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Auf ein Glas ..... 1985 Château Angélus, St. Emilion

eingeschenkt von: susa – Plaudereien über Gott und die Welt und auch über Wein
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susa

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Auf ein Glas ..... 1985 Château Angélus, St. Emilion

BeitragDi 9. Okt 2012, 06:34

Botch hatte schnell Karriere gemacht. Noch keine 40 und schon Mitglied der Geschäftsleitung, mit allen Annehmlichkeiten und Insignien, die so eine Position mit sich brachte: großes Büro, eigene Sekretärin; zwar nicht sein Typ, dafür aber seit mehr als 25 Jahren im Unternehmen. Professionell und kompetent hatte die Dame ihm schon mehr als einmal geholfen, schwierige Klippen elegant zu umschiffen. Eines Tages würde er das auch zu würdigen wissen. Dienstwagen, gehobenes Fabrikat einer soliden Marke, sämtliche Gadgets wie Blackberry, Tablet, Notebook. Und nicht zuletzt, ein Spesenkonto. In seinem Unternehmen wurden Geschäfte durchaus noch mit gutem Essen in gediegenen Restaurants abgeschlossen und mit edlen Burgundern oder Bordeaux besiegelt. Sein Chef nannte einen imposanten vom Vater auf den Sohn vererbten Weinkeller sein eigen.

Botch hatte von Wein ungefähr so viel Ahnung wie Mitt Romney von der Außen- und Wirtschaftspolitik Moldawiens. Bisher hatten ihm die süßen Supermarkttröpfchen, mit denen er weibliche Bekanntschaften in seinem vom ersten Designer am Platz ausgestattetem Appartement gewogen zu machen versuchte, vollkommen gereicht. Den Damen auch.

Botch hatte erlebt, wie der Chef einem Kollegen anlässlich eines Essens die Speise- und Weinkarte in die Hand drückte und verschmitzt lächelnd sagte: Nun, Stichler, überraschen Sie uns doch mal! Stichler schien seine Sache gut gemacht zu haben, jedenfalls kamen vom Chef keine Einwände, und Botch wollte, sollte diese Aufforderung eines Tages an ihn gerichtet werden, keinesfalls patzen, im Gegenteil, er würde den Chef mit seinen Kenntnissen verblüffen, das schwor er sich.

Er beschaffte sich Literatur, er lernte Jahrgangstabellen, Rebsorten, Preislisten und Châteaunamen auswendig, er besorgte sich Übungsblätter für angehende Sommeliers und paukte alles, was ihm zum Thema "alkoholische Gärung" in die Finger fiel. Er lud alle Apps auf sein iPhone, die sich mit dem Thema befassten, inklusive aller Vorschläge, welcher Wein mit welchem Essen zu vermählen sei.

Und dann stand ein kleines Abteilungsessen an, der Chef hatte ihn, Kollegen Stichler, sowie den Personalvorstand und seine beiden Direktoren zu einem wie er es nannte "kleinen Arbeitsessen" eingeladen, in 14 Tagen.

Botch war inzwischen zum Thema Sensorik vorgedrungen. Und jetzt bekam er es langsam mit der Angst zu tun. Im ersten Weinladen am Platze hatte er sich über 10 verschiedene Weine gekauft, allesamt rote, allesamt solche, die in seinen vielen Fachzeitschriften besonders gut bewertet und beschrieben worden waren. Und mehrere von diesen sündteuren hauchdünnen Gläsern, die man anscheinend haben musste. Aber was sind schon 1.000€, wenn es um die Karriere geht.

