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Auf ein Glas ..... der Pirat

eingeschenkt von: susa – Plaudereien über Gott und die Welt und auch über Wein
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susa

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Auf ein Glas ..... der Pirat

BeitragDi 27. Nov 2012, 10:00

Es gibt ja nicht nur konkrete Weine, die sich eindeutig durch Jahrgang, Herkunft, Erzeuger definieren, es gibt ja auch die anderen: Da haben wir das Möselchen oder auch das Kabinettchen, den guten Roten, den trockenen Weißen, den Kochwein, den Massenwein, den Grenzwein, den Mädelswein, den unbekannten "Retsina vom Griechen" und noch viele andere mehr.

Eine besondere Stellung in dieser Gruppe von Weinen nimmt der Pirat ein. Der Pirat schleicht sich heimlich in eine durch einheitliche und gleiche Kennzeichen geprägte Gruppe von Weinen einer Blindprobe ein, nimmt eventuell eines oder mehrere (aber niemals alle!) ihrer Kennzeichen an und gibt sich als einer der ihren aus. Ganz unschuldig. Die einzige Aufgabe eines Piraten ist es, die Verkoster der Weine zu verwirren, zu verunsichern und auf den Holzweg zu führen. Eigentlich hat er mehr von einem Undercoveragenten, aber der Begriff war sicher nicht schmackig genug.

Als ob es nicht schon schwierig genug wäre, die Weine an sich herauszufinden. Nachts sind alle Katzen grau und alle Piraten Wein und wo man nichts weiß, da blüht die Spekulation (nicht nur im mitmenschlichen Zusammenleben).

Blindproben mit Pirat teilen sich in zwei Kategorien, erstens in die, bei der man weiß, dass es einen Piraten gibt und zweitens in die, bei der man selbst über diesen Umstand im Unklaren gelassen wird. Wie dem auch sei, meistens helfen diese gut gemeinten Hinweise nur unwesentlich. Höchstens zu der Erkenntnis, das Blindproben demütig machen, und der Frage, wie die Profis das denn machen, die haben doch angeblich immer so tolle Trefferquoten (wenn man mal davon absieht, dass auch gestandene Weinjournalisten den Supermarktmassendreher für den Edelstoff halten können).

Genug der Vorrede, letzten Samstag haben wir zur Blindprobe geladen. Herr susa war der Zeremonienmeister und stellte einen kleinen Flight aus 7 Flaschen zusammen. Den wackeren Mitstreitern sagte er nur, es handele ich grundsätzlich um Bordeaux. Sechs Flaschen hätten zwei herauszufindende Gemeinsamkeiten, der siebten würde eine davon fehlen. Frage an die versammelte Trinkerschaft neben der Standardfrage nach dem Alter des Kapitäns, welche Flasche fällt aus dem Rahmen, wer ist der Pirat?

Ich war gottfroh, in die Planung mit einbezogen geworden zu sein, hatte ich doch deswegen einen kleinen Vorteil vor meinen Gästen, ich wusste, welche Flaschen in jedem Flight angestellt waren, ich musste also nur sagen, wer ist wer. Das ging dann so gerade noch gut.

Die Probe wurde in drei Flights zu je zwei Flaschen aufgeteilt, zum Schluss wurde der erwartete Höhepunkt als Solist serviert. Und dann ging's los (Blocks und Kulis haben wir auch verteilt, Begleitliteratur in Form von Parker, Gabriel war vorhanden, die Benutzung mitgeführter Smartphones war erlaubt und wurde eifrig genutzt).

Flight 1:
2000 Sociando Mallet, Haut-Médoc
2000 Gruaud Larose, St. Julien

Flight 2:
2000 Léoville Barton, St. Julien
2000 Lynch Bages, Pauillac

Flight 3:
2000 Léoville las Cases, St. Julien
1996 Léoville las Cases, St. Julien

Flight 4:
2000 Mouton Rothschild, Pauillac

Nun, wenn man's so vor sich sieht, ist es doch sehr einfach, herauszufinden, wer der Pirat ist, oder? Was ist allen Weinen gemeinsam? Na, das springt ja förmlich ins Auge.

