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Auf ein Glas ..... 2008 Gigondas Tradition, de la Bouissière

eingeschenkt von: susa – Plaudereien über Gott und die Welt und auch über Wein
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susa

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Auf ein Glas ..... 2008 Gigondas Tradition, de la Bouissière

BeitragDi 13. Nov 2012, 09:35

Wir schenken uns nichts!

Es macht schon einen gewaltigen Unterschied, ob dieser Satz bei den vorweihnachtlichen Planungen geäußert wird, oder im Zusammenhang mit einem Scheidungsverfahren.

Aber auch im vorweihnachtlichen Kontext kann dieser gut gemeinte Vorschlag in nichts weniger als Nerven zermürbenden Stress ausarten. Denn "nichts" heißt im Weihnachtsgeschenkidiom nicht nichts, null, im mathematischen Sinne. Nichts kann von "wirklich nichts" über "höchstens eine Kleinigkeit" bis zu "aber eigentlich erwarte ich doch ein Geschenk" alles bedeuten.

Nach zwanzig und mehr Beziehungsjahren und mindestens fünf verheulten Weihnachtsfesten auf der einen und schmollenden auf der anderen Seite weiß man, wie's gemeint ist.

Beziehungsneulingen kann ich dem Zusammenhang nur raten, erstens genau hinzusehen und -zuhören (es wird selten unverhohlener mit Zaunpfählen gewunken wie vor Weihnachten und anderen geschenkträchtigen Ereignissen) und sich über die Gepflogenheiten der Familie und des Umfeld seiner/s Liebsten zu erkundigen. Und für alle Fälle irgendwas in petto zu haben, was man – sollte entgegen der Nichtschenkungsabsicht doch ein Päckchen hervorgezaubert werden – gegenschenken kann.

Bekommt man dann wirklich nichts geschenkt, dann verwahrt man das Fürallefällegeschenk halt bis zum Geburtstag (weswegen man von der Übergabe leicht verderblicher oder zu weihnachtsaffiner Waren tunlichst absehen sollte, aber wer verschenkt schon einen Block Gänseleberpastete oder einen Dresdner Christstollen an den Menschen seines Lebens), liest das Buch selber oder sortiert die Socken und die Krawatte stillschweigend ungeschenkterweise in den Schrank sowie die Flasche Wein in den Weinkeller/kühlschrank und erklärt, man habe sie mitnichten als Geschenk gemeint sondern als würdigen Begleiter für das Weihnachtsmenü.

Denn "wir schenken uns nichts" schließt meistens "dafür machen uns wir uns was richtig Feines zu essen und eine richtig gute Flasche Wein dazu und dann machen wir es uns gemütlich" ein. So machte es ja schon die Familie Hoppenstedt nachdem Dicki (übrigens ein Mädchen!) das Gedicht aufgesagt hatte.

Dabei macht schenken nicht nur dem Beschenkten Freude: das Überlegen, womit man die/den Liebsten erfreuen kann und wie er das Papier aufreißt, oder fein säuberlich abwickelt und glatt streicht (wahrscheinlich haben findige Psychologen schon lange die Typisierung von Persönlichkeitsstrukturen anhand der Geschenköffnungstechnik entwickelt, der Gierige, der das Papier brutal aufreißt, der Penible, der auf Wiederverwendung von Papier und Schleifen achtet, der Prokrastinat, der aus dem simplen Öffnen eines verpackten Buches eine abendfüllende Angelegenheit machen kann, oder der, der seine Geschenke grundsätzlich alleine und unter Ausschluss der Öffentlichkeit auspackt ….), kleine Glücksmomente.

Die schönste Episode über das Schenken steht in Erich Kästners Roman Fabian: Fabian schlägt sich im Berlin der 20er Jahre mehr schlecht als recht durchs Leben und auch seine Mutter hält sich in der entfernten dörflichen Heimat nur knapp mit allerlei – heutzutage würde man Jobs sagen – über Wasser. Dennoch hat die Mutter so lange gespart und geknappst, bis sie ihren Sohn einmal in Berlin besuchen kann und der schnorrt sich genug Geld zusammen, um ein gemeinsames Essen zu kochen. Am Ende des Besuches steckt er auf dem Bahnhof seiner Mutter heimlich einen 20-Mark-Schein in die Manteltasche, weil er weiß, dass sie niemals Geld von ihm angenommen hätte. Als er wieder nach Hause kommt, findet er ein Kuvert seiner Mutter im Briefkasten, in dem sich ein 20-Mark-Schein befindet.

Nur die allerabgebrühtesten Charaktere und Bankmanager würden einem vorrechnen, dass das ja nun nur ein Nullsummenspiel wäre, von dem keiner etwas hätte; nach der Mathematik des Schenkens ist jeder der beiden sowohl um 20 Mark als auch um so vieles mehr reicher.

Insofern, meine Lieben, ist es jetzt langsam an der Zeit, sich über das Thema Weihnachtsgeschenke ernsthaft Gedanken zu machen und diese möglichst vor dem ersten Dezember zu besorgen, dann hält sich die Hektik in den Geschäften noch in Grenzen. Auch ist die eigene Frustrationstoleranz gegenüber der weihnachtsüblichen Innenstadtbeschallung noch wesentlich stabiler.

Da lob ich mir unseren Baumarkt, wo man 20% auf alles außer Tiernahrung bekommt. Im Gegensatz zu dem, der wer wie wo was weiß, haben sie in der Weihnachtsdekorationsabteilung noch nicht auf die vorweihnachtliche Endlosschleife umgestellt, sondern spielen noch die übliche Musik und so hab ich gestern das dekorationsneutrale Kerzensortiment unter den Klängen von "Venus" (Shocking Blue) erstanden.

Und ich hab die Lichterkette schon in den Flieder gehängt.

Dann hab ich im Wohnzimmer alle Kerzen entzündet, den lichterfunkelnden Fliederbaum durchs Fenster betrachtet, dazu taggeträumt und ein bisschen Musik aufgelegt (die neue Donald Fagen, Sunken Condos, sehr zu empfehlen), einen Feierabendwein aufgemacht:

2008 Gigondas Tradition
Domaine de la Bouissière


Ein Wein, der wunderbar in die kalte, dunkle Jahreszeit passt, wenn man nach einem Spaziergang verfroren aber glücklich ins warme Haus kommt, und einen der Duft von frisch gebackenem Brot in die Nase zieht. Dazu gute Salzbutter, eine Auswahl von Schinken, Hartwürsten und Geräuchertem, ein kräftiger Käse, Gutes kann so einfach sein.

Der Wein ist von einem fast schwarzen Dunkelrot und verströmt alle Düfte des Winters, Lebkuchengewürze wie Zimt, Pfeffer, Vanille, dazu noch Lakritz, Schokolade, Johannisbeere, den Gaumen umschmeichelt eine mollige Wärme mit Aromen von reifer Sauerkirsche, Eichenholzwürze, brombeerkratziges Tannin, Rauch und Mineral und ein langer dichter Abgang. Wer so einen Wein im Glas hat, der braucht keinen Glühwein, um warm zu werden. (Davon abgesehen braucht man sowieso keinen Glühwein).
Red wine with fish. Well, that should have told me something.
James Bond in From Russia with Love

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