Das Wochenende vor dem geplanten Abendessen hatte er damit verbracht, zu riechen und zu schmecken und zu schmecken und zu riechen. Zwischendurch ließ er sich mal was vom Sushi- oder Pizzaservice bringen. Müdigkeit schüttelte er mit doppelten Espressi ab. Sonntagabend war ihm richtiggehend übel, sein Kopf drohte zu platzen, allein der Gedanke an Wein ließ ihm sauer aufstoßen, ihm war schwindlig. Noch nie hatte er sich so sehr nach einem Bier gesehnt, frisch gezapft, kühl, angenehm bitter und erfrischend. Wenn er auf seine penibel geplante Liste schaute, auf der er alle seine Eindrücke festhalten wollte, so stand da – nichts. Alle Weine schmeckten ihm irgendwie gleich und wonach eigentlich?, und rochen gleich, nach was? na, nach was wohl, nach Wein, wonach denn sonst! Vor ihm standen mehr als ein Dutzend geöffnete und mehr oder weniger geleerte Flaschen. Seine Zunge war rabenschwarz, seine Nasenschleimhäute schienen überreizt. Das konnte ja heiter werden. Vollkommen erschöpft legte er sich ins Bett. Sein Schlaf war unruhig und traumlos.

Am Montagmorgen war er kurz davor, sich krank zu melden, sein Kopf brummte, sein Herzschlag raste. Aber das wäre ja noch schöner. Ein Pulver gegen Magenübersäuerung, eine Kopfschmerztablette und ein Milchkaffee bildeten sein Frühstück. An feste Nahrung war noch nicht zu denken. Frau Klever, seine Sekretärin, betrachtete ihn mit Sorge.

Dienstagabend um 20:00 Uhr sollte das Arbeitsessen stattfinden. Botch konnte an nichts mehr denken, weder an seine laufenden Projekte, die wahrscheinlich Gegenstand mancher Rückfragen sein würden, an Wein schon gar nicht. Morgens frühstückte er Haferschleim, wie früher, wenn er als Bub Magenbeschwerden hatte. Das Rezept hatte ihm seine Mutter telefonisch durchgegeben. Tagsüber trank er nur Fencheltee und aß Zwieback. Frau Klevers Besorgnis wuchs.

Er ging früher nach Hause, legte sich noch etwas aufs Sofa und versuchte zu entspannen. Dabei schlief er ein. Kurz vor halb achte wachte er auf. Hektisch sprang er in die Dusche, rasierte sich, schnitt sich dabei ins Kinn, versuchte die Blutung zu stillen, was ihm nach 5 Minuten gelang. Er kleidete sich dennoch sorgfältig an, rief ein Taxi und kam gegen 20:15 Uhr im Restaurant an. Vor der Tür schaltete er sein Handy noch schnell auf Flugzeugmodus – nicht auszudenken, wenn ausgerechnet jetzt Muttern anrief, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Alle anderen Gäste waren bereits da. Er begrüßte die Runde und entschuldigte sich kurz für die Verspätung, ihm sei noch ein unaufschiebbarer Anruf dazwischen gekommen.

"Macht nichts, Botch. Nehmen Sie Platz, entspannen Sie. Der Chefkoch wird uns heute seinen Menüklassiker zubereiten und ich habe mir erlaubt, dazu einen Wein noch aus dem Keller meines Vaters mitzubringen. Aber jetzt erst mal ein Aperitif – Herr Ober! Noch ein Glas Champagner, bitte!"

Botch wusste nicht, ob er erleichtert sein sollte, dass die Aufgabe, einen Wein auszusuchen, an ihm vorbei gegangen war, oder verärgert, dass er sich nun nicht mit seinem neu erworbenen Wissen profilieren konnte. Er entschied sich für ersteres. Am Champagner nippte er ein paar Mal, Prickelwasser war noch nie sein Ding gewesen. Und seinem Magen bekam das im Augenblick auch nicht besonders.

Das Menü war aus besten Zutaten, aber konventionell, geradezu altbacken. Ein Tässchen klare Rinderkraftbrühe. Das war genau das Richtige, was Botchs überanstrengter Magen jetzt brauchte. Gänseleberterrine. Tournedos Rossini. Crêpes Suzette. Man plauderte leicht über Geschäftspartner, die Wettbewerber, die nächsten Projekte, das Pariser Büro.