Auf den Flight mit dem Piraten war ich besonders gespannt, ob man feststellen würde, dass beide Weine aus einem Hause kämen, also ob sie größere Gemeinsamkeiten zeigen würden als die anderen beiden St. Juliens. Sie waren beide etwa eine Stunde karaffiert, bevor sie ausgeschenkt wurden. Beim ersten Riechen fand ich den Eindruck in der Tat sehr ähnlich, wobei der Pirat ein wenig reifere Noten in der Nase aufwies und in der Farbe ein wenig ins dunkle Ziegelrot abdriftete. Auch war der Naseneindruck zu Anfang ein wenig verhaltener, es brauchte etwas länger, bis sich die wunderbar komplexe und doch so filigrane Mischung aus Cassis, Röstaromen, Mineral, warmfeuchten Waldboden und Holzwürze entfaltet hatte. Der jüngere Bruder war da doch schneller bei der Sache.

Interessant war allerdings, dass sich diese Gemeinsamkeiten, die sich vor allem in der Nase zeigten, mit der Zeit immer mehr auseinander drifteten, und die beiden Weine sich immer stärker voneinander entfernten, eigenständiger wurden. Der Pirat zeigte sich dabei schon recht trinkfertig, während der andere noch etwas ungezügelter und damit rauer wirkte.

Auch der Gaumeneindruck war zunächst ein wenig zurückhaltender, erst nach einer weiteren Stunde zeigte sich die gesamte Komplexität und Kraft dieses konzentrierten, extraktreichen sehr fleischigen und vor allem absolut eleganten Weines. Immer noch recht präsentes sehr gut eingebundenes Tannin, dezente Säure und ein immer wieder aufs Neue faszinierendes Spiel von Gewürznoten, reifen Beeren und feiner eleganter Mineralik bis zum extrem langen und konzentrierten Abgang.

Wer nun der bessere von den beiden war, darüber war sich die Tischrunde nicht ganz einig, während ich die etwas reiferen abgerundeteren Noten des Piraten etwas höher einschätze, überzeugte den Kollegen vom anderen Tischende die eindeutig größere Kraft und Dichte des anderen mehr. Groß, geradezu monolithisch waren beide.

So gab es bei mir für den Piraten 98+ und für seinen Kollegen "nur" 98 Punkte, beide für mich nahe am perfekten Wein und andere am Tisch sahen die Reihenfolge dann genau umgekehrt. Dass die Unterschiede nicht mehr als einen Wimpernschlag ausmachten, vielleicht sogar hauptsächlich die persönlichen Vorlieben des Verkosters widerspiegelten, darüber bestand dann auch wieder Einigkeit.

Was die restlichen Ergebnisse angeht, nun, die Probe hat großen Spaß gemacht, wir haben viel gelernt und uns über die Weine gefreut. So etwas holen wir uns ja schließlich nicht alle Tage aus dem Keller, da müssen schon die richtigen Leute kommen.


PS
Die Notizen zu den einzelnen Weinen stelle ich in Kürze im entsprechenden Jahrgangsthread ein.
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Re: Auf ein Glas ..... der Pirat

BeitragDi 27. Nov 2012, 16:58

Die morgige Schlagzeile:

Piraterie und Kindermord
Soziale Randphänomene rücken wegen Blindheit und Genusssucht in die gesellschaftliche Mitte
:D
Grüße
Martin

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susa

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Re: Auf ein Glas ..... der Pirat

BeitragDi 27. Nov 2012, 17:29

Zum Thema Kindermord sag ich nur schon mal bedeutungsschwanger: abwarten! 8-)
aber jetzt muss ich erst Adventskranz winden;)

lg
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harti

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Re: Auf ein Glas ..... der Pirat

BeitragDi 27. Nov 2012, 17:57

Hallo susa,

eine tolle Probe hattet Ihr da. Ich bin schon gespannt auf Deine Einschätzungen zu den anderen Weinen.

Noch eine Frage (vielleicht habe ich es überlesen): Wurde der Pirat von deinen Mittrinkern erkannt?

Grüße

Hartmut
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susa

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Re: Auf ein Glas ..... der Pirat

BeitragDi 27. Nov 2012, 18:45

Nein wurde er nicht, bis auf den Leo Barton wurde keiner erkannt, allerdings wurden die Appellationen alle richtig zugewiesen, wenn man mal davon absieht, dass der Sociando sehr lange als St. Estèphe gehandelt wurde. ;) Beim Jahrgang schwankte man von 1999 bis 2003, wurde mit Hilfestellung dann erkannt.

Für Amateure finde ich das Ergebnis nicht so schlecht.

lg
s
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susa

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Re: Auf ein Glas ..... der Pirat

BeitragDi 27. Nov 2012, 21:18

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