tradition, weil alle traditionellen Rebsorten des Midi in ihm versammelt sind, hauptsächlich Grenache, sowie Syrah, Mourvèdre und Cinsault. Die Weingärten liegen auf kieshaltigen Terrassen nach Süden ausgerichtet und es weht immer ein ordentlich frischer Wind (jedenfalls immer, wenn ich da bin) und ganz von weitem kann man sogar die Rhône sehen und in der Nähe ein anderes kleines Flüsschen. Eine faszinierende Gegend, ein wenig wild und ungestüm, die knorrige Syrahrebe passt nirgendwo besser hinein.
Der Wein wird zu etwa 60% im Stahltank ausgebaut und die restlichen ca. 40% in gebrauchten Demi-Muid (2-4 Jahre), ein Maß, das im Châteauneuf-du-Pâpe und umgebenden Anbaugebieten noch Tradition hat, es bezeichnet ein Holzfass von 650 (demi-muid) oder 1300 (muid) Litern, oder 270 (540) Litern. Ich hab es ehrlich gesagt nicht wirklich herausgefunden. Beim nächsten Mal frag ich vor Ort nach. Oder der Grenache schaut hier mal rein und erklärt es, der weiß das bestimmt.
Nun aber zurück zum Wein. Der ist von einem dunklen Granatrot und duftet nach Kirsche, Kräutern, Holz, ein wenig erdig, am Gaumen kraftvoll und noch recht intensives Tannin, durchaus elegant, nun schmeckt man auch Brombeeren, Pflaumenmus, eine angenehme weil nicht zu dominante Holznote, etwas Lakritz und ein langer Abgang.
Prost!
Red wine with fish. Well, that should have told me something.
James Bond in From Russia with Love
James Bond in From Russia with Love