Zur Terrine legte der Ober große Rotweinkelche auf und brachte eine Karaffe mit Rotwein. Er schenkte allen ein. Der Chef erhob sein Glas "Fein, meine Herren, dass wir mal so zwanglos zusammen sitzen können, ohne den ganzen Stress tagsüber, Telefon, Emails, Sitzungen, diese Zeit- und Nervenfresser. Wohlsein!"

Botch roch an seinem Glas. Was war das? Auf einmal schien alles so klar, er roch etwas Erdiges, er musste an Steine auf einem Ackerboden denken, an Johannisbeeren, an Leder und Holz. Hm, fein. War da auch nicht so etwas Geräuchertes, wie ein alter Schinken im Rauch, oder eher wie Zigarrenrauch? Nach einiger Zeit nahm er einen Schluck und behielt ihn ein wenig im Mund. Johannisbeere, ein wenig pfeffrig. Vor allem aber das Mundgefühl, so wuchtig und doch sanft und klar. Nun meinte er auch Schokolade zu schmecken, süße Kirschen, Walderdbeeren, auch eine zarte exotische Note ähnlich einer dicken süßen Sojasauce. Er schluckte den ersten Schluck beherzt hinunter. Diese wunderbaren Aromen klangen noch lange nach.

"Nun, Botch" der Chef wandte sich an ihn "was sagen Sie zu dem Wein? Sagt er ihnen zu?"

Botch nickte und roch noch einmal an seinem Glas

"Ja, Chef, wirklich ein außergewöhnlicher Wein, ich finde ihn sehr … sehr …." Herrjesses, was hatte er in den letzten Wochen alles an Vokabeln gepaukt: Textur, Finesse, Primärfrucht, Kraft, Exotik, Harmonie, Säurespiel, Tannin, alle Aromen von Ananas bis Zwetschgenkompott, von Bitterschokolade bis Kumquat.

"… sehr gut …" Mehr fiel ihm im Augenblick beim besten Willen nicht ein. Botch, Du bist ein I.diot, schalt er sich inwendig. Während er noch verzweifelt über einen Satz nachdachte, der ihn aus dieser misslichen Lage befreite, hörte er Stichler bereits den Wein beschreiben ".. dieses wunderbare, so typische Cassisaroma, die Eleganz, dieser kraftvolle und doch so filigrane Körper, diese feine Holznote, und so ein wunderbarer Abgang, wenn auch nicht allzu lang! Ein Bordeaux, nicht wahr? schon gereift, ich vermute rechte Seite, St. Emilion" Chef nickte bei allen Punkten. Gut Stichler, dachte Botch, der Punkt geht an Dich.

Der Chef schaute zu Botch. Jetzt war eh schon alles egal, Botch sagte, was ihm gerade durch den Kopf ging. "Wein probieren macht demütig, Chef!" Er rang sich ein schräges Grinsen ab.

Dessert, Kaffee, einen Digestif lehnte er, im Gegensatz zu Stichler, ab, seinem Magen ging es wieder gut, das sollte so bleiben. Der Chef hob die Tafel auf, verabschiedete jeden einzelnen seiner Gäste, Botch zuletzt. Alle anderen waren bereits gegangen. Da bot er ihm die Leitung des Pariser Büros an, ihm Botch. "Schlafen Sie eine Nacht drüber Botch und sagen Sie mir morgen, was Sie von meinem Angebot halten. Um zehn in meinem Büro! Gute Nacht!"

Botch kniff sich in den Oberschenkel. Träumte er? Das war ja wie im schlechten Wirtschaftswunderfilm aus den 50er Jahren. Chef sah auch so ein wenig aus wie Heinz Erhard. Er würde die Klever überreden, mit ihm zu kommen, zusammen würden sie ein unschlagbares Team sein.

Im Hinausgehen warf er einen Blick auf die Flasche, die der Kellner hinter einem Mauervorsprung zusammen mit der Karaffe bereit gestellt hatte, eine Magnum

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St. Emilion, Bordeaux


Bist'n feiner Kerl, Chef!
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Gerald

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Re: Auf ein Glas ..... 1985 Château Angélus, St. Emilion

BeitragDi 9. Okt 2012, 06:56

Tolle Story (wie immer), nur die Moral daraus mag sich in meinem - vielleicht zu technisch/wissenschaftlich denkenden Kopf - nicht einfinden. Oder gibt es vielleicht gar keine? ;)

Wie auch immer, irgendwie musste ich dabei an die Geschichte "Taste" von Roald Dahl denken, obwohl es da ja eigentlich um etwas ganz Anderes geht ...

http://en.wikipedia.org/wiki/Taste_%28short_story%29

Grüße,
Gerald
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susa

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Re: Auf ein Glas ..... 1985 Château Angélus, St. Emilion

BeitragDi 9. Okt 2012, 08:45

Und ob es eine Moral gibt. Eine? Es gibt gleich mehrere Moräle (Morals, Moralen ;) ).

lieben Gruß
susa
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Re: Auf ein Glas ..... 1985 Château Angélus, St. Emilion

BeitragDi 9. Okt 2012, 09:02

Wo nimmst du immer die G'schichten her, susa. Super - wie immer !
Beste Grüße
Gerhard aus Wien
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Gerald

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Re: Auf ein Glas ..... 1985 Château Angélus, St. Emilion

BeitragDi 9. Okt 2012, 09:12

Vielleicht war das Pariser Büro in Wirklichkeit ein Himmelfahrtskommando und der Chef hat Botch deswegen dorthin "abgeschoben", da er einen solchen Schleimer (der nur wegen der Karriere sich mit Wein beschäftigt hat) in seiner Nähe nicht haben möchte :?

Oder sehe ich das wieder mal zu negativ?

Grüße,
Gerald
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susa

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Re: Auf ein Glas ..... 1985 Château Angélus, St. Emilion

BeitragDi 9. Okt 2012, 09:31

zu negativ, bedenke, Botch ist doch bereits durch ein Fegefeuer gegangen ...
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vinos

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Re: Auf ein Glas ..... 1985 Château Angélus, St. Emilion

BeitragDi 9. Okt 2012, 09:35

Gerald, denk positiv:

Der Chef hat Botch extra nach Paris versetzt, damit er nicht so viel arbeiten muss und sich in Frankreichs Hauptstadt mehr seinen Weinstudien widmen kann und vor allem für Nachschub für seinen Keller sorgt. :D

Tolle Geschichte, susa! Vielen Dank.
Beste Grüße
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Gerald

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Re: Auf ein Glas ..... 1985 Château Angélus, St. Emilion

BeitragDi 9. Okt 2012, 09:36

Botch ist doch bereits durch ein Fegefeuer gegangen


Ja, aber ein selbstverschuldetes. Hätte ja auch einfach sagen können "ich mache einen guten Job, aber Wein interessiert mich persönlich nicht". Wenn ich der Chef wäre, würde mich das jedenfalls mehr beeindrucken als wenn er krampfhaft versucht, sich schnell ein bisschen Weinwissen einzutrichtern und sich damit anzubiedern ...

Grüße,
Gerald
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Latour

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Re: Auf ein Glas ..... 1985 Château Angélus, St. Emilion

BeitragDi 9. Okt 2012, 09:40

Mensch, Frau susa, du raubst mir meine Zeit! ;)

Aber so lasse ich sie mir gerne rauben - genial!
Zahlreiche Grüße
Artur
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susa

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Re: Auf ein Glas ..... 1985 Château Angélus, St. Emilion

BeitragDi 9. Okt 2012, 09:51

jetzt lest doch mal genau

was hat Botch beim Abendessen zum Chef über Wein gesagt? ;)

und es ist nicht gewiss, dass in der Firma überhaupt jemand von seinen Weinstudien mitbekommen hat (Frau Klever vielleicht), das wird er ja wohl nicht an die große Glocke gehangen haben
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